Bundesliga-Coutdown (6): Spiel ohne Spielmacher
Nachdem der Libero ausgestorben ist, macht sich der moderne Fußball daran, auch die Zehn, den kreativen Strategen, zu eliminieren. Genial kicken sollen nun alle Feldspieler.
Die Fünf und die Zehn stehen traditionell für das künstlerische Element im Fußball. Die Fünf gehörte dem Libero, dem elegantesten und technisch versiertesten unter den Abwehrspielern, und die Zehn wurde dem kreativen Strategen hinter den Spitzen zugeteilt. Seit etwa einem Jahrzehnt ist der Libero praktisch ausgestorben, nun macht sich der moderne Fußball daran, auch die Zehn aus dem Spiel zu eliminieren.
Diego und Marcelinho sind nach Lincolns Weggang die letzten großen Spielmacher klassischer Prägung in Deutschlands höchster Spielklasse. Es gab Zeiten, da stand die Besetzung dieser Position für viele Klubs im Mittelpunkt der sommerlichen Transferaktivitäten, nun sagt Bayern-Scout Paul Breitner: "Dieser Stratege hinter den Spitzen ist nicht mehr zeitgemäß."
Einfach auszurechnen
Zu einfach sei das Spiel dieses Akteurs auszurechnen, erklärt Breitner, und deshalb sei die Münchner Mittelfeldzentrale mit zwei Sechsern, also eher defensiv ausgerichteten zentralen Mittelfeldspielern, besetzt. Der Job des Kreateurs genialer Momente liegt nun in der Verantwortung praktisch aller Feldspieler, mal soll der geniale Pass oder das durchbrechende Dribbling von den Außenbahnen kommen, mal von den Sechsern, mal von einem hängenden Stürmer. Ganz ähnlich wollen Schalke, Leverkusen, Hertha BSC Berlin, der VfB Stuttgart, Hannover, der HSV und viele andere agieren.
Den typischen Spielmacher gibt es in diesen Klubs nicht mehr. Weil er kaum noch zu finden ist auf den internationalen Märkten, vor allem aber, weil er sich nur schwer in die modernen Systeme integrieren lässt. Meist lassen die flacher werdenden Hierarchien der Mannschaften nicht mehr zu, dass sich dort einer vorwiegend dem Schöngeistigen widmet, während dahinter ein paar arme Hunde schuften müssen. Außerdem wirkt ein Zehner klassischer Prägung oft als verlangsamendes Element im Spiel, und das passt so gar nicht mehr in den heutigen Hochgeschwindigkeitsfußball. Praktisch alle Trainer propagieren eine Forcierung des Vertikalspiels. Während früher noch viele Teams versuchten, mit vielen Ballkontakten und langen Ballstafetten die Lücke in der gegnerischen Abwehr zu öffnen, oftmals mit der zündenden Idee des Kreativchefs, wird nun variantenreich und vor allem schnell in die Spitze gespielt. Alle Topteams haben entsprechendes Personal verpflichtet, bei Bayer Leverkusen soll der rasend schnelle Kontervirtuose Theofanis Gekas Bernd Schneiders Gedankenblitze verwerten, bei den Bayern sollen das Tempo von Franck Ribéry und die Handlungsschnelligkeit von Zé Roberto das Spiel beschleunigen. Und seit Lincoln Schalke verlassen hat, versuchen die Gelsenkirchener noch schnörkelloser, als in Mirko Slomkas Vertikalfußballphilosophie ohnehin schon vorgesehen, zum Torabschluss zu gelangen.
Hinter dieser Vorstellung von Tempofußball steckt die nicht mehr ganz neue Erkenntnis, dass die größte Chance auf einen Torerfolg in den ersten 10 Sekunden nach der Balleroberung besteht - nämlich solange die Defensive des Gegners sich noch nicht sortiert hat. Fraglich bleibt nur, ob es den Spitzenteams tatsächlich angemessen ist, auch gegen Cottbus oder Bochum auf solch eine - übertrieben formuliert - Kontertaktik zu setzen. Um Tore gegen kompakte, defensiv eingestellte Gegner zu erzielen, wird immer weniger Wert auf lange Ballstafetten gelegt, in solchen Spielsituationen "sind immer öfter individuelle Fähigkeiten einzelner Spieler gefragt", sagt Slomka.
Moderne Spielöffner
Oft reicht es, durch ein kurzes Dribbling oder auch nur eine Täuschung für einen Sekundenbruchteil eine Überzahl zu schaffen, die am Ende zum Torerfolg führt. Franck Ribéry ist der Prototyp dieses modernen Spielöffners, aber natürlich liegt hier auch die edelste Aufgabe des Spielmachers alter Prägung. Denn ein Zehner von der Qualität eines gut aufgelegten Marcelinho oder Kaka kann noch so berechenbar sein, die Abwehrspieler werden sie doch nicht zu fassen kriegen. Aber solche Typen werden eben immer seltener.
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