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Buschkowsky ist überallSpießertum, weltberühmt

Heinz Buschkowskys Thesen kamen vor allem im beschaulichen Süden des Bezirks an, populär ist er nun auch im hippen Norden. Doch seine Zeit ist abgelaufen.

Hat zum Abschied ein Buch geschrieben: Heinz Buschkowsky. Bild: dapd

Es war ja klar, dass der Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) – in seinem Bezirk gerne „Big B“ genannt – seinen Rückzug aus der Politik mit einem Big Bang einläuten würde. Das ist ihm gelungen: Der Vorabdruck von Auszügen seines Buches „Neukölln ist überall“ in der Bild-Zeitung hat für den gewünschten Schockeffekt gesorgt. Das Blatt hat sich dafür genau die Schauergeschichten herausgesucht, für die der Bürgermeister und sein Bezirk Berühmtheit erlangt haben.

Die Reaktion kam prompt: „Du Opfer“, beschimpfen ihn GenossInnen aus der Landesarbeitsgemeinschaft für Migration seiner eigenen Partei in ihrer Pressemitteilung. Er wolle wie Sarrazin „den kommerziellen Bucherfolg mit rechtspopulistischen Inhalten erreichen“, wirft ihm der AG-Vorsitzende Aziz Bozkurt vor: „Die Neuköllner haben keinen Bürgermeister verdient, der sie in Deutsche und Feinde einteilt und verunglimpft.“

Stimmen bei der Wahl

Dass viele NeuköllnerInnen das offenbar anders sehen als Bozkurt und seine AG, zeigt nicht zuletzt der Wahlerfolg der SPD bei den Berlinwahlen 2011, wo sie mit 42 Prozent der Stimmen acht Prozent über dem Ergebnis der vorangegangenen Wahlen lag – und 14 Prozent über dem der Landes-SPD. Ein nicht geringer Teil der Neuköllner sieht den Bezirk wohl genau so, wie Buschkowsky ihn schildert. Aus dem beschaulichen (und öffentlich weitgehend unbekannten) Süden des Bezirks fahren alteingesessene Rudower und BuckowerInnen schon lange nicht mehr zum Shoppen in den multikulturellen Norden. Ihnen fehle, schreibt Buschkowsky, dort das „Heimatgefühl“. Dass die überwiegende Mehrheit der Neuköllner Bezirksverordneten, insbesondere der zwei großen Parteien SPD und CDU, aus der alteingesessenen deutschstämmigen Bevölkerung stammt, ist ein offenes Geheimnis: „Neukölln wird vom Süden aus regiert“, klagt ein Nordneuköllner Grüner hinter vorgehaltener Hand.

Den Spagat zwischen dem kleinbürgerlichen Süden und dem Einwanderungsbezirk im Norden scheint Buschkowsky trotzdem geschafft zu haben: Nordneukölln ist derzeit einer der hippsten Stadtbezirke weltweit, wie die Einwanderung junger Kreativer aus allen Teilen der Welt zeigt. Bei ihnen kommt Big B offenbar ebenfalls nicht schlecht an: Auf dem Neuköllner Jungdesignermarkt am Maybachufer gab es schnell „Big Buschkowsky“-T-Shirts. Und auch bei den von ihm so gerne gebashten MigrantInnen hat Big B durchaus Anhänger – von denen ein nicht geringer Teil längst im Bezirkssüden wohnt und den kleinbürgerlichen Ordnungsprinzipien der Neuköllner „Ur-Berliner“ (Buschkowsky) durchaus nicht abgeneigt ist.

Nun hat der Bezirksfürst auf fast 400 Seiten sein integrationspolitisches Vermächtnis vorgelegt. Viel Neues steht nicht drin: Buschkowsky fordert Kitapflicht, Sanktionen gegen Eltern, die die Bildung ihrer Kinder nicht ernst nehmen, mehr Kriminalitätsbekämpfung.

Dass er dabei zu den ebenfalls von ihm bekannten Verallgemeinerungen, Überspitzungen und Abgrenzungen greift, prangert nicht nur sein Parteigenosse Bozkurt an. Mit Orkan Özdemir kritisiert ein weiteres SPD-Mitglied, Buschkowsky liefere der Mehrheitsgesellschaft ethnische Herkunft als Erklärungsmodell für grundlegende gesellschaftliche Probleme. Und selbst die CDU warnt davor, Buschkowskys „Geschichten über misslungene Integration“ zu verallgemeinern: Es gebe „viele Beispiele für gelungene Integration“, so Michael Frieser, Integrationsbeauftragter der Bundestagsfraktion von CDU/CSU. Das weiß auch Buschkowsky, doch der will ja provozieren: Noch einmal muss es richtig laut krachen zum Abschluss.

Die Zeit geht zu Ende

Aber vielleicht geht die Zeit der Verallgemeinerungen und einfachen Erklärungen ja auch mit Buschkowsky zu Ende. Ende Juli nächsten Jahres erreicht der Bürgermeister das Rentenalter. Zwar kann er theoretisch bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleiben. Doch er werde vorher abtreten, wird im Bezirk gemunkelt, um seiner Nachfolgerin vor Neuwahlen eine Bewährungszeit zu geben.

Als die wird im Bezirk ziemlich offen Franziska Giffey (SPD) gehandelt, derzeit Schulstadträtin. Von einem „polternden Lautsprecher“ (Buschkowsky über Buschkowsky) hat die stille und freundliche 34-Jährige nichts. Buschkowsky wird ihr einen Bezirk hinterlassen, in dem trotz mancher positiver Entwicklungen grundlegende Probleme wie Armut und Arbeitslosigkeit nicht gelöst sind.

In Sachen Bildung hat die Politikwissenschaftlerin mit Doktortitel immerhin schon einiges erreicht: indem sie den Pragmatismus, den sie vielleicht bei Buschkowsky gelernt hat, mit einer Ideologieferne paart, die andere Töne als Buschkowskys Populismus zulässt. Neukölln könnte das für die nächsten paar Jahre mal ganz gut tun. Weltberühmt ist der Bezirk dank Buschkowsky ja schon.

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24 Kommentare

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  • G
    gisela

    Wenn in der SPD alle so wären, wie Buschkowsky, würde ich tatsächlich SPD wählen. Er ist einer von denen, die das wahre Leben mitbekommen, und er sagt, "so wird das nichts." In der SPD überwiegen aber die, die hier " die Metaebene" genannt werden: Ideologien, die die Wahrheit bestreiten, wenn sie im Widerspruch zur Ideologie steht! Bei den Grünen ist es noch schlimmer.

    Und die TAZ gehört auch dazu.

  • R
    Rojas

    Ist also alles erstunken und erlogen was Heinz Buschkowsy in seinem Buch "Neukölln ist überall" beschreibt?

     

     

    Wenn es so NICHT ist wie Buschkowsky sagt, wenn das NICHT zutrifft, wie ist es denn dann "in Wirklichkeit" in Neukölln?

  • V
    Volker

    Das politisch korrekte Establishment hat es verlernt, sich mit gesellschaftlichen Misständen auseinanderzusetzen.

    So schätze ich z.B. die Wallraffs und Ströbeles für ihr engagiertes Handeln in der Vergangenheit. Aber jene haben vor ca. 30-40 Jahren den ideologischen Rollladen heruntergelassen und sich eine kleine, heile Welt geschaffen, eine holzschnittartige Aufteilung in rechts und links, gut und böse, Migranten und Deutsche (siehe Talkshowauftritte ebendieser vs. Buschi)

    Die heutigen Brüche verlaufen aber gerne außerhalb dieses Rasters. Und die spricht Buschkowsky an. Und das stört natürlich.

    Seine Amtszeit mag bald zu Ende sein - ja.

    Aber die Debatte, in was für einer Gesellschaft wir alle leben möchten wird weitergehen. Typisch berliner rot-grünes Wegsehen ist hoffentlich bald abgelaufen.

  • P
    peter

    darum lese ich asl altlinker die taz nicht mehr als druckausgabe und geben keinen pfennig mehr dafür aus. ideologie in reinform.

     

    traurig, wenn man vor purer ideologie den blick vor der relaität verschließt.

     

    buschkowsky hat recht!!

  • U
    Universteher

    "http://www.taz.de/Buschkowsky-ist-ueberall/!102091/"

    Bitte für die weitere Verbreitungs-Verhinderung:

    Es gibt keine Doktortitel- nur einen Doktorgrad.

    Der einzige echte Titel in Deutschland ist der Handwerksmeister-Titel.

    Der Grad ist auch kein Namensbestandteil, er wird nur auf Antrag in die Personalpapiere eingetragen.

  • N
    Nullnummer

    "In Sachen Bildung hat die Politikwissenschaftlerin mit Doktortitel immerhin schon einiges erreicht"

     

    Frau Wirth, sorry, aber Ihr Distinktionsgehabe ist echt oberpeinlich.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Neuköllner Bürgermeister Buschkowsky hat für den sogenannten"Armutspeckbezirk" Neukölln mehr getan als der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit.

  • AS
    Ausländer sind an allen Schuld

    @an die hier versammelten Stammtisch - Rassisten:

    Ja in der Tat, es gibt kaum noch Moral, Ehre, Anstand, Vernunft, Solidarität in unserer Gesellschaft. Aber anstatt die wahren Hintergründe zu erkennen, die geistige Verwahrlosung unserer Wirtschafts - Finanzelite (haltlose Gier) und deren Einfluss auf den geistigen Zustand unserer führenden Politiker und Teile der Bevölkerung; haut ihr mal wieder auf den Ausländer rein. Prima, also auch Ihr erfüllt hervorragend Euren zugedachten Platz.

  • H
    Hafize

    Er ist angeblich für Integration, aber es ist leicht, seine Integrationsbotschaft falsch zu verstehen. Und ein großes Problem für ihn sind nicht-integrierte Ausländer. Und so wird wahrscheinlich sein Buch auch werden. Mir ist dieser Typ zu einfach, bauernschlau in seinem Handeln. Dass ihm Applaus eines bestimmten Teils der Einwohner sicher ist, keine Frage. Im Grunde sind es ja plattituden, aber sie sind nach der theoretischen Grundlage der SPD irgendwie anders als erwartet, macht ihn interessant. Also muss Heinz Buschkowsky auch anders sein, denken viele.

     

    Die momentanen 'Lösungen' haben aber weder mit Ausländern, noch mit Heinz Buschkowsky zu tun: Die Renditen auf dem Wohnungsmarkt in Berlin sind gut, die Preise, im Kontrast zu London, Frankfurt, München, ein Schnäpchen - also investieren, Leute vertreiben und Profite machen. Das ist das neue Spiel in Neukölln und das erzeugt eine Verdrängung von Heinz Buschkowsky Problemgruppe Nummer Eins: Arme, nicht-integrierte Ausländer.

    Statistisch wird das zu einer Erfolgsstory in Sachen Integration, praktisch kauft sich das Kapital einfach nur Renditen. Wo Reiche zuziehen, ist die Politik dann erstaunlich schnell zur Aufhellung des Quartiers bereit. Wo jahrelang um eine Ampel, einen Spielplatz gefeilscht wurde, geht's plötzlich schnell. Das ist keine Integration, das ist nur Kapitalismus in der Praxis. Aber sowas kommt nicht gut, besser über gute und böse Ausländer schreiben und sich als Tabubrecher mit bürgerlicher Grundlage verkaufen. Heinz Buschkowsky wird noch schwer an seinem Buch verdienen, daran zweifele ich nicht.

  • G
    gerdos

    Hab es mir angetan und mal zwei Ausgaben der Serie in BILD gelesen. Mein Eindruck: Der neuköllner Experte für Leitkultur und investigativer Qualitätsliteratur will sich mit Klischees, Stereotypen und Vorurteilen, die man seit Rostock-Lichtenhagen vergessen und längst widerlegt glaubte, beim Stammtisch-wähler der SPD- ähhh...pöbel anbiedern.

  • W
    weber

    Sarrazin ist bereits ein deutscher Volksheld, Kirsten Heisig ist postum eine kleine Heldin geworden, und Buschkowsky schickt sich an ebenfalls als ein dt. Held im Kampf gegen Lügen und Wahrheitsverächtung unsterblich zu werden.

     

    Leider konnten alle drei nicht in die Machtpositionen kommen, in denen sie auch wirksam Veränderungen hätten herbeiführen können.

    Die Hoffnung das Andere dies tun werden, also soviel persöhnliche Courage, Mut und Kraft aufbringen, ist bisher leider ohne Erfolg geblieben.

    So müssen wir weiter zuschauen, wie unser Land vor die Hunde geht, wohlwissen, dass es Mutige gab, die davor gewarnt haben, jedoch nicht von den Mächtigen gehört werden wollten.

    Die Tragik ist kaum zu ertragen und zeigt, wir haben weder aus der Vergangheit gelernt, noch sind wir zivilisatorisch reifer und besser geworden.

  • MA
    M. aus Neukölln

    Heinz Buschkowsky sollte sich besser mal um das Naziproblem in seinem Wohnort Rudow kümmern anstatt derart rassistisch, plump und falsch gegen den Norden des Bezirks zu poltern, den er offensichtlich in den letzten Jahren nie betreten hat.

     

    NPD und co applaudieren, und auch viele KommentatorInnen vom platten Land sind sofort zur Stelle. Mit der Realität in Nord-Neukölln hat das aber nichts zu tun.

     

    Und dass sich so ein Rassismus mittlerweile auch bei taz-LeserInnen breitmacht, finde ich schwer bedenklich.

  • K
    Kamu

    Für mich als Neu-Neuköllner ist das ein interessanter Artikel.

    Ich hab mich bisher immer gefragt wo denn die ganzen Assis sind, von denen immer alle reden. Da dacht ich, die sind bestimmt im Süden, hier im Norden ist ja alles friedlich.

    Jetzt lese ich, der Süden ist von Kleinbürgern geprägt. Da isses auch friedlich.

    Jetzt denk ich, das Leben in Büchern oder in der Zeitung ist einfach aufregender als der Alltag in der Realität...

  • P
    Paul

    Die NPD kann sich wohl die Kosten für den nächsten Wahlkampf sparen. Noch ein paar Arbeitslose mehr und ein paar Sozialleistungen weniger und ....

  • D
    Demokratin

    Tja, wieder einer der die Mißstände klar aufzeigt.

     

    Die Fakten von Sarrazin und Buschkowsky werden langsam aber sicher gesellschaftsweit akzeptiert.

     

    Ich freue mich auf die Zukunft.

  • N
    Neukoellnerin

    Alle die auch finden, dass Buschkowskys Zeit als Bezirksbürgermeister abgelaufen ist, sind herzlich eingeladen morgen um 18 Uhr vor dem Rathaus Neukölln ihren Unmut zu äußern. Infos gibts unter https://www.facebook.com/events/355381321213948/ und bei Twitter #Bashkowsky

  • C
    Claudi

    Na das kennen wir ja schon.

    Türken untereinander pinkeln sich nicht ans Bein, da verbindet ehtnische Zusammengehörigkeit.

     

    Deshalb sind wohl auch nur "Politiker" mit türkischem Namen medienwirksam empört.

  • F
    Frieda

    Der Mann arbeitet seit Jahrzehnten an der "Front".

     

    Warum gilt jedes Ansprechen von Problemen als Problem?

     

    Und das von Menschen die hübsch darauf achten, dass die eigenen Kinder nett aufs homogene Gymnasium gehen.

  • D
    D.J.

    „Du Opfer“, beschimpfen ihn GenossInnen aus der Landesarbeitsgemeinschaft für Migration seiner eigenen Partei in ihrer Pressemitteilung"

     

    Oh, wusste gar nicht, dass dieses Hausptschulklassendeutsch mittlerweile die SPD-Politik erreicht hat. Peinlicher geht es nimmer. Hoffe, Herr Grauer Wolf (Bozkurt) wird zu einer Entschuldigung veranlasst. Unfassbar.

  • DB
    Die bösen Migranten

    Da kann man nur hoffen, dass endlich alle Migranten begreifen, dass die SPD nur eine Partei der nationalistisch-chauvinistischen mißgünstigen Abzocker ist, deren Politiker für Geld hetzen. SPD = Sozialneid Prollig Deutschnazional.

  • DB
    Die Bösen Migranten

    Buschkowsky hat sich jahrzehnte lang an dem Elend von Neuköln abgearbeitet, ohne wirklich etwas zu ändern zu können. Denn dafür hat er nicht die politischen Möglichkeiten als Stadtbezirksbügermeister. Die URsachen hat er aber gut verstanden.

     

    Am besten man macht da eine große Mauer rum und macht eine zweites Westberlin draus. Nur diesmal darf jeder rein, aber keiner raus.

  • A
    antimarx

    Alke Wierth, überlassen sie doch die Buchkommentierungen den fähigen Journalisten, wie dieser hier:

    http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/buschkowskys-gesellschaftsanalyse-das-zuschauen-muss-ein-ende-haben-11896017.html

  • T
    Tom

    Wie verblendet muss man sein um die Realität als Populismus zu bezeichnen?

    Typisch taz.....

  • MM
    Mirko Malessa

    "Ein nicht geringer Teil der Neuköllner sieht den Bezirk wohl genau so, wie Buschkowsky ihn schildert."

     

    Ist ja auch so. Was allerdings immer wieder verschwiegen wird; SPD und CDU sind schuld daran, das es genau so gekommen ist!!!

     

    Ich sag nur: Rollbergsiedlung.

     

    Ein Schelm, wer böses dabei denkt.