Bundeswehr im Mittelmeer: Flüchtlingsretter außer Dienst
Mehr als drei Wochen lang hat sich die Bundeswehr an keiner Seenotrettung im Mittelmeer mehr beteiligt. Dafür bekämpft sie nun Schleuser.
„Aber wenn die Politik sagt, wir sollen das machen, dann schauen wir, was wir tun können.“ Wenige Tage später schickte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zwei Schiffe ins Mittelmeer. „Es geht jetzt vor allem darum, dass wir sehr schnell Menschen, die in Not sind, helfen“, sagte sie.
An elf Rettungseinsätzen haben sich vier Schiffe der Bundeswehr seither vor Libyen beteiligt. 5.884 Menschen, darunter 1.010 Frauen und 409 Kinder, retteten sie aus Seenot. Alle wurden in italienische Häfen gebracht. Am 23. Juni aber brach diese Serie ab. Nach Auskunft der Bundeswehr waren die beiden verbliebenen Schiffe nach diesem Tag mehr als drei Wochen an keinem Rettungseinsatz mehr beteiligt. Erst in der Nacht zum Donnerstag nahm die „Werra“ auf Bitten der italienischen Behörden wieder 211 Insassen von zwei Schlauchbooten auf.
Genug zu tun wäre in der Zwischenzeit gewesen. Seit dem 23. Juni sind täglich bis zu 900 Migranten im Mittelmeer gerettet worden. Teils hat dies die italienische Küstenwache übernommen, oft waren es auch Tanker oder Rettungsschiffe von Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen oder Sea Watch. Und weiterhin gab es Unglücke. Bis zum 13. Juli ertranken dieses Jahr nach UN-Angaben mindestens 1.814 Menschen im zentralen Mittelmeer. Allein letzte Woche gab es mehrere Unglücke mit Dutzenden Toten.
Vermehrt gegen Schlepper
Anfang Juli hatte von der Leyen die Marineschiffe im sizilianischen Hafen Catania besucht. Die Seenotrettung sei richtig, sagte sie danach. „Aber die Probleme werden dadurch nicht gelöst.“ Sie kündigte an, dass die Bundeswehr sich fortan verstärkt dem Kampf gegen Schlepper widmen werde. Schon vor Beginn des Einsatzes im Mai war klar, dass die Bundeswehrschiffe sich an der Antischleuser-Misson der Europäischen Union, der Operation Eunavfor Med, beteiligen würden. Diese startete am 30. Juni – just nachdem die Bundeswehr nicht mehr zu Rettungseinsätzen ausgerückt war.
Warum in den fraglichen drei Wochen keine Rettungseinsätze mehr unternommen wurden, beantwortete die Bundeswehr nicht. Sie erklärte lediglich, an den Schiffen seien Umrüstungen für die EU-Mission notwendig gewesen. Nun sammeln die deutschen Schiffe „Informationen über die kriminellen Netzwerke der Schleuser“, etwa mit Seeradaren oder durch Befragung geretteter Migranten. Die „Aufgabe Seenotrettung“ bleibe aber „weiterhin bestehen“, so eine Sprecherin.
„Wo sind die eigentlich?“
Ruben Neugebauer, Sprecher der Sea Watch, sagte, wenn seine Organisation Schiffbrüchige entdecke und an die italienischen Behörden Notrufe absetze, sei das nächste Schiff oft viele Stunden entfernt. „Und wenn wir gezielt nach Militärschiffen fragen, heißt es immer, es seien keine in der Gegend. Da fragen wir uns natürlich, wo sind die eigentlich?“
Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD, nahm die Marine hingegen in Schutz: Die „Erkundungsphase“ der Schlepperbekämpfungsmission laufe derzeit „zusätzlich zur Rettung automatisch mit“.
Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke sagte, die Zurückhaltung der Bundeswehr wundere sie „überhaupt nicht.“ Statt Flüchtlinge zu retten, würden nur Schleuser bekämpft. Der Grüne Omid Nouripour sagte, es erscheine wie ein „zynisches Schaulaufen, wenn man Hilfe suggeriert, die gar nicht da ist“. Langfristig müsse eine gut finanzierte, zivile Seenotrettung eingesetzt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren