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Büstenhalter-VerbrennungWeg damit!

Mit Hilfe von Eisenstangen, Schleifchen und Gelkissen wird der BH immer mehr zur Festung - in der Frau gefangen gehalten wird. Zwei Plädoyers gegen den BH.

Büstenhalter: Wehrhafte Festung oder seidenweicher Knast? Bild: dpa

JUDITH LUIG: "Männer sind wie Schafe", sagt meine Freundin. Sie ist Unternehmungsberaterin und lässt sich deshalb auch gern privat professionell beraten. Der "Mann = Schaf"-Vergleich stammt aus einem dieser "Venus mit Einparkproblemen"-Bände und geht wie folgt: Laut einer Studie US-amerikanischer Wissenschaftler erkennen Schafsböcke ihre Intimpartner am Fell. Da sie diese zwecks Erbgutverbreitung möglichst oft wechseln, wäre also die einzige Chance eines Schäfchens auf einen treuen Bock, wenn es das Fell wechselte.

Frauen, so der Ratgeber, haben Schafen gegenüber den Vorteil, dass sie ihre Kleidung wechseln können. Allerdings geht es hier nicht um Kleidchen oder Hosenanzüge, sondern ganz konkret um Unterwäsche: Eine Frau braucht, so der Tipp, eine möglichst große Kollektion an Miederwaren, um ihrem Sexualpartner zu suggerieren, dass er eigentlich mit einer ganzen Armada schläft.

Wenn man sich diese Anekdote vor Augen führt, scheinen die historischen BH-Verbrennungen der Feministinnen nur sinnvoll. Schließlich war ja die Jeder-mit-jedem Liebe ein wichtiges Anliegen der Zeit, da wollte man doch seine Kapazitäten nicht verschwenden und die Nacht nicht versehentlich mit einem Abgehakten verbringen.

Interessanterweise zieht auch der Mythos von der ersten BH-Verbrennung überhaupt den Schafvergleich. Bei der Wahl zur Miss America am 7. September 1968 krönten Protestlerinnen stellvertretend ein Schaf zur Schönheitskönigin! Dann schmissen sie BHs, High Heels und Lippenstift in einen "Freiheits-Mülleimer" - ob er wirklich brannte, ist allerdings umstritten. Die Legende vom Unterwäschefeuer wird von mehreren Quellen genährt, von Historikerinnen jedoch angezweifelt. In dem Buch "In our time: Memoir of a revolution" erklärt Susan Brownmiller, dass die Parole der BH-Verbrennung nur eine Erfindung männlicher Schlagzeilenmacher war, gedacht "als Beleidigung für die sich formierende Frauenbewegung".

Die vor sechzig Jahren gestellte Forderung nach körperlicher Selbstbestimmung ist irgendwie nach hinten losgegangen. Statt sich von ihm zu befreien, legen sich Frauen ein immer größeres Sortiment überdekorierter BHs an. Es gibt die Balkonette-Variante, bei der man seine Brüste auf eine kleine Spitzenbordüre mit Schleifchen hieven kann, das Cabrio mit offenem Verdeck, wo eigentlich nur ein stützender spitzenbesetzter Streifen bleibt. Es gibt Silikoneinsätze, Strassverzierungen, durchsichtige Plastikträger für die Spaghettihemdchen, unter denen es sich vorzüglich schwitzen lässt. Es gibt BHs aus allen erdenklichen Stoffen und sogar solche, die gar nicht aus Stoff sind, so wie das Modell aus Zuckerperlen (für den Junggesellenabschied?). Bei großem Nacktheitsbedarf kann man zwei speziell designte Heftpflaster unter die Brust kleben. Bei großer Unsicherheit gibt es die Festung Europa mit geformten Schaumstoffhügeln für die Totalprotektion.

Vor wem schützt man sich eigentlich? Wovon lenkt man mit dem Glitter ab? Davon, dass man ohne genormte Brust nicht mehr in die Kategorie passt?

All dies lässt hoffen, dass es bald mal eine BH-Verbrennung geben wird. Leider wird wohl aus Gründen des Umweltschutzes nix draus: Die giftigen Dämpfe von all dem Plastikzubehör dürften sich so schnell nicht abbauen lassen.

EVELYN PALEIDEKE: Auf Hochzeitsfeiern muss ein fülliges Dekolleté unbedingt sein. Als Brautjungfer will man schließlich die Aufmerksamkeit der Herren auf sich ziehen, sonst könnte man den aufgefangenen Brautstrauß gleich wieder fallen lassen. Denn ohne Herrenblicke keine Aussichten, die nächste Heiratskandidatin zu werden. Und ohne vollen Busen keine Blicke. Aber woher die Fleischmassen nehmen, wenn der liebe Gott der Genetik sie einem nicht geschenkt hat? Ein Push-up-BH muss her. Spezialboutiquen führen ein exklusives Angebot an Lifts. "Dieses Modell ist mit Gel gefüllt, wiegt zwar etwas schwer, der Busen fühlt sich aber an wie echt", flötet die flotte Verkäuferin, die mir mit ihrer aufdringlichen Servicehaltung gehörig auf die Nerven geht.

Ich kann mir aber keinen BH für 120 Euro leisten. Also ab zu H&M, die ihr Sortiment auf die Altersgruppe zwischen elf und fünfzehn Jahren ausgerichtet haben und A-Cup-Trägerinnen mit extrakleinen, aber hoch effektiven Push-ups sicher aus der Patsche zu helfen wissen. Tatsächlich: Die Unterwäscheabteilung sieht vielversprechend aus. Gierig raffe ich die Billig-BHs zusammen und verschwinde in der muffigen Umkleidekabine. Der erste BH, ein mintfarbenes Spitzenmodell, presst die Brüste zusammen und lässt sie füllig aufquellen.

Allerdings sieht es so aus, als würden sie gar nicht mehr rechts und links am Oberkörper wachsen, sondern als hätte ich in der Mitte einen einzigen, hart verkanteten Busenball sitzen. Beherzt reiße ich die lose eingelegten Schaumstoffschalen aus der Fütterung und werde den sperrigen Stapel Holz vor der Hütte trotzdem nicht los. Das zweite Modell hat Metallstreben eingenäht, die das Attribut "übertrieben" verdienen. Wozu einen stahlharten 12-Tonnen-Lastenaufzug bemühen, wenn es nicht mehr als einen Ziegelstein zu hieven gilt?

Das dritte Modell, perfekt! Tatsächlich sehe ich aus wie eine gut bestückte Rubensfrau. Aber ist das Vorspiegeln falscher Tatsachen nicht verboten? Und was passiert, wenn ich auf der Hochzeitsfeier einen netten Herren kennenlerne und er nach einer durchfeierten Nacht feststellen muss, dass ich eine Frau aus dem Ersatzteillager bin? Der Hochpresseffekt des vierten Modells ist noch schlimmer, das fünfte Modell geht gar nicht …, und den zehnten BH reiße ich mir schließlich unwirsch über den verschwitzten Kopf. Erstmals an diesem Shoppingnachmittag fühle ich mich herrlich frisch und frei.

Mein Entschluss ist definitiv: Ich möchte nicht "im Handumdrehen mehr Fülle" vortäuschen und überhaupt keinen "Büstenhalter" zu Vergrößerungszwecken tragen. Schon das spießige Wort törnt mich ab. Ich will mir keine Eisenstangen, Schaumstofflager oder Gelkissen vor den Latz schnallen - sie beengen mich nur in meiner naturgegebenen Kreatürlichkeit. Wer sich in Push-up-BHs zwängt, könnte sich auch gleich ein Schild um den Hals hängen: "Ja, es stimmt: Je dicker die Dinger, desto besser." Push-up-Trägerinnen nehmen für ein vermeintliches Schönheitsideal Striemen an den Schultern in Kauf. Ohne mich. Lieber investiere ich mein Geld in ein hauchdünnes Baumwollkleid und tanze mit ihm "oben ohne" auf der Hochzeit. So wie Jodie Foster in ihrer Rolle als Naturkind "Nell": ganz herrlich frisch und ganz herrlich frei.

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7 Kommentare

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  • S
    Sarah

    Meine Damen und Herren,

     

    es gibt auch Frauen die mehr als nur A oder B haben. Für die ist ein BH eine wahre Entlastung. Denn ohne BH zu rennen wird ab ner gewissen Größe schmerzhaft. Auch tanzen tut weh, wenn die Brüste hin und her schlagen.

     

    Schade, dass es aber wenig vernünftige/praktische BHs gibt. Was soll eine Frau mit mehr als nem KG Oberweite mit einem Träger so dünn wie ein Schnürsenkel?

  • M
    Mazza

    toller artikel - wie frauen sich in korsagen zwängen lassen. früher waren es `korsetts`, die den meisten frauen die luft zum atmen abschnürten, nur damit sie sich in ein vorherrschendes frauenbild einfanden.

    auf den `weiblichkeitswahn` haben starke feministinnen der früheren jahre mit symbolischen aktionen

    auf sich aufmerksam gemacht. ich finde es wichtig auf den heutigen mode-/schönheits-/jugend-wahn hinzuweisen . welche blüten der inzwischen kommerz. schönheitswahn treibt, sehen wir an magersucht , sog. schönheitsoperationen, fettabsaugung, brustvergrösserung und -verkleinerung, botox, manipulierte abb. von magersüchtigen modellen, prominenten frauen in hochglanzbroschüren, fehlendes selbtbewusstsein ..

    solange sich frauen über ihr aussehen definieren bzw. definiert werden, kann mann sie auch gut im zaum halten. wirkt so manche (aus erfahrung)auf mich kraftlos , kritiklos gegenüber dem herrschenden `weiblichkeitswahn` ... diese mädchen/frauen trauen sich nicht einmal ` unretuschiert ` in die öffentlichkeit zu gehen.

  • N
    Natascha

    Nachdem erst in der Emma ein Artikel erschienen ist der sich mit der völlig unbedeutenden Frage beschäftigt hat, ob Frau sich Intim rasieren "darf", schon wieder ein Artikel der versucht subjektive Geschmacksfragen zu Ideologie zu erhöhen.

    Den Kleidungsstil einer Person zu akzeptieren ist eine der grundlegensten Arten von Toleranz. Wenn man keinen BH tragen möchte, dann lässt man ihn halt weg, es ist aber unsolidarisch den Geschmack anderer zu rügen, weil der eigene keine Akzeptanz findet . Besser ist es für grundsätzliche Toleranz gegenüber unterschiedlichen Kleidungsstilen zu werben.

  • J
    Jones

    Man kanns auch übertreiben.

     

    Für mich ist ein BH kein Symbol der Unterdrückung, so feministisch meine Gesinnung auch sonst sein mag.

    Es ist schlicht ein Mittel zur Schmerzvermeidung bei schnellen Bewegungen. Wenn der BH dann auch noch schön und bequem ist, wo liegt das Problem?

    Ich selbst greife auch gerne hin und wieder zur 'Mogelpackung, weil es SPASS macht, zu sehen, wie es wäre wenn man mehr 'Holz' hätte.

     

    Und ganz ehrlich - wenn der 'nette Herr' dann nach dem auspacken 'bemerken sollte, dass ich nur ein Ersatzteillager bin' - dann ist ihm das entweder egal, oder er kann sich verabschieden.

    Das Argument, dass die 'Mogelpackung' die falschen Männer anzieht stimmt zwar, aber für diesen Fall hat Frau ja immernoch ihr Hirn zum aussortieren, oder nicht?

     

    Die beiden Artikel bemühen sich zwar, selbstbewusst-weiblich daherzukommen... doch alles was ich darin lese ist, dass Frauen sich immernoch viel zu sehr daran orientieren, was Männer von ihnen denken KÖNNTEN. Macht doch mal einfach was für EUCH SELBST.

  • FW
    Frau Wau

    "Ich kann mir aber keinen BH für 120 Euro leisten."

     

    Ja, so ist das, wenn man für die taz schreibt. Arme Socke.

  • J
    Joscha

    Ich finde gerade von einer linken Tageszeitung in Deutschland hätte man(n) mehr Sensibilität erwarten können. Öffentliche Verbrennungen von irgendetwas zu forden.....hatten wir das nicht schon mal?

  • AC
    Arne Christoffers

    Fast gut

     

    Der Artikel ist insofern Lobenswert, als er die Frage aufwirft, welchen Zwängen sich die Frauen beim Thema BH unterwerfen.

     

    Leider geht er nicht weit genug. Eigentlich wäre nach der langen Zeit der Magermodels zu erwarten, daß die Frauen davon zumindest eine Sache gelernt haben: Auf große Oberweiten kommt es nicht an. Schlimmer noch: Wenn Mann nur auf große Oberweite reagiert, sollte Frau doch auch gleich verstehen, daß da offenbar wenig Platz für eine dauerhafte Beziehung ist, weil Mann sich nicht für die Person, sondern lediglich für einen Teil der körperlichen Attribute interessiert. Insofern nimmt sich jede Frau, die durch seltsame Spezial-BHs den Anschein erweckt, etwas fülliger ausgestattet zu sein auch gleichzeitig das wichtigste Frühwarnsystem für verkorkste Männer.

     

    Selbst wenn Frau darauf verzichten möchte, so schreckt sie mit einer aufgemotzten Oberweite möglicherweise genau jene Männer ab, die sie mit ihrer natürlichen Ausstattung attraktiver finden. Schließlich ist es dabei ja ein wenig anders als bei der männlichen "Problemzone", der Ausstattung des Penis, denn bei der Oberweite geht es doch nur um Optik. Wobei auch zu beachten wäre, das jeder Mensch grundsätzlich einen anderen Körperbau hat, und was bei einzelnen Menschen gut aussieht, anderen nicht einmal stehen würde.

     

    Insofern wäre mehr Mut zum eigenen Körper durchaus wünschenswert und würde auch den Chirurgen, von denen sich scheinbar immer mehr Frauen gern zerschneiden lassen, bloß um den Anschein von "mehr" zu erwecken, ebenso wie vielen Therapeuten wohl einiges an Arbeit ersparen.

     

    Viel wichtiger wäre, daß Frau endlich mal lernt, sich im eigenen Körper wohl zu fühlen, denn gerade so etwas schlägt sich schnell in vielen Dingen positiv nieder und sorgt für ein deutliches Plus an Attraktivität und Aufmerksamkeit.

     

    Es mag gut sein, daß die Problematik in erster Linie darauf beruht, daß zum einen gern von einem Idealbild für alle ausgegangen wird, statt von individuell passenden Bildern. Doch wer würde in einer Welt leben wollen, in der alle gleich aussehen?

     

    ...und wenn an der Notwendigkeit des BH gerüttelt wird, dann sollte vielleicht auch gleich mal an der Notwendigkeit von Parfum gerüttelt werden. Die Natur hat es nun einmal so eingerichtet, daß der Mensch genetische kompatibilität auch über den KÖRPERgeruch feststellt und wer sich regelmäßig wäscht wird kaum mit einem "wie riechst Du denn" konfrontiert werden. Wenn potentielle Partner besonders kompatibel sind, kann typischerweise nicht einmal tagelanges Schwitzen ohne Waschmöglichkeit abschrecken, sondern es wird eher die umgekehrte Wirkung entfaltet. Schließlich sagt man ja nicht umsonst, man könne jemand gut riechen und meint damit keinen Gestank...

     

    Insofern mehr Mut zum eigenen Körper bitte!

     

    Arne