Byung-Chul Hans neues Werk: Düsterer Kulturpessimismus
Byung-Chul Han verzichtet auf Empirie. In seinem neuen Buch beklagt er „die Austreibung des Anderen“ und Gleichheitswahn.
![Ein vergrößeter Like-Daumen von Facebook Ein vergrößeter Like-Daumen von Facebook](https://taz.de/picture/1724285/14/84711b97389415671a6979d7f8e526a2_edited_59975046_6bb025d64a.jpeg)
Neben Slavoj Žižek oder Markus Gabriel ist der 1959 geborene Han einer der Philosophen der Stunde. Setzen die beiden auf philosophische Globalentwürfe, verfasst der gelernte Metallurg, der später auf Philosophie umsattelte und nach Stationen in Basel und Karlsruhe seit 2012 an der Berliner Universität der Künste lehrt, kulturkritische Miniaturen.
Sein Stern ging auf, als er vor sechs Jahren in einem schmalen Bändchen die „Müdigkeitsgesellschaft“ diagnostizierte. Nach der Kritik der „Transparenzgesellschaft“ (2012) und der „Psychopolitik des Neoliberalismus“ (2015) plädierte er vergangenes Jahr für die „Errettung des Schönen“.
In seinem neuen Buch will er auf eine besonders perfide Form der kulturellen Nivellierung hinaus. Für Han gleicht unsere zeitgenössische Gesellschaft nämlich der „Hölle der Positivität“. Der ist der „Bezug zum Konflikt“ verloren gegangen. Statt Widerspruch und Auseinandersetzung herrsche in ihr nur noch die „Positivität des Gleichen“.
Kennzeichnend für Hans „Beweisführung“ ist das Fehlen jeder Empirie. Stattdessen gefällt er sich in einer Rhetorik des Elementaren: „Die lärmende Müdigkeitsgesellschaft ist taub“, stellt er einmal lapidar fest. Oder: „Die Austreibung des Anderen bringt eine adipöse Leere der Fülle hervor.“ Je länger man liest, desto mehr entpuppt sich diese Sozialphilosophie als prätentiöse Ontologie. Aber für Han ist Erkenntnis ja auch „Erlösung“.
Der lebensferne Philosophie
Gegenbeispiele für die eigenen Thesen zieht der Philosoph grundsätzlich nicht heran. Komaglotzen, Like-Button, Social Media – alles ist für ihn die gleiche „Hölle des Gleichen“, die „Verletzung und Erschütterung“ ablehnt. Von Streiks, Terminen im Jobcenter oder Beziehungskrächen scheint der Philosoph noch nichts gehört zu haben. Kein Wunder, dass diese Gesellschaftsanalyse in düsterem Kulturpessimismus endet: „Der Terror des Gleichen“, lässt er die Lesenden bereits auf Seite 9 wissen, „erfasst heute alle Lebensbereiche.“
Byung-Chul Han: „Die Austreibung des Anderen. Gesellschaft, Wahrnehmung und Kommunikation heute“. S. Fischer, Frankfurt am Main 2016, 110 Seiten, 20 Euro.
Nicht dass Hans Diagnose von der „entpersonalisierten Kommunikation“ ganz falsch wäre. „Der Mörder ist der letzte Mensch, der noch Kontakt sucht, während der Rest der Menschheit an Rolltreppen aneinander vorbeifährt“ kommentierte Heiner Müller schon 1991 sarkastisch die „Entwirklichung der Wirklichkeit“ im technologischen Zeitalter. Doch man muss seiner Argumentation schon sehr unsicher sein, wenn man sie mit einer kafkaesken Horrorvision glaubt belegen zu müssen, von der auch ein Nichtphilosoph erkennen kann, dass sie mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat.
Hans „Erfolgsrezept“ ist eine seltsame Mixtur aus Antikapitalismus und Idealismus. Den Neoliberalismus, der diese „neue Entfremdung“ verursacht, will er mit kulturellen Tugenden überwinden: Der „Kunst des Zuhörens“, der „Zeit des Anderen“, mit „Geduld und Ausgesetztheit“. Doch wenn Han auf eine Philosophie der Intersubjektivität, eine somatische Ethik oder eine neue Form sozialer Gegenseitigkeit hinaus will, warum mystifiziert er dann das „Andere“ zu einem diffusen Zwitter?
Ein ums andere Mal beschwört Han den Anderen als „Rätsel“ und ganz großes „Geheimnis“. Mal ist er das „Unheimliche“ schlechthin, mal „personales Gegenüber“. Mal realisiert er sich in „Blick und Stimme“, mal ist er „Resonanzraum“. Mit seiner Dialektik von „Du und Ich“ war der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber da schon mal weiter.
Vor allem: Würde ein „Gegenkörper der Negativität“ wirklich empfänglich machen „für die Wahrheit, für das Ereignis“, kurz: für reale Realität und dialektisches Sein? Als der französische Philosoph Jacques Derrida, so erzählte es einmal Slavoj Žižek, morgens ins Bad geht und im Blick der Katze, die seinen nackten Körper betrachtet, den Anderen „in seiner ganzen abgrundhaften Undurchdringlichkeit“ zu erkennen meint, jagt er das Tier hinaus und geht duschen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet