Bundeskongress des DGB: Zweckoptimistisch in die Zukunft
Trotz Mitgliederrückgang und grassierender Tarifflucht zeigt sich der DGB optimistisch, den „digitalen Kapitalismus“ zivilisieren zu können.
Wahrscheinlich nicht allzu viel. Aber Hoffmann ist ja auch kein revolutionärer Denker und der DGB nicht der Bund der Kommunisten. „Wir können und wir werden die großen Umbrüche unserer Arbeitswelt und Gesellschaft demokratisch, sozial gerecht und nachhaltig gestalten“, rief der 62-jährige Diplomökonom den 399 Delegierten optimistisch entgegen. „Was wir erleben, ist die Entstehung eines digitalen Kapitalismus, den wir zivilisieren werden.“ Es sei „die demokratische Beteiligung der vielen, die bei uns mitmachen, die uns kollektive Macht gibt“. Das klingt etwas zu schön, um wahr zu sein.
Am Morgen war Hoffmann mit 76,3 Prozent der Stimmen in seinem Amt bestätigt worden. Das Wahlergebnis ist eine herbe Klatsche für den Sozialdemokraten. Bei seiner ersten Kandidatur vor vier Jahren kam er noch auf 93,1 Prozent. Besser schnitt Hoffmanns Stellvertreterin Elke Hannack ab, die mit 86,5 Prozent wiedergewählt wurde. Damit konnte sich erstmalig eine Christdemokratin über die meiste Zustimmung auf einem DGB-Bundeskongress freuen. Auch die frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach (81,2 Prozent) und das SPD-Mitglied Stefan Körzell (83,6 Prozent) erreichten bei ihrer erneuten Wahl in den geschäftsführenden Bundesvorstand ein stärkeres Ergebnis als Hoffmann.
Hoffmann muss den gewerkschaftlichen Dachverband durch Zeiten gesellschaftlichen Bedeutungsverlusts steuern. „Wir sind immer noch der größte Mitgliederverband in Deutschland“, gibt er sich zwar selbstbewusst. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.
Organisierungsgrad auf historischem Tiefstand
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes und der Bundesagentur für Arbeit sind derzeit etwa 44,4 Millionen Menschen in Deutschland erwerbstätig, davon sind mehr als 32,5 Millionen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Diesen Rekordzahlen steht jedoch ein schwindender gewerkschaftlicher Organisierungsgrad gegenüber, der inzwischen einen historischen Tiefstand erreicht hat. So zählen die acht im DGB zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften zusammen nur noch rund 5.995.000 Mitglieder, darunter 1,71 Millionen SeniorInnen. Unmittelbar nach der deutschen Wiedervereinigung kamen sie noch auf 11,8 Millionen Mitglieder.
Zwar sind die DGB-Gewerkschaften in einigen Branchen nach wie vor stark, beispielsweise die IG Metall in der Autoindustrie oder Verdi im öffentlichen Dienst. Doch in etlichen Branchen sieht es mehr als mau aus. Das lässt sich auch an der Anzahl der Betriebe ablesen, die sich noch in der Tarifbindung befinden. Nach den jüngsten Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung sind mittlerweile 70 Prozent weder an einen Flächen- noch einen Haustarifvertrag gebunden. Das bedeutet: Gerade mal 56 Prozent der Beschäftigten arbeiten heute noch auf einer tarifvertraglichen Grundlage – in Ostdeutschland sind es sogar nur 47 Prozent. Einen Branchentarif besitzen im Westen 48, im Osten gerade mal 36 Prozent. Das macht Arbeitskämpfe schwer. Zum Vergleich: Vor zwei Jahrzehnten verfügten noch fast 74 Prozent der Beschäftigten deutschlandweit über einen Tarifvertrag.
„Die abnehmende Tarifbindung und das Anwachsen tariffreier Zonen ist ein Angriff auf gewerkschaftliche Mitgestaltung und Mitbestimmung in Wirtschaft und Gesellschaft“, heißt es dazu im einstimmig beschlossenen Leitantrag des DGB-Bundesvorstandes. Da die eigene Kampfkraft nicht reicht, diesen fatalen Trend zu stoppen, soll die Bundesregierung nun für Abhilfe sorgen: Um Unternehmen die Tarifflucht zu verleiden, appelliert der DGB an die Große Koalition, die Möglichkeiten zu erweitern, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. Mit einer solchen Allgemeinverbindlichkeitserklärung kann das Bundesarbeitsministerium einen Branchentarifvertrag auch für Betriebe verpflichtend machen, die einem Arbeitgeberverband entweder gar nicht oder nur „ohne Tarifbindung“ angehören.
Der Haken: Möglich ist das bislang nur auf Antrag eines von den Tarifparteien paritätisch besetzten Ausschusses, wodurch die Arbeitgeber de facto eine Blockademöglichkeit besitzen. „Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen darf nicht durch das Vetorecht der Arbeitgeber behindert werden“, sagte DGB-Bundesvorstandmitglied Stefan Körzell. Und er weist auf ein weiteres wirksames Mittel gegen Tarifflucht hin: „Am besten hilft die Politik, wenn sie öffentliche Aufträge nur noch an tarifgebundene Unternehmen vergibt.“
Zu viel Parteimitgliedschaft im Spiel
„Manchen stellte sich die Frage, ob der DGB seine parteipolitische Neutralität aufgegeben habe“, formulierte ein Hamburger Verdi-Delegierter nicht nur sein Unbehagen bei der Aussprache zum Geschäftsbericht des Vorstands. Doch das dürfte gerade bei der derzeitigen Bundesregierung ein frommer Wunsch bleiben. Dabei hatten sich der DGB und insbesondere sein Vorsitzender Hoffmann vehement für den Fortbestand der schwarz-roten Koalition eingesetzt. Bei seiner geradezu flammenden Ansprache an die „lieben Genossinnen und Genossen“ auf dem SPD-Bundesparteitag Ende Januar verschwammen dabei auch schon mal die Grenzen zwischen dem DGB-Chef und dem SPD-Mitglied. Innergewerkschaftlich sorgte Hoffmann damit für einige Verstimmungen, was der zentrale Grund für sein schwaches Wahlergebnis sein dürfte.
Er wisse, dass einige „es kritisch gesehen haben, dass wir uns so klar positioniert haben“, ging Hoffmann auf die Kritiker ein. Aber im Vergleich zu den Alternativen sei die Fortsetzung der Großen Koalition die beste Option. So könnten die Gewerkschaften für sich „beanspruchen, dass wir einiges in diesem Koalitionsvertrag durchgesetzt haben“. Als „Erfolge“ bezeichnete Hoffmann die Rückkehr zur Parität in der Krankenversicherung, die Stabilisierung des gesetzlichen Rentenniveaus und die Zusage für mehr Investitionen in Bildung, bezahlbares Wohnen und eine nachhaltige Infrastruktur. Außerdem seien alle im DGB-Bundesvorstand gemeinsam der Auffassung gewesen, „dass wir eine möglichst stabile Regierung brauchen, gerade auch mit dem rechten Pack im Nacken“.
Das „rechte Pack“, sprich: die AfD, bewegt viele auf dem Bundeskongress. Vor und hinter den Kulissen kommt immer wieder die Rede auf die Partei, die auch unter Gewerkschaftsmitgliedern bedenklichen Zuspruch erfährt. 15 Prozent von ihnen entschieden sich bei der vergangenen Bundestagswahl für sie. Doch das ist kein Anlass zur Fraternisierung: Anders als der Münsteraner Katholikentag hat der DGB die AfD als einzige der im Bundestag vertretenen Parteien nicht zu seinem Bundeskongress eingeladen.
Annelie Buntenbach, DGB
Die AfD versuche, „die soziale Frage zu kapern, obwohl sie nichts für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu bieten hat“, konstatierte DGB-Bundesvorstandsfrau Annelie Buntenbach. Es dürfte nicht tatenlos zugeschaut werden, wie sich die RechtspopulistInnen „über ihre braunen oder blauen Hemden auch noch ein soziales Mäntelchen ziehen“. Da müssten die Gewerkschaften „mit klarer Kante gegen halten“, forderte Buntenbach. Sie wisse allerdings auch: „Da wird die Luft auch schon mal dünner, nicht nur im Osten der Republik.“
Immerhin: Bei den Ende Mai abschließenden Betriebsratswahlen haben AfD-nahe Gruppen keinen Blumentopf gewinnen können. Von rund 180.000 zu vergebenden Mandaten errangen Rechtsaußenlisten bislang knapp zwei Dutzend, zumeist zu Lasten arbeitgebernaher „christlicher Gewerkschaften“. Und es dürften nicht mehr viel dazu kommen. Die Listen der DGB-Gewerkschaften können sich hingegen sogar über Zuwächse freuen. „Das hat gezeigt: Wir können die Rechten in ihre Schranken weisen“, sagte DGB-Chef Hoffmann. „Unsere Betriebsräte stehen gegen Ausgrenzung, gegen Rassismus und gegen Spaltung, und das sind 99,9 Prozent der gewählten Betriebsräte.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“