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Burn-out als ChanceLohnarbeit am Höllenfeuer

Viele klagen über zu wenig Zeit. Doch bei der Frage, woher das kommt, wird es schnell eng, meint unser Kolumnist.

Bei manchen wäre es besser, sie würden einfach entspannt staubsaugen Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

I ch habe keine Zeit: für Steuererklärung, Haushalt und Garten – eigentlich auch nicht so recht für diesen Text und tragischerweise schon gar nicht für meine Freundinnen und Freunde. Nun verhält es sich aber ja so, dass Jammern nicht hilft, erst recht nicht bei diesem Thema. Weil’s ja allen so geht.

Man kommt zweimal täglich darauf zu sprechen, weil kei­ne:r zurückstehen will beim großen Überlastungswettstreit, oder einfach, weil schon wieder wer die geistreiche Beobachtung teilen möchte, dass man beim Verabreden heutzutage ja frühestens über Termine in zwei Monaten rede. Ich frage mich manchmal schon, zu welchen Gelegenheiten die etwa zweihundert Variationen dieses Gesprächs eigentlich stattgefunden haben – weil wir uns ja eigentlich nie sehen.

Es laufen noch ein paar verwandte Monologe in Dauerschleife, die Sie bestimmt kennen: Zum Beispiel, dass jemand vergessen habe, wie sich Langeweile anfühlt. Oder dass man als Stu­den­t:in früher kein Geld für dieses oder jenes Hobby hatte und heute, wo man es sich leisten könnte, keine Zeit mehr. Witze gibt’s auch: „Keine Zeit und trotzdem da“, wurde ich neulich reimend von der Seite anagitiert: „Freiberufler-Antifa!“ Oder: „Tschüss, es war ein toller Abend – wir sehen uns dann im Herbst. Höhö!“

Mich nervt das zunehmend: bei mir selbst, noch etwas mehr aber bei allen anderen Menschen. Nicht nur weil das Thema langweilig wird, sondern auch weil diese manische Verschiebung auf die Quantität ein mir doch wichtiges Problem verschleiert: dass es sich bei unserem gesellschaftlichen Tun auf der Arbeit im Wesentlichen nämlich um dumme Scheiße handelt. Ich meine nicht nerviges Staubsaugen, sondern Dinge, die anderen das Leben schwerer machen, die Welt weniger wohnlich oder das Klima kaputt. Wie viele Wochen- und Überstunden uns das nun genau beschäftigt, scheint mir dabei eher ein Nebenschauplatz zu sein.

Nicht fair, aber wahr

Klar spricht hier mal wieder das Privileg: Ich kann es mir leisten, eine absurd schlecht bezahlte Arbeit zu verrichten, die ich dafür (meistens) mag und die ich (manchmal) sogar sinnvoll finde. Und es ist darum auch nicht sonderlich solidarisch, jemandem vorzuwerfen, seine oder ihre Lohnarbeit mache die Welt aktiv schlechter und dann zu sagen, dass man sich da ja nicht auch noch beklagen müsse. Fair ist das nicht. Aber stimmen tut’s trotzdem.

Mit dem Leben auf dem Land, um das es hier an dieser Stelle ja eigentlich geht, hat das erstaunlicherweise viel weniger zu tun, als ich erst dachte. Zwar wirken der PR-Klitschen-Psychoterrorist oder die Prozess-verschlankende-Kündigungsexpertin meist in der Metropole – aber auch hier draußen fühlen sich Menschen von Tätigkeiten gestresst, die sie besser sein lassen würden. Ein (hoffentlich wenigstens nur selbsternannter) „Vollstrecker“ der Wald und Wiesen Sparkasse hat mir vor einer Weile mal am Rande eines Elternabends im Kindergarten erzählt, er brauche dringend Urlaub. Das fand ich auch, am besten für immer.

Wahrscheinlich sind auch Po­li­zis­t:in­nen echt müde nach Abschiebungsnachtdiensten, oder die Spargelsklaventreiber kriegen’s irgendwann im Kreuz. Das kann schon sein.

Wie gesagt: Alle müssen irgendwie Geld verdienen und die wenigstens können sich den Luxus moralischer Erwägungen auf Dauer leisten. Aber vielleicht ist das längst epidemisch gewordene Geschwätz von knapper Zeit und beruflicher Überlastung eine gar nicht so schlechte Gelegenheit, doch mal nachzuhaken, was jemand denn eigentlich so macht den ganzen Tag. Ob man zum Beispiel wem geholfen hat bei irgendwas, oder wieder nur ein Leben ruiniert. Das macht ja vielleicht auch einen Unterschied fürs eigene Wohlbefinden und diesen Stress, von dem immer alle reden.

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Redakteur und CvD
Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.

2 Kommentare

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  • Ein sehr schöner Beitrag, der mir aus der Seele spricht. "Keine Zeit!" - ich kann's nicht mehr hören. Neuerdings wird es auch viel mit ADHS begründet, dabei ist die Erklärung viel einfacher, denn eigentlich gibt es ja gar keine Zeit. Zeithaben ist eine ziemlich bescheuerte Illusion. Was soll denn das bedeuten "Zeit haben"? Die Lektüre von Michael Endes Momo sei da empfohlen.



    Die Realität ist ja ganz einfach: Ich kann nicht zwei Menschen "gleichzeitig" ungeteilte Aufmerksamkeit schenken und Du stehst auf meiner Prio-Liste einfach nicht oben. So einfach ist das! Man muss sich nur trauen das zu sagen und die Konsequenzen in Kauf nehmen. Aber wer will schon Konsequenzen in Kauf nehmen? Dann doch lieber keine Zeit haben.

  • Als jemand der im jungen Alter eine Karriere (Bankenbranche) weggeworfen hat wegen eben jenen Bedenken der Moralität kann ich ihnen zustimmen in vielen der Aussagen hier.

    Mein Gewissen fühlt sich besser an. Und trotzdem muss ich zugeben, dass mein Leben wohl ein besseres gewesen wäre hätte ich dieses gewissen ignorieren können. Viele moralische bedenken in diesen Berufen fallen einem erst auf wenn man drin steckt. Und ich möchte es niemandem übel nehmen da nicht die courage zu haben zu kündigen.

    Trotz alledem muss man ja schon zugeben, dass so Jobs wie Gerichtsvollzieher, Polizist (speziell Hundertschaften oder Abschiebezeugs) eben einfach nichts für unsere Gesellschaft bringen. Ganz im Gegenteil sie haben meist nicht mal ein funken positives an sich.

    Dem ganzen kann man entgegenwirken indem man unser System nicht so unfassbar ungerecht und ungleich sein lässt. Moral ist zweitrangig wenn ich weiß, dass ich mit meiner Ausbildung bei der Bank eben nur alten Leuten das Geld aus der Tasche ziehen kann und alles andere will mich nicht ohne eine andere Ausbildung.