Bürgerschaftswahl in Bremen: Die designierten Verlierer
Nur eine Ökokatastrophe kann Bündnis 90/Die Grünen vor dem Absturz auf unter 20 Prozent retten. Dennoch ist Rot-Grün wahrscheinlich.
BREMEN taz | Das tut jetzt ein bisschen weh. In anderen Bundesländern würden die Grünen über 16 Prozent jubeln und sich freuen. Aber in Bremen, da bleibt das erste Umfrageergebnis vor der Bürgerschaftswahl am 10. Mai deutlich hinter dem grünen Fukushima-Allzeithoch der Wahl 2011 zurück.
Und auch wenn niemand damit rechnet, die 22,5 Prozent von damals ohne knallige Umweltkatastrophe wiederholen zu können – 16 Prozent ist für Grüne in Bremen „ein Wert, der ziemlich unzufrieden macht“, sagt der Grünen-Fraktionsvorsitzende Matthias Güldner. „Ich hoffe, das ist für manche Leute jetzt ein Weckruf“, sagt er, „damit die sich klarmachen: Um ein grünes Bremen zu bekommen, muss man auch zur Wahl gehen.“
Einen Brief genau diesen Inhalts hat am Wochenende auch Karoline Linnert, Finanzsenatorin und unumstrittene Spitzenkandidatin der Grünen, an alle Parteimitglieder rausgeschickt: „Mir ist wichtig, dass wir die letzten drei Wochen zusammenstehen“ – und so was halt: Zu mobilisieren ist die schwierigste Aufgabe für alle bei der Wahl zur Bremer Bürgerschaft am Muttertag: Rot-Grün wird fortgesetzt, das scheint festzustehen. Zugleich fehlt ein zugkräftiges Thema: Die Wahl hat keine Kontroversen.
Parteiprominenz? Sorry, gibt's nicht
Bündnis 90/Die Grünen aber, deren Klientel sonst besonders pflichtbewusst zu den Urnen strömt, hat dabei diesmal die ungünstigste Ausgangslage. Einerseits können sie im Vergleich zum Rekordergebnis von vor vier Jahren nur als Verlierer dastehen – und wer wählt schon gern Verlierer? Andererseits fehlen ihnen die Leitfiguren: Jürgen Trittin kommt zum Bremer Wahlkampf – und sogar auch die … ähm, na die Dings, die bei der Bundestagswahl, na Sie wissen schon?! Genau die!
Aber echte Parteiprominenz: Sorry, gibt’s derzeit nicht. Außer Winfried Kretschmann aus Baden-Württemberg, der wiederum in Bremen niemand begeistert: Sein TTIP-Kurs befremdet, seine Abschiebepolitik empört die Parteifreunde an der Weser – und seine Machtspiele im Bundesrat findet man schäbig. Als Anfang des Jahres aus Stuttgart die freundliche Mail mit dem Angebot aufzutreten ankam, „da habe ich erst mal einen Moment tief durchgeatmet“, sagt Grünen-Landesvorsitzende Henrike Müller, Dozentin an der Uni. Und dann hat sie eine ebenso freundliche Antwortmail getippt: Herzlichen Dank. Derzeit kein Bedarf. Mit grünen Grüßen.
Wäre man in der Opposition besser dran?
Drittes Problem: Die seit 2007 andauernde rot-grüne Koalition verlangt so viel Selbstdisziplin, zumal unter dem zur Staatsräson erhobenen Sparkurs. Und während dies – paradox genug – den diskursfreudigeren und individualistischeren Grünen etwas besser glückt als den Sozis, die immer mal wieder per Pressemitteilungen Grünflächen zubetonieren wollen, scheint sie den Ökos viel bitterer zu schmecken: „Alles Vernünftige wird von denen einfach abgeblockt!“, solche Stoßseufzer begleiten mitunter zornige Berichte darüber, wie ein neuer Antrag schon fast die Welt gerettet hatte, bevor ihn der große Partner in die Tonne trat. Oh, dieses Sichverbiegen, dieses Sichärgern mit dem Partner – wäre man in der Opposition, zwar erfolglos, aber immerhin wieder ganz man selbst, nicht besser dran?
Dass sie „gehörigen Respekt“ vor der kommenden Wahl habe, hatte Bürgermeisterin Linnert schon vergangenen Herbst im kleinen Kreis erzählt – und in einer Fraktionssitzung hatte sie damals noch mal eine echte Rede gehalten: „Ihr müsst doch sagen können“, hat sie den Abgeordneten ins Gewissen geredet, so wie früher, als sie noch Fraktionsvorsitzende war, „worauf in den vier Jahren ihr stolz seid!“, und: „Das war richtig gut“, raunt es noch heute.
Jetzt geht’s also darum, als Erfolg zu verkaufen, woran die linken Ränder der Partei längst zu zweifeln begonnen haben: Dass das Haushaltsnotlageland den Konsolidierungspfad hält, der ihm jährlich 300 Millionen Euro Bundeshilfe einbringt, ist Linnerts Projekt, ein grünes Projekt. „Ich wünsche mir sehr“, hatte Parteichefin Müller deshalb gesagt, „dass die BremerInnen unser Ja zur seriösen Finanzpolitik nicht als defensive Haltung missverstehen.“ Schließlich „sitzen wir nicht auf einem Sack voll Gold, den wir nur anstechen müssen, und alles läuft“.
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