Bürgerkrieg in Syrien: Die Schlinge um Aleppo zieht sich zu
Nur kurz hat die Waffenruhe gehalten: Truppen der Regierung greifen Aleppo an – wenige Meter trennen sie vom letzten Nachschubweg der Rebellen.
Schon in der Nacht zu Donnerstag griffen Regierungstruppen Rebellenstellungen im Nordwesten von Aleppo an. Unterstützt wurden sie dabei nach Angaben von Damaskus wie von Rebellen durch Luftangriffe der Russen. Die Angriffe in Aleppo und Idlib forderten bis Samstag mindestens 50 Tote, und bei Granatenbeschuss von vom Regime kontrollierten Stadtteilen Aleppos kamen etwa 40 Menschen ums Leben.
Nur einige Hundert Meter trennen die Regierungstruppen noch von der Castello Road. Die Straße im Nordwesten von Aleppo ist der letzte Nachschubweg in den von den Rebellen kontrollierten Ostteil der Stadt. Rebellen, Aktivisten und syrische Helfer bestätigten dies am Freitag.
Das Regime kontrolliere mehrere Hügel entlang der Straße, die durch flaches Land führt, sagte ein Aktivist gegenüber der taz. „Praktisch kann die Opposition die Straße nicht mehr nutzen.“ Am Samstag nahmen Aufständische zwar fünf Stellungen an der Castello Road ein, doch der Nachschubweg bleibt gekappt, weil das Regime ihn beschießen kann.
Aktivisten zeigten sich zuversichtlich
Aleppo, das ehemalige Wirtschaftszentrum von Syrien, ist seit Juli 2012 faktisch zweigeteilt: Das Regime kontrolliert den Westen, und Rebellen den Osten. Ein Stadtteil im Norden wird von Kurden kontrolliert, die am Freitag im Schatten des Regimes einen Angriff auf verfeindete arabische Gruppen starteten. Nach massiven russischen Luftangriffen hatte das Regime im Februar die wichtigste Versorgungsroute, die im Norden zur türkischen Grenze führte, unter seine Kontrolle gebracht.
Im Juni drohte Syriens Machthaber Baschar al-Assad mit einer weiteren Eskalation. Aleppo werde zum Grab aller Träume und Hoffnungen des „Schlächters“ werden, sagte Assad. Gemünzt waren die Worte auf den türkischen Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. Die Türkei betrachtet Aleppo als ihre Einflusszone und unterstützt in der Region diverse Rebellengruppen.
Aktivisten zeigten sich allerdings zuversichtlich, dass es dem Regime nicht gelingt, Ost-Aleppo einzukesseln. Aleppo sei nicht mit anderen Städten vergleichbar, sagte ein Aktivist. In der Region gibt es mehrere Zehntausend Kämpfer, die sich zwar nicht einig sind, aber wohl alles tun werden, um den Fall von Aleppo zu verhindern.
Sollten die Rebellen aber scheitern, wäre die Einkesselung nur noch eine Frage der Zeit. Damit wären rund 300.000 Zivilisten, die in dem Ostteil leben, von jeder Hilfe von außen abgeschnitten. Die Lage sei furchtbar, sagte ein Arzt. Der Strom an Verletzten und Toten reiße nicht ab. Die Notfallkliniken haben sich bereits auf eine mögliche Belagerung eingestellt und ihre Vorräte an Medikamenten und Verbandsmaterial aufgestockt. Aber irgendwann wären diese aufgebraucht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Abschluss G20-Gipfel in Brasilien
Der Westen hat nicht mehr so viel zu melden
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften