Bundestag debattiert über Gesetz: Vier Streitpunkte bei der Sterbehilfe
Im Herbst soll über ein neues Gesetz abgestimmt werden. Wie ist der Status quo und was sind eigentlich die strittigen Punkte?
Auslöser der Debatte waren zunächst Sterbehilfevereine wie der des Hamburger Exjustizsenators Roger Kusch, die ihren Mitgliedern Unterstützung bei der Selbsttötung anbieten. Vielen Parlamentariern sind derlei Angebote ein Dorn im Auge; sie fürchten, dass die Selbsttötung so zu einem regelhaften Angebot am Lebensende werden könnte und dadurch Menschen, die dies ablehnen, unter Druck geraten könnten.
In Deutschland ist der Suizid straffrei. Derzeit wird auch niemand dafür bestraft, dass er anderen hilft, sich das Leben zu nehmen, etwa indem er ihm ein todbringendes Medikament überlässt oder einen Strick besorgt. Das heißt konkret: Solange die Tatherrschaft bei der Person bleibt, die sterben möchte, ist die Hilfe zulässig. Aktive Sterbehilfe, also die Tötung auf Verlangen, ist dagegen in Deutschland – anders als etwa in den Niederlanden oder in Belgien – auch jetzt schon strafrechtlich verboten. Daran will niemand im Bundestag rütteln.
Pro Jahr setzen etwa 10.000 Menschen in Deutschland ihrem Leben selbst ein Ende. Sie werfen sich vor Züge, stürzen sich von Brücken oder schlucken eine Überdosis Medikamente. Schätzungen zufolge greifen nur rund 500 von ihnen – derzeit völlig legal – bei ihrer Selbsttötung auf ein von Sterbehelfern bereitgestelltes Mittel zurück.
Entkriminalisierung eines sensiblen Themas
Auch aus diesem Grund wird der Sinn einer gesetzlichen Neuregelung, die zu einer strafrechtlichen Sanktionierung der Suizidhilfe führen würde, von vielen Juristen und Ärzten, aber auch von einer Mehrheit der Deutschen laut Umfragen bezweifelt.
Bereits im April dieses Jahres hatten sich 140 Strafrechtswissenschaftler um die Juraprofessoren Eric Hilgendorf und Henning Rosenau in einer Resolution gegen die Strafbarkeit des assistierten Suizids „aus verfassungsrechtlichen und medizinethischen Gründen“ ausgesprochen. „Mit der Strafbarkeit des assistierten Suizids würde die in den letzten Jahren erreichte weitgehende Entkriminalisierung des sensiblen Themas Sterbehilfe konterkariert“, warnten damals die Juristen.
Ähnlich äußerten sich Anfang Mai 180 Mediziner aus ganz Deutschland in einem Brandbrief an ihren Kammer-Präsidenten Frank Ulrich Montgomery. Montgomerys Credo, wonach es Ärzten standesrechtlich verboten ist, schwerstkranke Menschen in den Tod begleiten zu dürfen, sei nicht mit dem ärztlichen Berufsethos vereinbar, so die Verfasser des Briefs.
Mit seiner paternalistischen Haltung schade Montgomery dem Ansehen des Arztberufs. Zudem vertreten die Verfasser folgende Auffassung: „Es ist nicht nur ethisch vertretbar, sondern hilfreich und human, einen schwerstleidenden Patienten nicht im Stich zu lassen.“ Wer sich „wohlinformiert“ dazu entschlossen habe, dem eigenen Leben ein Ende setzen zu wollen, verdiene Hilfe.
1. Ab ins Gefängnis ohne Kompromisse
Wer: Initiatoren sind die CDU-Abgeordneten Thomas Dörflinger und Patrick Sensburg, der den NSA-Untersuchungsausschuss leitet
Was: Die bislang legale Beihilfe zum Suizid soll kriminalisiert werden, und dies in vollen Zügen: „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren“ soll bestraft werden, „wer einen anderen dazu anstiftet, sich selbst zu töten, oder ihm dazu Hilfe leistet“. Verankert werden soll dies im Strafgesetzbuch in Paragraf 217. Auch bereits „der Versuch“ der Suizidhilfe wäre demnach „strafbar“. Ausnahmen von der Strafbarkeit soll es keine geben – weder für Angehörige noch für Ärzte.
Begründung: Die Haltung fußt auf einer empirisch nicht belegten Unterstellung: „Wenn lebenserhaltende Therapie und Tod als gleichwertige Alternativen gesehen werden, wird der Patient, der sich für die Lebenserhaltung entscheidet, den Angehörigen und der Gesellschaft gegenüber dafür begründungspflichtig.“
Chancen: Keine. Selbst vielen Lebensschützern und konservativen Unionspolitikern geht diese Radikalität zu weit.
2. Sterbehilfe ja, aber nicht geschäftsmäßig
Wer: ein breites Bündnis aus Vertretern aller fünf Fraktionen, u. a. Michael Brand (CDU), Kerstin Griese (SPD), Kathrin Vogler (Linkspartei), Harald Terpe (Grüne) und Michael Frieser (CSU).
Was: Generell soll die Suizidhilfe wie bisher straffrei bleiben, doch der Teufel liegt im Detail: Sobald diese Hilfe nämlich über den Einzelfall hinausgeht und „geschäftsmäßig“ wird, was juristisch so viel bedeutet, dass sie auf Wiederholung angelegt ist, soll sie strafrechtlich geahndet werden – mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe. Dabei ist es den Verfassern des Entwurfs egal, ob die wiederholte Beihilfe zum Suizid von Ärzten, Sterbehelfern oder Vereinen geleistet wird; sie alle würden sich strafbar machen wegen der „geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“, wie es in Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs künftig laut ihrem Vorschlag heißen soll. Straffrei blieben lediglich Angehörige oder andere nahe stehende Personen, die einen Menschen, der Suizidhilfe sucht, zu einer entsprechenden, geschäftsmäßig handelnden Organisation hinfahren würden.
Begründung: Die Verfasser wollen nach eigenen Angaben vermeiden, dass sich „die Beihilfe zum Suizid zu einem Dienstleistungsangebot der gesundheitlichen Versorgung“ entwickelt. Ansonsten drohe eine gesellschaftliche „Normalisierung“ oder ein „Gewöhnungseffekt“. Von einem vollständigen strafbewehrten Verbot der Beihilfe zum Suizid sehen die Autoren ab, weil es „mit den verfassungspolitischen Grundentscheidungen des Grundgesetzes kaum zu vereinbaren“ und auch „politisch nicht gewollt“ wäre.
Chancen: Führende Strafrechtler aus Deutschland hatten in einem Positionspapier Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit solcher Pläne geäußert: Es sei kaum vorstellbar, eine Handlung, die zunächst jedem erlaubt sei, zu verbieten, sobald sie „geschäftsmäßig“ erfolge. Dennoch zeichnet sich im Bundestag ein breites Bündnis ab, das den Entwurf unterstützt – zu den bisherigen Unterzeichnern gehören etwa Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), CDU-Fraktionschef Volker Kauder, Grünen-Chef Cem Özdemir und SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann.
3. Der freie Wille wird nicht bestraft
Wer: Zu der Gruppe der Verfasser und Unterstützer gehören Renate Künast und Anton Hofreiter (beide Grüne), Petra Sitte und Dietmar Bartsch (beide Linkspartei) und Johannes Kahrs (SPD).
Was: Per Gesetz soll ausdrücklich positiv festgeschrieben werden, dass die Hilfe zur Selbsttötung nicht strafbar ist, egal von wem sie wie oft geleistet wird. Einzige Abweichung vom bisherigen Status quo: Wer „gewerbsmäßig“ Suizidhilfe anbietet, also mit der Beihilfe Geld verdienen will, soll bestraft werden – mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe. Umstrittene Sterbehilfevereine müssten dagegen wohl keine Sanktionen befürchten – ihre Mitgliedsbeiträge dienen der Kostendeckung und nicht als „fortlaufende Einnahmequelle“. Für Ärzte und Vereine, die Suizidhilfe anbieten, soll es künftig eine Pflicht zur ergebnisoffenen Beratung samt schriftlicher Dokumentation geben. Die Hilfe zur Selbsttötung wird explizit als eine mögliche ärztliche Aufgabe definiert, die Ärzten nicht untersagt werden dürfe. Anderslautende „berufsständische Regelungen“ erklärt dieser Gesetzentwurf für „unwirksam“. Diese Formulierung freilich ist nicht bloß Quatsch, sondern verfassungswidrig, denn der Bund darf sich nicht Kompetenzen anmaßen, die einzig den Ländern zustehen – wie etwa das Berufsrecht.
Begründung: „Staat und Gesellschaft dürfen es einem Menschen nicht abverlangen, einen qualvollen Weg bis zum bitteren Ende zu gehen“, finden die Verfasser. Es müsse möglich sein, denen zu helfen, die sich selbstbestimmt das Leben nehmen möchten. „Durch Verbote und eine damit einhergehende Tabuisierung wird lediglich erreicht, den Suizid zu kriminalisieren, ohne die Häufigkeit seines Vorkommens damit reduzieren zu können.“
Chancen: Dürfte das Volk direkt abstimmen, dann hätte dieser Entwurf wohl die größten Chancen, Gesetz zu werden. Seine Position entspricht laut Umfragen dem Mehrheitswillen der Deutschen. Im Bundestag dagegen dürfte der Entwurf kaum Erfolgsaussicht haben – zu groß ist die Gruppe der Abgeordneten, die Angst vor der Freiheit des Einzelnen haben und glauben, mündige Bürger vor sich selbst schützen zu müssen.
4. Mehr Rechtssicherheit für Ärzte
Wer: Federführend ausgearbeitet von SPD-Gesundheitsexpertin Carola Reimann, Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) und Vize-SPD-Fraktionschef Karl Lauterbach.
Was: Es ist der einzige Entwurf, der ohne strafrechtliche Auflagen auskommt. Wer schwer krank ist und sein Leben aus freiem Willen selbst beenden möchte, soll nicht alleingelassen werden. Im Bürgerlichen Gesetzbuch soll festgeschrieben werden, dass unheilbar Kranke zur „Abwendung eines krankheitsbedingten Leidens“ ärztliche Hilfe bei der „selbst vollzogenen Beendigung ihres Lebens“ erhalten dürfen. Allerdings müssen zuvor bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Dazu zählen eine ärztliche Beratung, die medizinische Feststellung, dass die Erkrankung unumkehrbar und der Tod wahrscheinlich ist, und die Bestätigung durch einen zweiten Arzt, dass der Todeswunsch und die Einwilligungsfähigkeit gegeben sind.
Begründung: Menschen, die vorhaben, sich das Leben zu nehmen, dürften nicht alleingelassen werden. Zugleich bräuchten Ärzte, die Menschen bei der Selbsttötung assistieren wollten, mehr Rechtssicherheit. Sei beides garantiert, entzöge dies auch Sterbehilfevereinen die Existenzgrundlage.
Chancen: Gelingt es der Gruppe, viele der noch Unentschlossenen im Bundestag zu überzeugen, dann könnte es am Ende ein Kopf-an-Kopf-Rennen geben zwischen diesem Entwurf und demjenigen Antrag, der die geschäftsmäßige Suizidhilfe verbieten will.
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