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Bürgermeisterwahl in Bad FreienwaldeEine Stadt ringt mit sich selbst

Nicht erst, seit rechtsextreme Schläger ein Straßenfest der Vielfalt überfielen, ist die Stadtgesellschaft polarisiert. Am Sonntag ist Bürgermeisterwahl.

Die Innenstadt von Bad Freienwalde Foto: Toni Petraschk

Markthändler bauen ihre Stände ab, Jugendliche rattern in schwarzen Hoodies auf Simson-Mopeds vorbei. „Eigentlich wollen wir einfach unsere Ruhe haben hier.“ Die Rentnerin, die das sagt sitzt in ihrem motorisierten Rollator auf dem von Eichen gesäumten Marktplatz von Bad Freienwalde. Ihr Gesicht hat sie mit einem Käppi vor der Herbstsonne abgeschirmt. Ihren Namen möchte sie nicht nennen. Gelb-schwarze Hertha-Sticker kleben auf ihrem Gefährt. Auf dem Button an ihrem Beutel steht „Die Friedenspartei“ – er ist von der AfD.

In dem brandenburgischen Städtchen Bad Freienwalde ist am Sonntag Bürgermeisterwahl. Die Frage, wer hier vor wem Ruhe haben will, ist nicht so leicht zu beantworten. Sicher ist nur das: Ruhig ist es zurzeit nicht. Der Bürgermeister Ralf Lehmann (CDU), seit 1993 Amtsinhaber, tritt nicht mehr an. Nach über 30 Jahren wird es erstmals einen Wechsel im Rathaus geben.

Nahezu wöchentlich finden Wahlforen mit den Kandidierenden statt, Wahlkampf wird an Ständen gemacht, die Laternen sind mit Wahlplakaten behängt. Direkt vor dem Bahnhof steht ein großes Banner der AfD, das ein „Ende der Spaltung“ verspricht. Der parteilose Frank Vettel tritt hier für die Blauen an, seine Kontrahenten sind die lokale CDU-Vorsitzende und Stadtratsverordnete Ulrike Heidemann und der parteilose Marco Terei.

Ruhig war es in dem 12.000 Ein­woh­ne­r:in­nen zählenden Bad Freienwalde auch vorher nicht. Im Juni überfielen mutmaßlich rechter Jugendliche und junge Männer das Vielfaltsfest des Bündnisses „Bad Freienwalde ist bunt“. Die circa 12-köpfige Gruppe verwüstete mit Schlagstöcken und Quarzhandschuhen das Fest, mindestens zwei Personen wurden verletzt, es gab Knochenbrüche. Bisher konnte die Polizei nur einen Tatverdächtigen ermitteln, er ist in der Neonazi-Partei III. Weg organisiert.

Weit über Bad Freienwalde hinaus sorgte der Überfall für Entsetzen. Die Fest­ver­an­stal­te­r:in­nen erfuhren viel Solidarität. Dem amtierenden Bürgermeister Lehmann warfen jene vor, den Angriff zu verharmlosen und keinen Kontakt mit den Betroffenen gesucht zu haben.

Nun stellt sich die Frage: Was für einen Einfluss hat der Ausbruch rechter Gewalt auf die Wahl? Und wie wird der nächste Bürgermeister oder die nächste Bürgermeisterin mit der polarisierten Stadtgesellschaft umgehen?

Wie geht es weiter?

30 Prozent der Wäh­le­r:in­nen in Bad Freienwalde machten bei den Kommunalwahlen 2024 ihr Kreuz bei der vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuften AfD. Bei der Bundestagswahl 2021 waren es sogar 44 Prozent. Seit Jahren lässt sich auch ein Erstarken rechter Jugendkultur beobachten, Kader gewaltbereiter rechtsextremer Jugendgruppen wie die „Deutsche Jugend Voran“, die neonazistische Kleinstparteien der III. Weg und deren Jugendorganisation „Nationalrevolutionäre Jugend“ sind in Bad Freienwalde aktiv. Das erzählen auch die Sticker, die an den Laternenpfosten kleben.

Ulrike Heidemann will am Sonntag das Rathaus für die CDU gewinnen Foto: Toni Petraschk

Gleichzeitig sind da jene, die sich für Vielfalt und Demokratie einsetzen. „Mir ist es wichtig, vor allem jungen Menschen zu zeigen, dass das nicht der einzige Weg ist, dass es hier auch eine Gesellschaft gibt, die zugewandt und inklusiv ist, nicht menschenverachtend“, sagt Judith Strohm von eben jenem Bündnis, das im Juni angegriffen wurde. Im ländlichen Raum gebe es genauso queere Jugendliche, binationale Paare und Menschen mit Behinderung wie in der Stadt. Es sei Aufgabe, eine Gesellschaft für alle zu gestalten. Antidemokratische Tendenzen müssten offensiv den Blick genommen werden, fordert die 47-Jährige.

Bei den Kommunalwahlen 2024 haben 30 Prozent der Bad Freienwalder die AfD gewählt

Im Wahlkampf zumindest wird das Thema Rechtsextremismus meist vermieden. „So etwas wie im Juni darf nicht wieder vorkommen“, – so oder so ähnlich sagen es fast alle Kandidat:innen. Die Debatte bleibt aber bei der Diskussion über mehr Polizeipräsenz gegen rechte Umtriebe stehen. Zu groß scheint das Konfliktpotenzial, zu groß auch der Einfluss der AfD-Wähler:innen, die fast die Hälfte der Bevölkerung ausmachen.

Das Gute nicht aus dem Blick verlieren

Gegenüber Fremden sind die Bad Freienwalder nicht sonderlich gesprächig. Bei der Suche nach politischen Antworten ist Ratlosigkeit spürbar. Wenn die Leute reden, sagen sie wenig Gutes über ihr eigentlich recht hübsches Städtchen, das den Beinamen Kurstadt trägt. Fünf Regelschulen und eine Sonderschule gibt es, mehrere Einkaufsmöglichkeiten, eine historische Altstadt und ein Moorbad. Die Rede kommt immer wieder auf die Fertigstellung des Kreisverkehrs, bezahlbaren Wohnraum und die stillliegende Hotelbaustelle. Und einfach darum, „dass sich zu lange nichts geändert hat“, wie ein Passant sagt.

Diese Unzufriedenheit müsse man ernstnehmen, meint Ulrike Heidemann, CDU-Anwärterin für das Bürgermeisteramt, zur taz. „Dass es ein ganz großes Misstrauen gibt, ist auch hier im Kommunalen spürbar“. Gleichzeitig dürfe man aber nicht aus dem den Blick verlieren, dass sich in den letzten Jahren trotz der knappen Mittel im Stadthaushalt einiges getan hat. „Das kann man sehen, wenn man durch die Stadt fährt, dass die Häuser alle saniert und die Straßen in der Innenstadt schon ganz gut gemacht sind“.

Die Straßenplanerin ist seit neun Jahren in der CDU Bad Freienwalde, seit 2023 sitzt sie auch im Stadtrat und leitet den Bauausschuss. Dort habe sie Politik richtig erlernt, sagt die 43-Jährige. Sie schätzte das sachliche Arbeiten. Selbstverständlich werde es in den Ausschüssen einen sachlichen Austausch mit allen geben. Nicht geben werde es jedoch vorherige Absprachen mit der AfD, um Mehrheiten zu bilden. „Das ist für mich die Brandmauer“, betont Heidemann.

Den „Alles anders“-Ansatz ihrer zwei parteilosen Kontrahenten sieht sie deshalb skeptisch. Beide verfügen bisher über noch keine kommunalpolitische Erfahrung in der Stadtverordnetenversammlung. Ihre Konkurrenten werben hingegen mit ihrer Neuheit und Frische. Der aus der Wirtschaft kommende Kandidat Marco Terei wertet seine Parteilosigkeit als Vorteil, um mit allen auf Augenhöhe sprechen zu können.

Das Ende der Brandmauer?

Das Stadtparlament gilt in Bad Freienwalde als gespalten. Die Verordneten der CDU, Wählervereinigung NCC, Grüne und Linke, die zusammen die überfraktionelle „Allianz für die Kurstadt“ bilden, stehen dort oft der AfD, Wählervereinigung 2019 und der SPD gegenüber. Mit „Spaltung überwinden“ meint der parteilose AfD-Kandidat Vettel deshalb nicht nur eine gesellschaftliche Spaltung, er meint auch ganz konkret das Ende der Spaltung im Stadtparlament. Und so sagt er bei einem Wahlforum am Dienstag ausdrücklich: „Ich will ein Ende der Brandmauer“. Rund ein Drittel der Leute klatscht, der Rest demonstrativ nicht.

Die AfD wirbt in der Innenstadt Foto: Toni Petraschk

Rund 200 Leute sind an diesem Abend gekommen, um sich die Standpunkte der Kan­di­da­t:in­nen zu Bildung, Demokratie, Wirtschaft, Inklusion, ­Gesundheit, ÖPNV und Kultur & Sport anzuhören. Organisiert hat das Wahl­forum die Stephanus Stiftung, ein sozialer Träger und einer der größten Arbeitgeber in Bad Freienwalde. Es betreibt dort unter anderem Werkstätten und Wohnangebote für Menschen mit Behinderung sowie für Geflüchtete.

Richtig konkret wird es dann erst bei den Fragen der Bürger:innen: „Fühlen Sie sich den Zielen der Bundes-AfD verbunden?“, fragt ein Mann den parteilosen AfD-Kandidaten. Dieser antwortet: „Diese Frage gehört, wenn Sie mich fragen, nicht in diese Veranstaltung. Aber wenn wir es jetzt mal konkret machen, also zum Beispiel ‚Was halten Sie von Remigration‘? Dann sage ich ‚Das ist nicht meine Politik‘“. Trotzdem tritt Vettel am Sonntag für die AfD an.

Es ist offen, wie die Bür­ger­meis­te­r:in­nen­wahl am Sonntag ausgehen wird. Ob es eine der drei Kan­di­da­t:in­nen im ersten Anlauf schafft, oder es eine Stichwahl geben wird. Klar ist aber das: Auch nach der Wahl wird keine wirkliche Ruhe in Bad Freienwalde einkehren. Hinter der Fassade der Kurstadt brodelt es.

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