Bundesarbeitsgericht zu Alkoholikern: Anspruch auf Lohnfortzahlung
Kein Selbstverschulden: Wenn Alkoholiker wegen ihrer Sucht krankgeschrieben sind, muss der Arbeitgeber sechs Wochen weiterzahlen. Das gilt auch für einen Rückfall.
ERFURT dpa | Arbeitgeber müssen alkoholsüchtigen Beschäftigten sechs Wochen lang das Gehalt weiterzahlen, wenn diese wegen ihrer Sucht krankgeschrieben sind. Sucht und auch Rückfälle nach einer Therapie seien in der Regel nicht als Selbstverschulden zu werten, das den Anspruch auf eine Lohnfortzahlung aufhebe, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) am Mittwoch in Erfurt (Az.: 10 AZR 99/14).
Die Richter wiesen die Revision eines Bauunternehmens aus Nordrhein-Westfalen zurück, das einem alkoholkranken Mitarbeiter nach einem Rückfall die Lohnfortzahlung verweigert hatte.
Stattdessen sprang die Krankenkasse des Mannes mit Krankengeld ein – und verklagte die Firma anschließend auf Rückzahlung von rund 1300 Euro. Aus Sicht des Arbeitgebers habe sich der Mann in Kenntnis seiner langjährigen Sucht einem Rückfall ausgesetzt, sagte der Anwalt der Firma in der Verhandlung.
Dies spreche für ein schuldhaftes Verhalten. Die Krankenkasse hingegen berief sich auf ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, das ein Selbstverschulden ausschloss. Die Vorinstanzen gaben der Kasse recht – wie nun auch das BAG.
Selbstverschulden liegt laut BAG nur dann vor, „wenn ein Arbeitnehmer in erheblichem Maße gegen das von einem verständigen Menschen in seinem eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt“. Dies sei bei Alkoholsucht in der Regel nicht der Fall.
Keine Heilung
Bei Alkoholabhängigkeit spielten mehrere unterschiedliche Ursachen zusammen, so dass nicht von einem einzigen Grund auszugehen sei. Auch nach einer Entzugstherapie bestehe die Sucht zudem latent weiter, sagte der Vorsitzende des 10. Senats, Rüdiger Linck: „Eine Alkoholsucht kann nicht geheilt werden wie ein Beinbruch.“
Grundsätzlich auszuschließen ist ein Verschulden von Alkoholkranken an einem Rückfall nach BAG-Auffassung aber nicht. Immerhin blieben 40 bis 50 Prozent der Alkoholsüchtigen nach einer Therapie abstinent, so die Arbeitsrichter. Im Streitfall müsse deshalb ein medizinisches Sachverständigen-Gutachten beweisen, dass Selbstverschulden vorliegt.
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