■ Buße und Reinigung: Das Fasten im Kulturvergleich
Den ersten Hungertag haben sie hinter sich: Gestern begann für eine Millarde Musliminnen und Muslime weltweit der Fastenmonat Ramadan. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang essen, trinken und rauchen sie weder, noch sind sie sexuell aktiv. Das wird gern als Beweis für den übertriebenen „Puritanismus“ des Islam angesehen. Tatsächlich gehört das Fasten zu den grundlegenden heiligen Handlungen vieler Religionen. Weder ist das muslimische Vollfasten besonders extrem, noch zeugt die Dauer des Fastens von fanatischer Gesinnung. Die zweite Sure des Korans weist auf die religiösen Vorläufer und den maßvollen Charakter des muslimischen Fastens hin: „Ihr Gläubigen! Euch ist vorgeschrieben zu fasten, so wie es auch denjenigen, die vor euch lebten, vorgeschrieben worden ist... Gott will es euch leicht machen, nicht schwer.“
Tatsächlich sieht das Judentum völlige Enthaltsamkeit am Versöhnungstag vor. Im Alten Testament kommen Fastenzeiten zu weiteren Anlässen wie Trauer oder Krieg vor. Jesus fastete 40 Tage in der Wüste, und im Christentum entstand ein ausgeklügeltes System von Fastenregeln. Das vierzigtägige Osterfasten und der Freitag als wöchentlicher Fastentag sind heute zumindest KirchgängerInnen noch ein Begriff. Doch wer kennt noch das Pfingst-, Advents- und Marienfasten? In der Reformation wurden die Fastentage abgeschafft, doch Fasten als Mittel zur „Zucht“ des Leibes blieb empfohlen. Der Bußdienst, die Vervollkommnung durch asketische Übungen wie das Fasten, ist einer der wichtigsten Züge christlichen Mönchtums, aber auch philosophischer und religiöser Kreise der griechischen und römischen Antike.
Im Fasten können verschiedene religiöse Zwecke verfolgt werden: Buße für Sünden, kultische Reinigung, Sammlung geistiger Kraft und Abwehr schädlicher Einflüsse werden durch völlige Enthaltsamkeit, durch Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel und Getränke, aber auch durch Keuschheit, Schweigen und Schlafentzug erreicht.
Unterschiedlich geregeltes Fasten empfehlen auch die indischen Relgionen Hinduismus und Jainismus. Selbst im Kultus einzelner Völker hat Fasten einen festen Platz. So gehört das Schwitzen und Fasten zum Heilritual der Navajo-Indianer. Der Buddhismus aber lehnt das Fasten ab und begnügt sich mit dem Gebot striken Maßhaltens. Auch dem Shintoismus ist das rituelle Fasten fremd. Religiös begründetes Fasten ist also kein Grundzug aller Religionen. Doch es ist so verbreitet, daß die Nüchternheit im Ramadan als maßvolle, übliche religiöse Pflicht gelten muß – wie der Koran schon sagt. Karin Hörner
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