Bürgerrechte in den Koalitionsverhandlungen: Die Chance der Liberalen
Die Partei muss ihren Anhängern bald Erfolge beim Thema Sicherheit vorzeigen. Die Erwartungen hochgetrieben hat das Wahlprogramm der Partei.
Der Druck auf sie muss immens sein. Als Sabine Leutheusser-Schnarrenberger am gestrigen Donnerstag wieder die Landesvertretung Baden-Württembergs betrat, da gab es in ihrer Arbeitsgruppe Sicherheit und Justiz noch keine Anzeichen auf Einigungen zwischen Union und FDP.
Alles war noch drin für die Verhandlungsführerin der Freidemokraten, auf der in diesen Tagen so große Erwartungen lasten: Zugeständnisse der Union bei den Sicherheitsgesetzen ebenso wie eine Niederlage der FDP. Doch ein Einknicken würde nicht nur den guten Ruf der ehemaligen Bundesjustizministerin beschädigen. Er würde auch die Hoffnungen vieler Parteifreunde und Sympathisanten zunichte machen, die sich Hoffnungen machen auf eine andere, eine wirklich liberale FDP.
Der Lärm, den Parteichef Guido Westerwelle in Wahlkampfreden über die Segnungen niedrigerer Steuern verbreitet hat, hat etwas anderes in den Hintergrund gedrängt: Unter den Freidemokraten mehren sich die Stimmen jener, die sich nicht damit abfinden wollen, dass jede Bundesregierung Privatsphäre und Bürgerrechte weiter beschneidet. Durch den Wahlerfolg gewinnen auch jüngere FDPler an Einfluss, denen Steuersenkungen zwar wichtig sind, Bürgerrechte aber nicht egal. Heute steht Leutheusser-Schnarrenberger, die lange Zeit weitgehend allein gegen Sicherheitsgesetze vor Gericht zog, wieder im Zentrum des Interesses.
Ein Blick auf die 15 Mitglieder der Arbeitsgruppe "Innen, Justiz, Informationsgesellschaft" zeigt, wie tief der Graben zwischen FDP und Union auf diesem Gebiet ist.
Union: Für die Partei leitet Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Verhandlungen. Der ist bekanntlich ein Verfechter der Sicherheitsgesetze, die seit 1998 verabschiedet worden sind. Ihn unterstützt neben anderen Wolfgang Bosbach (CDU), der der FDP vergangene Woche vorwarf, sie wolle Internetkriminalität "mit Tipp-Ex bekämpfen". Ihnen zur Seite steht der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der die Auswirkungen von Killerspielen mit denen von Drogen und Kinderpornografie verglichen hat. Schäuble wird nachgesagt, er wolle trotz seiner 67 Jahre gern Innenminister bleiben. Er hat also auch persönliche Gründe, bei den Verhandlungen hart zu bleiben.
FDP: Für die FDP will Sabine Leutheusser-Schnarrenberger deutliche Änderungen der Sicherheitsgesetze erreichen. Dasselbe gilt für ihre vier Mitverhandler, insbesondere die beiden Innen- und Rechtsexperten der Bundestagsfraktion, Gisela Piltz und Max Stadler. Stadler war FDP-Obmann im BND-Untersuchungsausschuss. Von Piltz stammt ein Antrag, der Zugangssperren für Kinderporno-Seiten im Internet verhindern soll.
Stellvertretend für viele FDP-Nachwüchsler ist Johannes Vogel. Der 27-Jährige ist Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen (JuLis), hat gerade den Einzug in den Bundestag geschafft und setzt große Hoffnungen in Leutheusser-Schnarrenberger: "Wenn wir uns beispielsweise bei der Netzzensur in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen, dann wäre das erstmals seit dem 11. September 2001 eine Trendumkehr in der Innenpolitik", sagt Vogel der taz. Zufrieden geben will er sich damit nicht: "Das kann aber nur der Anfang sein." Der Druck der Jungen wächst: In der künftigen FDP-Fraktion sind 17 von 93 Abgeordneten jünger als 36 Jahre.
Die Erwartungen hochgetrieben hat das Wahlprogramm der Partei. Darin fordern die Freidemokraten die "Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung und den Verzicht auf heimliche Onlinedurchsuchungen privater Computer". Außerdem lehnen die Bürgerrechtspolitiker "die Erhebung und Speicherung von Fluggastdaten" ab, ebenso den "Umbau des Bundeskriminalamtes (BKA) zu einem deutschen FBI". Die fünf FDP-Unterhändler müssen nach dem Ringen mit ihren Unions-Kontrahenten etwas liefern, das sich als Erfolg verkaufen lässt. Ein Rückbau der Vorratsdatenspeicherung beispielsweise, außerdem die Verhinderung, die Bundeswehr im Inland einzusetzen.
"Natürlich gibt es klare Erwartungen an die FDP-Verhandlungsführung, etwas an den bestehenden Gesetzen zu ändern", sagt Alexander Alvaro der taz. Der 34-Jährige sitzt für die FDP im EU-Parlament und wünscht sich eine Prüfung der Sicherheitsgesetze der vergangenen Jahre: "Wir müssen die Frage stellen: Was haben diese Gesetze tatsächlich gebracht? Die bisherige Praxis des ,Aus den Augen, aus dem Sinn' kann angesichts der weitreichenden Regelungen, die da beschlossen wurden, nicht mehr gehalten werden."
Rückenwind für die FDP-Bürgerrechtler liefert das erstaunlich gute Abschneiden der Piratenpartei bei der Bundestagswahl. Deren zwei Prozent der Wählerstimmen sind für die Freidemokraten der Beweis, dass insbesondere junge Menschen sich für Bürgerrechte interessieren - und davon mitunter ihre Wahlentscheidung abhängig machen. Die Chancen für die FDP stehen gut.
So setzt auch Florian Altherr vom "Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung" auf die Freidemokraten: "An ihrer Standfestigkeit in puncto Bürgerrechte wird sich die FDP in den nächsten Jahren messen lassen müssen." Arbeitskreis-Mitglied Patrick Breyer gab gar eine viel beachtete Wahlempfehlung zugunsten der FDP ab.
"Die Impulse der Piratenpartei nehme ich sehr ernst, und ich bewerte sie positiv", sagt Gerhart Baum der taz. Der einstige Bundesinnenminister von der FDP ist einer der konstantesten Verfechter der Bürgerrechte. Gegen das Gesetz zur Onlinedurchsuchungen bei Verdacht hat der Anwalt im vergangenen April Verfassungsbeschwerde eingelegt. "Es besteht großer politischer Handlungsbedarf, das Verhältnis von Freiheit und Schutz geistigen Eigentums im Internet auszutarieren", urteilt Baum.
Bislang gebe es bei diesem Großthema mehr Fragen als Antworten. Baum setzt auf die selbstbewusster gewordenen Bürgerrechtspolitiker seiner Partei: "Die FDP engagiert sich seit einiger Zeit wieder verstärkt bei diesem Thema. Das gehört natürlich in die Koalitionsverhandlungen."
Hingegen will die Union alle Streitthemen am liebsten verschieben. Erst sollen die Verfassungsrichter über Baums Klage gegen das Gesetz zur Onlinedurchsuchung entscheiden. Bis zu einem Urteil können jedoch noch Monate vergehen. Leutheusser-Schnarrenberger will in den kommenden Tagen eine Entscheidung.
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