Bundesverdienstkreuz für Felicia Langer: Umstrittene Ordensträgerin
Felicia Langer ist Holocaust-Überlebende und Menschenrechtsanwältin. Dass sie mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde, hat einen fulminanten Streit ausgelöst.
TÜBINGEN taz | Boris Palmer sitzt auf der Terrasse des Tübinger Bahnhofsrestaurants und schwitzt. Gerade hat der Oberbürgermeister der Universitätsstadt den Regionalzug nach Stuttgart verpasst; er war noch beherzt losgesprintet, aber die Zugtür war schon zu. Ein Radiojournalist hatte ihn befragt, drei Minuten waren abgemacht, doch kein Ende gefunden. Es sind immer wieder dieselben Fragen, die Palmer in diesen Tagen beantworten muss. Es sind Fragen nach Felicia Langer, der neuen Bundesverdienstkreuzträgerin seiner Stadt. Ob er nicht wusste, was sie so von sich gegeben hat, wird er gefragt und ob er seine Unterstützung im Nachhinein in Frage stellt.
"Ich bin konsterniert", sagt Palmer, "weil ich sehe, wie viel Hass es gibt." Nein, ihn als Bürgermeister darf nichts beleidigen, sagt er. Auch nicht, wenn man ihn "Wichser" nennt oder "Hitlernachfolger" oder village idiot, also Dorftrottel. Macht ihm nichts aus, sagt Palmer, aber um Felicia Langer tue es ihm leid. Die habe ihn besorgt angerufen, weil so viele Leute gegen sie seien, nachdem sie geehrt wurde.
Am 16. Juli wurde ihr das Bundesverdienstkreuz überreicht. Da standen sie noch in der Stuttgarter Staatskanzlei bei einem Glas Sekt beisammen und haben angestoßen. Die 78-Jährige Felicia Langer und ihr drei Jahre älterer Mann Mieciu, Boris Palmer und für Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger der Staatssekretär Hubert Wicker.
"Sie hat sich in herausragender Weise für Frieden und Gerechtigkeit sowie für die Wahrung der Menschenrechte eingesetzt", sagte Wicker. "Jahrzehntelanges Wirken für Benachteiligte und Unterdrückte" verdiene großen Respekt und Anerkennung. Der Vorschlag kam von Evelyn Hecht-Galinski, der Tochter des ehemaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Heinz Galinski. Boris Palmer hat ihn durch eine Unterschrift unterstützt, ein "formaler Vorgang" zu dem er stehe.
Wenige Tage nach der Verleihung haben die Publizisten Arno Lustiger und Ralph Giordano angekündigt, ihr eigenes Bundesverdienstkreuz zurückzugeben. "Niemand hat Israel ausdauernder zum bösen Prinzip der Weltgeschichte erklärt", schreibt Giordano in seinem Brief an Bundespräsident Horst Köhler, "in einer Ordensreihe mit Felicia Langer - das geht nicht." Nicht mit ihr, der "schrillsten Israel-Fanfare", der "Feindin Israels", wie er sie nennt.
Ein halbes Jahr vor der Verleihung gibt Felicia Langer der Internetplattform Muslim-Markt ein Interview, in dem sie von "Empörung gegen die mörderische israelische Aggression" spricht. Den ehemaligen israelischen Premier Ehud Barak, der einst in Camp David mit Jassir Arafat und Bill Clinton fast den Durchbruch zum Frieden geschafft hätte, will sie vor einen internationalen Gerichtshof stellen.
Gaza nennt sie "Ghetto" und am Antisemitismus sei Israel durch seine Regierungspolitik selbst schuld. Sie vergleicht wieder, spricht von "Apartheidspoltik". "Hier die bösen Israelis - da die guten Palästinenser", das sei ihr Muster, schreibt Ralph Giordano. Langer sei nicht nur eine Antisemitin, sagt er, "sondern mehr als das". Auch der Rechtsprofessor Gerhard Stuby, der sie 1990 an die Uni Bremen geholt hat, sagt: "Manche von ihren Aussagen hätte ich nicht gemacht."
In Felicia Langers Arbeitszimmer hängt das Corpus Delikti, der Verdienstorden, an der Wand, umgeben von Urkunden, Auszeichnungen, Fotos, Erinnerungen. Felica Langer trägt roten Lippenstift, roten Nagellack, eine rote Kette. Sie spricht von der Besatzungsmacht der Israelis. "Die Palästinenser können nicht viel tun", sagt sie, und erhebt ihren Finger. "Schreiben Sie, dass Israel aus den besetzten Gebieten abziehen muss, ich will, dass Sie das schreiben!"
Die Form ihrer Kritik sei abstoßend, sagt der Frankfurter Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik, "sie vergreift sich im Tonfall". Den "ewigen Vergleich mit dem Holocaust", auch wenn er sich auf das Wort Ghetto beschränkt, kann er nicht verstehen. Um dann doch einen anderen Vergleich zu stützen: "Die Politik der Israelis in den besetzten Gebieten ist faktisch Apartheid."
"Sie streitet gerne", sagt Gerhard Stuby, "sie ist eine anstößige Person. Aber in einem positiven Sinn." In den Siebzigerjahren hat er Felicia Langer auf einem Friedenskongress kennengelernt, als Langer in Israel für die Sache der Palästinenser kämpft. "Sie ist dem Staat Israel verbunden", sagt Stuby, "sie ist davon überzeugt, dass ihre deutliche Kritik letztlich auch im Sinne Israels ist."
In den Jahren, als Stuby Felicia Langer kennenlernt, besucht sie ein Gefängnis nahe Tel Aviv. Der in den USA geborene Palästinenser Sami Esmail sitzt in seiner Zelle, mit den Kräften am Ende, in der Hosentasche mehrere Packungen Medikamente. Die israelische Polizei wirft dem Studenten vor, aus einem Terrorcamp zu kommen, weil sie im Pass einen Stempel aus Libyen finden.
Esmail will sich umbringen, hält den Druck nicht aus. Er sagt, er wollte seinen sterbenden Vater in Ramallah ein letztes Mal sehen. Langer verteidigt Esmail vor Gericht, besucht ihn, gibt ihm Lebensmut und treibt ihm die Selbstmordgedanken aus. Er muss ins Gefängnis, bleibt aber mit Langer in engem Kontakt. Immer wieder besucht sie ihn. Er nennt sie bald "seine Mutter". Seine erste Tochter nennt er "Felicia". Es ist einer von vielen Fällen, aber es ist derjenige, der Langer bis heute am meisten bewegt.
"Diese Lebensleistung ist ihr hoch anzurechnen", sagt Micha Brumlik, "sie hat sich als eine der Ersten für die Rechte der Palästinenser eingesetzt." Mutig und aufrecht habe sie gehandelt, sagt er. "Damit hat sie nicht nur den Menschenrechten gedient, sondern auch dem Rechtsstaat Israel in seiner Entwicklung geholfen".
Mit 20 Jahren, 1950, zieht die junge Frau nach Israel, nachdem sie in Polen den Holocaust überlebte, auf der Flucht war und bis auf die Mutter die ganze Familie verlor. Es ist für sie keine politische Übersiedlung. Felicia Langer sagt, sie kannte zu diesem Zeitpunkt die Geschichte des Nahen Ostens und des Zionismus nicht. Auch wenn sie durch ihre Religionszugehörigkeit Opfer wurde - ihr neues Leben im jüdischen Staat Israel löste keinen besonderen Patriotismus bei ihr aus. Warum hat sie keinen Stolz gefühlt? "Ich hatte keine Zeit, stolz zu werden", sagt sie, "ich habe schnell viel Unrecht gesehen."
Sie spricht von zerstörten Dörfern und entrechteten Palästinensern. "Mir fiel auch damals schon die Diskriminierung der arabischen Bevölkerung auf", sagt Langer. "Ich wusste schon früh, wenn wir in Frieden mit den Palästinensern leben wollen, müssen wir das irgendwann wiedergutmachen."
Im Jahr 1967 arbeitet Felicia Langer seit zwei Jahren als Anwältin für Menschenrechte, da bricht am 5. Juni der Sechstagekrieg aus. Kurz nach Kriegsende besucht sie Nablus im Westjordanland. Der Palästinenser Hamseh Tukan hatte sie um Hilfe gebeten. Langer erschrickt beim Anblick des Hauses, das bis auf die Grundmauern zerstört ist. Unter den Trümmern sieht sie die Blumen, die zuvor den Garten geschmückt haben.
Es ist das Bild, das haften bleibt, die bunten Blumen unter Staub und Trümmern. "Ich habe mich als Jüdin geschämt", sagt sie. Sie schreibt einen offenen Brief an eine arabische Zeitung, verspricht den Wiederaufbau des Hauses, beschreibt, was sie gesehen hat. In ihrer Nachbarschaft im Tel Aviver Vorort Ramat Gan wird sie damit zur Verstoßenen. Die Blumen, bekommt sie zu hören, "werden bald auf deinem Grab liegen."
Vielleicht ein Lapsus?
Im Jahr 1990 beobachtet Langer, dass die Palästinenser, die sie vor Gericht verteidigt hat, härtere Strafen bekommen, als andere. "Das Rechtssystem ist eine Farce", sagt sie. Sie erhält kurz darauf den Alternativen Nobelpreis für ihren "vorbildlichen Kampf für die Grundrechte der Palästinenser". Dann holt Stuby sie an die Uni Bremen. "Wenn man etwas von Orden hält", sagt Stuby, "dann hat Felicia Langer das Bundesverdienstkreuz verdient." Trotzdem wundert er sich darüber, dass sie den Orden bekommen hat. "Ich hätte gedacht, man macht einen Bogen darum", sagt er, vielleicht sei es ein Lapsus vom Bundespräsidenten gewesen.
Eine Entscheidung ist derweil gefallen. Ralph Giordano wird sein Bundesverdienstkreuz nicht zurückgeben. Die Ordensverleihung sei ein Fehlgriff des höchsten Organs der Bundesrepublik Deutschland gewesen, erklärte Giordano am vergangenen Montag, aber "die mühsam gewachsene Zugehörigkeit mit der Bundesrepublik wiegt mehr". "Kläglich verpufft" sei damit der Versuch, "antiisraelische Stimmen unter dem Eindruck sinkender Solidarität mit Israel aufzuspießen", sagt Micha Brumlik. An seiner Kritik und der Aufforderung zur Aberkennung des Ordens hält Giordano fest. Versöhnt sei er trotzdem. Mit der Bundesrepublik. Nicht mit Felicia Langer.
Vielleicht zieht die Diskussion damit langsam vorbei, an Stuby, Felicia Langer, Giordano, Brumlik und dem Bundespräsidialamt, den vielen Journalisten und allen Beteiligten. Boris Palmer, der "zufällig in die Schusslinie geraten sei", wie er schreibt, erholt sich mittlerweile im Urlaub von einer Diskussion, die auch bei ihm Spuren hinterlassen hat. Viel gelernt habe er in den Tagen des Streits, sagt er, "für möglich gehalten habe ich es nicht".
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