Abgeordneter zum Fall Assange: „Nicht rechtsstaatlich“

Am Montag endet der Auslieferungsprozess in London. Frank Heinrich (CDU) hätte sich gewünscht, dass sich die Bundesregierung für Julian Assange einsetzt.

Protestierende mit Schildern gegen die Ausliegerung Assanges

Im September protestierten Assange-Unterstützer vor dem Gericht in London Foto: ap

taz: Herr Heinrich, am Montag entscheidet ein Gericht in London, ob Julian Assange an die USA ausgeliefert wird. Wie geht es aus?

Frank Heinrich: Tja. Wenn ich alle Hoffnungen und Gefühle beiseitelasse, gehe ich davon aus, dass es zu einem Auslieferungsentscheid kommt. Man muss die gestrichelte Linie dessen, was in den letzten Jahren passiert ist, einfach weiterziehen. Dann läuft es darauf hinaus.

Das klingt, als ob sie Nils Melzer zustimmen würden, dem UN-Sonderberichterstatter über Folter. Er kritisiert, dass das Verfahren grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien verletze.

Er hat ja schon sehr früh gemutmaßt, dass das Verfahren nicht rechtsstaatlich ist und dass psychologische Folter angewandt wurde. Das sind auch die Gründe, warum ich mich im Bundestag mit anderen Abgeordneten für die Freiheit von Herrn Assange ausgesprochen habe. Wir dürfen uns als Abgeordnete nicht anmaßen, die Judikative zu ersetzen. Es gilt schließlich die Gewaltenteilung. Aber auch wir sehen rechtsstaatliche Prinzipien verletzt.

56, sitzt seit 2009 für die CDU im Bundestag und ist Mitglied im Menschenrechtsausschuss. Mit Abgeordneten anderer Parteien gründete er im Dezember die Arbeitsgruppe „Freiheit für Julian Assange“.

Zum Beispiel?

Das fängt schon beim Grundsatz der „Open Justice“ an. Normalerweise sollte die Öffentlichkeit an Verfahren beteiligt werden, um Transparenz zu gewährleisten. Diese Grundlage war meines Wissens nicht gegeben, obwohl dass bei einem Verfahren mit so großem weltpolitischen Informationsinteresse umso stärker geboten ist.

Wenn das Gericht der Auslieferung tatsächlich zustimmt: Wie geht es dann Ihrer Ansicht nach weiter?

Erstens gibt es noch die kleine Hoffnung, dass Herr Biden, manche sagen sogar Herr Trump, eine Begnadigung in Aussicht stellen könnte.

Für wie wahrscheinlich halten Sie das?

Ich mag Zahlen: 5 Prozent? Es wäre ein internationales Signal gegen die Verfolgung von unliebsamen Journalisten. Dass Trump das tun würde, glaube ich nicht, sondern eher ein Herr Biden. Aber auch darauf habe ich wenig Hoffnung.

Und zweitens?

Egal, wie es am Montag ausgeht: Die unterlegene Partei wird Rechtsmittel einlegen. Am Ende könnte beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geklagt werden. Es ist gut möglich, dass der Fall dort auf einer Ebene behandelt wird, die den Vorstellungen von Herrn Melzer und anderen viel näherkommen.

Die Bundesregierung äußert sich öffentlich bislang nur sehr zurückhaltend zum Fall Assange. Sie sagt, sie vertraue der britischen Justiz und wolle das Verfahren nicht kommentieren. Ist das richtig?

Da gibt es zwei Seelen in meiner Brust. Ich weiß um die juristisch gebotene Neutralität. Ich hätte mir aber die ein oder andere diplomatische Aussage wünscht. Da Herr Assange auch mit deutschen Medien zusammengearbeitet hat, gibt es ein deutsches Interesse an dem Fall. Und wenn man immer wieder die Glaubwürdigkeit der Europäischen Gemeinschaft als Anwältin der Menschenrechte betont, hätte ich mir diese Anwaltsstimme das eine oder andere Mal ebenfalls stärker gewünscht.

In Ihrer Partei gibt es außer Ihnen nicht viele Fürsprecher Assanges. Die Petition zum Beispiel, die Günter Wallraff vor einem Jahr für Assanges Freilassung gestartet hat, wurde von dutzenden Prominenten unterschrieben. Aus der Union war aber nur Peter Gauweiler dabei. Woran liegt das?

Wir sehen uns als Rechtsstaatspartei und möchten uns, abgesehen von den Juristen und Menschenrechtlern, die sich mit den Feinheiten auskennen, nicht dazwischendrängeln – zumal wir England eigentlich immer noch als Vorbild wahrnehmen. Ich kann das gut verstehen. Aber in den letzten eineinhalb Jahren hat sich die humanitäre Situation von Herrn Assange verschlechtert, deshalb gibt es jetzt eine Reaktionsnotwendigkeit. Da kann ich mir vorstellen, dass der ein oder andere mittlerweile anders denkt.

Und welche Reaktionen haben Sie bekommen, nachdem Sie sich im Dezember mit Abgeordneten anderer Parteien für Assanges Freilassung eingesetzt haben?

Aus der eigenen Partei wurde ich nicht kritisiert, obwohl ja immer mal wieder behauptet wird, dass man bei so etwas Druck bekomme. Außerhalb der Partei, aus Assanges Unterstützermilieu und auch aus meinem Wahlkreis Chemnitz, habe ich Zuschriften bekommen, in denen stand: „Dankeschön. Toll, dass das jemand macht.“ Das kriege ich bei anderen Themen nicht oft. Normalerweise bekommen wir eher kleine Stinkefinger-Rückmeldungen.

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