Bulgarisch-Bremisches Romandebüt: Scheidung als Sehnsuchtsziel

Die Bremerin Antonia Bontscheva hat ihren Roman „Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere“ schreiben müssen. Ihn zu lesen ist ein Vergnügen.

Blick auf die Bucht von Baltschik

Schön. Aber auf gewisse Weise auch herb: Baltschik am Schwarzen Meer Foto: vaccacionesbulgaria/wikimedia CC-BY-SA-4.0,3.0,2.5,2.0,1.0

BREMEN taz | Dieses Buch musste geschrieben werden, so viel ist klar. Dafür spricht der erzählerische Sog, den es entfaltet, und der dafür sorgt, dass sich seine über 400 Seiten mal so eben locker weglesen lassen. Von der Notwendigkeit ihres Buchs hatte Antonia Bontscheva schon frühzeitig die Jury des Bremer Au­to­r*in­nen­sti­pen­di­ums überzeugt, 2009 war das.

Und dann, acht Jahre später, ließen sich auch die Herren, die über die Residenz in den Worpsweder Martin-Kausche-Ateliers zu befinden hatten, auf das Wagnis ein, ein so lange sich vorbereitendes Debüt noch einmal zu pushen. „Bulgarian Beauty“ nannte Bontscheva ihr Projekt damals noch.

Es greife „ein wichtiges Themenfeld unserer Tage“ auf, konstatierte die Laudatio, nämlich „Grenzen, Transkulturalität, Identitätsfindung im Wechselspiel zwischen zwei Kulturen“. Und diese Beschreibung hört sich weiß Gott vielversprechend, aber doch so akademisch-sperrig an, dass auf Anhieb einleuchtet, dass es über zwölf Jahre gedauert hat, bis dieser Roman zu einem guten Ende – plus einem etwas passenderen Titel gefunden hat.

„Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere“ heißt er jetzt. Das klingt zwar immer noch zu nostalgisch, aber immerhin beseitigt es die irreführende cineastische Assoziation zu Sam Mendes Erfolgskomödie.

Mit dem Taxi ans Eingemachte

Und es produziert einen erhellenden Moment des Befremdens angesichts des radikal unbekannten Toponyms: Baltschik ist ein 10.000-Seelen-Kaff am Schwarzen Meer, uralte griechische Gründung, später lange osmanisch, im 19. Jahrhundert mit Bedeutung für den Getreidehandel, dann rumänisch, seit dem Zweiten Weltkrieg wieder bulgarisch.

Baltschik spielt im Buch keine größere Rolle: Es könnte auch Zarewo sein oder Nessebar, Hauptsache Schwarzmeerküste, ethnischer Mix, Schlaglöcher und eingelegte Paprika plus Schafskäse. Der Ort ist zweifellos, neben Bremen, der wichtigste Schauplatz. Und die groteske Begegnung mit einem Taxifahrer, dem der Transport eingemachter Viktualien Vorrang vor den Wünschen seiner Passagierin hat, erfasst sehr akkurat eine Stimmung, die in den Jahren des großen Umbruchs auf dem Balkan geherrscht und in ihrer unfreiwilligen Komik Anlass zum ungläubigen Staunen gegeben hatte.

Aber die Städte bleiben unspezifisch, es sei denn, sie werden gerade zur welthistorischen Bühne wie Ost-Berlin. Und selbst da geht es Bontscheva nicht um Kolorit. Das sind einfach die Wohnorte der Hauptfigur, die sie „Ich“ genannt hat. Eine Autobiografie ist das Buch aber nicht: „Die Familie ist erfunden“, sagt sie, „die Szenen meist auch.“

Das gelte gerade für jene, die radikal intim wirken: ein Unfall mit einem real-sozialistischen Strandklo, einer Baumwollbinde und einer gerecht erzürnten Toilettenfrau, die mütterlich assistierte Beinenthaarung mit frisch geschmolzenem, also deutlich über 100 Grad heißem Zucker, die naturalistische Schilderung einer demütigenden Abruptio graviditatis durch einen gut gelaunten deutschen Jung-Arzt.

Eine unromantische Trennungsgeschichte

Das sind Passagen, die, gerade weil sie Schmerz und Ekel verhandeln, den Eindruck des Authentischen herstellen. „Ich hatte nicht das narzisstische Bedürfnis, mein Leben aufzuschreiben“, stellt Bontscheva hingegen klar. „Mein Leben ist uninteressant.“

Was ihr Roman stattdessen erzählt, ist die denkbar unromantische Geschichte einer Trennung. Es ist nicht das Ende einer Liebe, sondern viel eher das langsame Erlangen der Einsicht, dass da keine Liebe je existiert hat. Die Ehe, oder besser: die Verheiratung von der Ich-Frau und ihrem blöden parteitreuen Sergeij, war zwar keine direkt arrangierte, aber sie war eben doch eine komplett durch gesellschaftliche Konventionen herbeigeführte und bestimmte Verpartnerung.

Ihre total missglückte Anbahnung hat Bontscheva mit beißendem Spott gestaltet. Und ihr förmliches Ende, der Vollzug der Scheidung, bleibt als wahres Sehnsuchtsziel dieses Romans natürlich unerzählt. Abgesehen vielleicht vom Vater sind die Männerfiguren des Buchs blass geblieben; zumal Sergeij hat Bontscheva allzu schablonenhaft und flach entworfen.

Antonia Bontscheva: „Die Schönheit von Baltschik ist keine heitere“, Frankfurter Verlagsanstalt 2021, 416 S., 24 Euro, als E-Book 15,99 Euro

Dass dieses Söhnchen einer Horrormutter eine gequälte Seele haben könnte, ein eigenes Gefühlsleben und Tiefe, wird 14 Seiten vor Schluss erstmals angedeutet. Bis dahin füllt er als unwitzige Karikatur die Seiten. Das lässt die Vermählung der zwei reichlich rätselhaft erscheinen. Interessant wird Bontschevas Geschichte aber ohnehin nicht durch Gefühlsintensität, sondern durch deren Abwesenheit.

Gerade das macht den Roman politisch lesbar: Er bildet in seiner Paar-Nichtbeziehung beiläufig, vielleicht ungewollt, den Konstruktionsfehler und Zusammenbruch des Ostblock-Regimes in Bulgarien ab, die postsozialistische Orientierungslosigkeit des Landes und seine Ambivalenz in Bezug auf den Westen.

Von Bremen ans Schwarze Meer

Er macht europäische Integration als eine Art Identitätskrise spürbar: Er lässt sich also als historischer Roman lesen. Seine Gegenwart sind die Jahre von 1994 bis 1995, in denen das Balkanland sich, obschon weiterhin unter jetzt gewählter sozialistischer Führung, darauf vorbereitet, den EU-Beitrittsantrag zu stellen.

Das zwingt geradezu zu einer vielschichtigen Zeitstruktur: Die Erzählung springt von jenem Jahr in Bremen, in dem sich Ich die Haare kurz schneiden, von einem russischen Lover schwängern und von einer Depression in die völlige Lähmung treiben lässt, nachdem im Sommer sein Vater gestorben ist, hin zur Kindheit am Schwarzen Meer. Von dort springt sie her zum Studium in Wendezeiten an der Humboldt-Uni, hin zur Phase des Berufsverbots für den Vater, den Chirurgen her zu seinem Begräbnis und wieder zurück.

Das passiert mitunter verwirrend unvermittelt und kann die Lektüre ins Stolpern bringen. Meist aber sind die Übergänge durch Assoziationen stark grundiert, manche sogar virtuos motiviert. Ein tolles Debüt. Eins, das nach Fortsetzung ruft.

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