CDU-Chef instrumentalisiert rechten Mord: Wo war Friedrich Merz, als Walter Lübcke ermordet wurde?
Tausende gingen auf die Straße, als Lübcke getötet wurde. Merz warf Linken nun trotzdem Nichtstun vor. Eine taz-Recherche zeigt: Er unternahm wohl selber nichts.
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Seit vergangener Woche ist der Mord an Lübcke dennoch zu einer Art Lackmustest für antifaschistisches Engagement in Deutschland geworden. Eingeführt hat diesen Test der mutmaßlich künftige Kanzler Deutschlands, Friedrich Merz (CDU). Und so viel sei vorweggenommen: Während die Antifaschist*innen Deutschlands ihn bestehen, fällt Merz krachend durch.
In den vergangenen Wochen haben gut 2 Millionen Menschen gegen rechts demonstriert. Nach einer gemeinsamen Abstimmung von Union und AfD im Bundestag wandten sich die Proteste auch gegen die Union – offenbar zum Ärger von Merz. Kurz vor der Bundestagswahl am vergangenen Sonntag nutzte Merz den Mord an Walter Lübcke für eine billige Pointe: „Ich frage mal die Ganzen, die da draußen rumlaufen, Antifa und gegen rechts: Wo waren die denn, als Walter Lübcke in Kassel ermordet worden ist von einem Rechtsradikalen?“
Diese Frage ist leicht beantwortet: Auch damals waren Tausende Menschen – quer durch alle politischen Lager – auf mehreren Demonstrationen auf der Straße und 1.300 beim Trauergottesdienst der Kirche. Auf die Gegenfrage, wo damals Friedrich Merz war, gibt es keine so offensichtliche Antwort. Hat Merz im Juni 2019 gegen rechte Gewalt demonstriert? Seinem ermordeten Parteikollegen gedacht? Dessen Hinterbliebenen kondoliert? Eine entsprechende Anfrage der taz ließ Merz’ Sprecherteam unbeantwortet.
Es liegt also nahe, was die nordhessische Demokratie-Initiative „Offen für Vielfalt“ vermeldete: „Bis zum heutigen Tag hat er in Kassel leider kein Gesicht für den ermordeten Regierungspräsidenten gezeigt.“ Offenbar war die von Merz öffentlich vorgetragene Anschuldigung schlicht ein Geständnis.
Dabei hätte es durchaus Gelegenheit dazu gegeben. Merz war im Juni 2019 ein vielbeschäftigter Mann mit regelmäßigen Auftritten in den Medien. Ein Interview mit ihm erschien damals im Handelsblatt, ein weiteres in der Bild am Sonntag und noch eins im Dokumentationssender Phoenix. In einem Essay in der Zeit riet der damalige Blackrock-Aufsichtsrat Privatpersonen, ihr Geld in Aktien zu investieren. Er machte eine Blattkritik bei der Welt und besuchte seine Studentenverbindung „Bavaria“. Er hielt Reden beim Wirtschaftstag des CDU-Wirtschaftsrates, bei der Atlantikbrücke, und bei der Mittelstandsvereinigung der CDU Sachsen.
Viel Gelegenheit zum Gedenken
Schon damals – Merz hatte kürzlich die Wahl zum Parteivorsitzenden gegen Annegret Kramp-Karrenbauer verloren – postete nicht nur er selbst in seinen Social-Media-Kanälen, sondern auch das „Team Friedrich Merz“. Alle paar Tage erschienen Posts, manchmal sogar mehrere am Tag. Es gibt versöhnliche Fotos mit Kramp-Karrenbauer und Merz gratulierte dem SPD-Politiker Sigmar Gabriel zur Wahl als Vorsitzender der Atlantikbrücke.
Rückblickend fehlt aber einer: Walter Lübcke. In keinem seiner Beiträge spricht Merz von sich aus die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten an.
In der Maischberger-Sendung am 19. Juni wird Merz dann doch nochmal von Sandra Maischberger zu Lübcke befragt. Merz bleibt indirekt, er kritisiert die AfD für eine Verrohung der politischen Sprache und macht sie für eine Verrohung der Umgangsformen verantwortlich: „Und dort, wo Umgangsformen verrohen, geschehen politische Anschläge.“ Die deutliche Distanzierung des damaligen Merz von der extremen Rechten scheint nach der gemeinsamen Abstimmung im Bundestag weit entfernt.
Wenige Tage nach der Maischberger-Sendung warnte Merz die Union davor, einer anderen Partei hinterherzulaufen: „Wenn wir andere kopieren, wird das Original gewählt.“ Er meinte damals nicht die AfD, sondern die Grünen.
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