Bundestagswahlkampf in der Kommune: Stadt, Land, Schluss
Womit die Bundesparteien werben, ist den Kommunen unwichtig. Ein linker Bürgermeister in Sachsen zieht dem Mindestlohn schnelles Internet vor.
Auf den ersten Blick ist in Flöha also vieles wie in jeder sächsischen Kleinstadt. Politisch ist die Gemeinde aber eine Besonderheit: einen Ortsvorsteher, der von der Linkspartei nominiert worden war. Beim Verspeisen ihrer Hähnchenschenkel im Freisitz vor dem Imbiss können die Arbeiter vom Holzhof auf das Rathaus blicken. Dort hat Oberbürgermeister Volker Holuscha sein Büro. Deutschland hat weit über 300 Oberbürgermeister, nur vier sind Mitglied der Linkspartei, Holuscha ist einer von ihnen. 2008 wurde die erste linke Oberbürgermeisterin des wiedervereinigten Deutschland gewählt, im sächsischen Borna. Es folgten 2012 das thüringische Eisenach, 2013 das sachsen-anhaltinische Halberstadt, und 2015 dann Flöha.
Linke Politik auf Kommunalebene, im ländlichen ostdeutschen Raum – da, wo die AfD Erfolge feiert, wo Pegida seinen Höhepunkt erlebte, wo der Unmut über die Bundespolitik groß und das Lohnniveau niedrig ist? Ausgerechnet 2015, in dem Jahr, in dem Angela Merkel die Grenzen öffnete und Joachim Gauck von „Dunkeldeutschland“ sprach? Wer Holuscha fragt, wie er gerade in diesem Jahr als Linker eine Wahl gewinnen konnte, bekommt eine lange Antwort. Mit Linkssein hat sie zunächst wenig zu tun, vielmehr mit Vertrauen.
Dass rechte Bewegungen so stark werden konnten, schreibt er dem deutschen Politikstil generell zu. Die Globalisierung lasse die Bürger mit einer massiven Verunsicherung zurück. „Die Leute fühlen sich nicht mehr ernst genommen, viele Dinge sind für sie nicht mehr nachvollziehbar.“ Holuscha spricht von Bürgernähe, Pragmatik und Ehrlichkeit. Und davon, nichts zu versprechen, was er nicht halten kann. Damit habe er Politik gemacht und auf große Wahlwerbung verzichtet. Auf der Hauptstraße vor seinem Büro hängt die Reklame der Parteien für die kommende Bundestagswahl. Versprochen wird darauf eine Menge, auch von Holuschas Partei.
Wenn er über sie redet, schwankt er zwischen „wir“ und „denen“, als ob er sich manchmal nicht sicher sei, ob er dazugehört. „Ich muss den Bürgern sagen, was geht und was nicht geht“, meint er. Im aktuellen Wahlprogramm der Linken findet er freilich einige Sachen, die ihm nicht einleuchten. Beispiel: Mindestlohn. Die Partei von Katja Kipping und Bernd Riexinger will ihn von derzeit 8,84 auf zwölf Euro anheben. Damit sei nicht nur ein gerechter Lohn, sondern auch eine ausreichende Altersvorsorge gesichert. „Nachvollziehbar“, findet Holuscha, aber „momentan nicht umsetzbar und für den Mittelstand schädlich.“
Hin und wieder macht er Betriebsrundgänge in seiner Kleinstadt und weiß, welche Sorgen die Unternehmer umtreiben. Da ist zum einen der Fachkräftemangel und der fehlende Nachwuchs. Eine Firma für Dachisolierung in der vierten Generation hatte kurz vor Beginn des Ausbildungsjahres noch keinen einzigen Bewerber. Die Jugendlichen, die hier im beeindruckenden, gläsernen Rundbau des Samuel-von-Pufendorf-Gymnasium vor wenigen Monaten ihr Abitur gemacht haben, zieht es eher in die umliegenden Städte zum Studieren, zum Beispiel nach Chemnitz.
Wenn er sich ein Thema aussuchen könnte, was die Parteien im Bund stärker in Angriff nehmen sollten, welches würde Holuscha wählen? Die Antwort überrascht. Nicht Schulen, nicht Kitas, nicht soziale Ungleichheit – „Breitbandausbau“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Er greift in sein Bücherregal und holt ein kleines weißes Buch heraus. „Man sollte ab und zu mal in das Grundgesetz schauen und das auch gewissen Verantwortungsträgern in Bund und Land unter die Nase halten“, sagt er lächelnd und findet zielsicher den gewünschten Passus: Artikel 87f, Absatz 1: „Nach Maßgabe eines Bundesgesetzes, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, gewährleistet der Bund im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen.“
Der Mittelstand ist wichtig für die ganze Kommune
Lehrermangel, Altersarmut, explodierende Mieten in den Großstädten – man stelle sich vor, die Linke würde angesichts dieser Umstände Wahlwerbung für schnelles Internet machen. Hat der Mann keine anderen Sorgen? Nein, denn er hat seine Gemeinde verstanden: Wenn der Mittelstand von Bord geht, sinkt das ganze Kommunenschiff. Die wenigen Betriebe sind Hauptarbeitgeber und Hauptsteuerzahler. Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität für den Nachwuchs durch schnelles Internet ist für Holuscha deswegen kein Standortvorteil, sondern eine „Standortbedingung“, wie er sagt. Straßen, Brücken, Schwimmbäder – über all das braucht er überhaupt nicht nachdenken, wenn die überlebenswichtigen Einnahmen fehlen.
Zwar fördert der Bund den Breitbandausbau, aber das Programm ist problematisch. Mit dem sogenannten „Betreibermodell“ müsste Holuscha für seine Kommune wie ein Unternehmen auftreten, Personal einstellen, Umsatzsteuer zahlen und mit der Telekom konkurrieren. Darüber hinaus ließe sich die Entwicklung der Baukosten kaum abschätzen. Er überlegt deswegen, den Millionenzuschuss schlicht abzulehnen. Sollten Mehrkosten auftreten, die der Bund nicht übernimmt, könne er „den Laden hier zumachen.“ Wie er das sagt, zeigt er mit dem Finger in seinem Büro herum. „Der Laden“, das ist aber nicht nur das Rathaus, das ist im Zweifelsfall die ganze Stadt mit ihren 11.000 Einwohnern.
Zusammen mit 51 weiteren Bürgermeistern sächsischer Kommunen hat er deswegen eine Petition unterzeichnet, die das Problem auf Landesebene anspricht. Wer von Holuscha etwas über seine Kommune lernt, begreift ein grundsätzliches Problem: Im etwa drei Stunden Autofahrt entfernten Berlin werden Versprechen gemacht, in den Stadträten und Kommunen müssen sie eingelöst werden. Nun überrascht es nicht mehr, dass der Linke einer Anhebung des Mindestlohns widerspricht.
Volker Holuscha
Die Linke versichert, dass ihr Programm mit der Reichensteuer vollständig finanzierbar wäre. „Das will ich auch gar nicht anzweifeln“, lenkt Holuscha ein. Aber: Wenn seine kommunalen Betriebe den Mindestlohn nicht zahlen können, müssen sie entlassen, auslagern oder gar schließen. Am Ende verlieren dabei alle. Als gelernter Bäcker habe er selbst noch von der Einführung des Mindestlohns profitiert, bevor er Oberbürgermeister wurde. „Aber ich habe auch gemerkt, welche Belastung das für meinen Arbeitgeber darstellt.“
Eigentlich steht im Grundgesetz das sogenannte „Konnexitätsprinzip“. Wenn das Land einer Kommune eine Aufgabe zuteilt, muss es demnach dafür sorgen, dass die Kommune diese Aufgabe finanziell umsetzen kann. De facto finden sich immer wieder Lücken in dem Prinzip, wie der Breitbandausbau zeigt. Die Haushaltslage der Kommunen ist auf dem Papier gut: 4,5 Milliarden Euro Überschuss erwirtschafteten sie im Jahr 2016. Aber: Hinter den vermeintlich guten Zahlen steckt eine Kommunenkrise. Wie die Bertelsmann-Stiftung ermittelt hat, sind nur einige wenige Kommunen in Bayern und Baden-Württemberg wirklich stark. Dem Rest gelingt kein Ausweg aus den Altschulden.
Der Abstand zwischen starken und schwachen Kommunen wird größer. In Süddeutschland wachsen einige, woanders flieht der Nachwuchs und der Mittelstand. Ein Schuldenkreislauf entsteht, trotz ausgezeichneter Konjunktur. Das ist längst nicht nur im Osten so, wie der Finanzreport der Stiftung zeigt: Die 17 am stärksten verschuldeten Kommunen liegen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Die konsequente Hilfe vom Bund hätten die verschuldeten Kommunen bitter nötig, nicht nur beim Breitbandausbau, sondern beispielsweise auch bei der Bildung. Hier verhindert das sogenannte Kooperationsverbot, dass sich der Bund in die Bildungspolitik der Länder einmischt.
Sein Parteibuch hat er in der Schublade versteckt
Der Unwille der großen Parteien, die Wirkungen ihrer Politik auf Kommunalebene nachzuvollziehen, lässt ihn zuweilen an der eigenen Partei zweifeln, nicht nur beim Thema Mindestlohn: Auch ein bedingungsloses Grundeinkommen sieht er skeptisch. Seit über 15 Jahren macht er für die Linke Politik im Stadtrat, ungeachtet der Kapriolen der Partei auf Bundesebene. Zwar ist er überzeugter Linker und will es auch bleiben, habe das Parteibuch für seine derzeitige Amtsperiode aber zunächst etwas tiefer in der Schublade verschwinden lassen.
Ideologische Streitereien interessieren den Wähler nicht: „Ich bin für sieben Jahre gewählter Dienstleister. Die Bürger bezahlen mein ordentliches Salär und meine Beschäftigten. Und so habe ich mich auch zu verhalten“, stellt Holuscha fest. Beim Verlassen von Flöha über die Hauptstraße schauen von links und rechts die Gesichter der Bundestagswahl von den Wahlwerbungen herunter: Merkel, Lindner, Petry, Bartsch, Schulz und Özdemir – sie alle verkünden in großen Formeln und Schlagworten, wie alles gut bleiben oder besser werden soll. Für einen Moment wünscht man sich, der Oberbürgermeister einer sächsischen Kleinstadt würde hier auf einen herunterlächeln und nichts versprechen, was er nicht halten kann.
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