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Bürgerkrieg in SyrienVizeregierungschef will verhandeln

Der syrische Vizeregierungschef signalisiert Bereitschaft über einen Rücktritt Assads zu verhandeln. Gleichzeitig bezeichnet er Berichte über Chemiewaffen als Vorwand für Militäreinsatz.

Lockt mit eventuellen Verhandlungen über einen Rücktritt Assads: Vizeregierungschef Kadri Dschamil. Bild: reuters

MOSKAU/DAMASKUS/ISTANBUL afp/dpa/dapd | Der syrische Vizeregierungschef Kadri Dschamil hat die Bereitschaft signalisiert, über einen Rücktritt von Staatschef Baschar al-Assad zu verhandeln. „Wir sind sogar bereit, dieses Thema zu diskutieren“, sagte Dschamil am Dienstag bei einem Besuch in Moskau. Einen Rücktritt Assads jedoch zur Bedingung für Verhandlungen zu machen würde bedeuten, dass diese nicht stattfinden würden.

Zudem beschuldigte er den Westen Berichte über Chemiewaffen in dem arabischen Land als Vorwand für eine militärische Invasion zu missbrauchen. „Der Westen sucht nach einer Ausrede, um sich direkt in die Angelegenheiten unseres Landes einzumischen“, sagte Kadri Dschamil in Moskau der Agentur Interfax zufolge.

Die Drohung von US-Präsident Barack Obama, notfalls militärisch einzugreifen, falls chemische oder biologische Waffen zur Gefahr für Verbündete wie Israel werden, tat Dschamil ab. Das sei reines Wahlkampfgetöse, sagte er.

40 Leichen entdeckt

Syrische Aktivisten haben in einem vormals umkämpften Vorort von Damaskus am Dienstag 40 Leichen entdeckt. Bei den Toten, die in dem Keller eines Gebäudes an der Hauptstraße von Moadhamijat al-Scham gefunden worden seien, handele es sich um Opfer der Truppen des Regimes, teilte die Allgemeine Kommission der Syrischen Revolution am Dienstag mit.

Die Vereinigung Scham News Network berichtete außerdem, die Armee habe in dem Vorort am Dienstag von Hubschraubern aus das Feuer eröffnet, als Angehörige und Regimegegner andere Opfer der jüngsten Kämpfe und Hinrichtungen zu Grabe trugen. Auf dem Friedhof seien 16 Menschen ums Leben gekommen. Eine Überprüfung dieser Angaben von unabhängiger Seite war nicht möglich.

Landesweit sollen syrische Regierungstruppen am Dienstag 60 Menschen getötet haben. Aktivisten meldeten heftige Gefechte aus der Provinz Aleppo, wo ein Kind und ein Erwachsener durch einen Luftangriff in der Ortschaft Marea umgekommen seien. Offensichtlich gehe es darum, den Kämpfern in der Stadt Aleppo die Nachschubwege in Richtung Türkei abzuschneiden, sagte ein Sprecher dem Nachrichtensender Al-Arabija.

In der Provinz Daraa mussten sich die Aufständischen nach eigenen Angaben aus einigen Ortschaften zurückziehen, die sie bislang kontrolliert hatten. Die Armee setzte den Berichten zufolge auch Hubschrauber ein.

Assad lässt seit 17 Monaten eine Revolte gegen seine autoritäre Herrschaft blutig niederschlagen. Dabei kamen nach Angaben von Aktivisten bisher rund 23.000 Menschen ums Leben.

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7 Kommentare

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  • A
    Ant-iPod

    @end.the.occupation:

     

    Diese Kenntnisse bestehen in monatelanger Verfolgung der Geschehnisse über persönliche Kontakte nach Syrien, deutschen (ARD & ZDF), britischen (BBC), US-amerikanischen (CNN), russischen (RT-englisch), arabischen (Syria-TV, Addounia, Al-Jazeera, Al-Arabia etc.) TV-Stationen... natürlich nicht immer täglich alle Stationen, aber ein regelmäßiges Nachrichtensehen auf den verschiedenen Sendern - hinzu kommen online-Informationen über die diversen Facebook-Seiten der beiden Fraktionen und nicht zuletzt eigene Erfahrungen aus Reisen nach Syrien.

    Zeitung lesen gehört auch dazu.

     

    Insofern wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie substantielle Kritik üben und bsw. darlegen, warum man ausgerechnet Assad und den Schabiha glauben schenken sollte, bevor Sie meine Aussage als einseitig abkanzeln.

     

    Hat Assad in 12 Jahren auch nur eine ernst zu nehmende Reform durchgeführt, welche die Allmacht der Geheimdienste beschränkt?

    Oder welche die Gewaltenteilung in Syrien ausgeglichener gestaltet?

    Oder welche geeignet ist, freie, gleiche und geheime Wahlen mit einem ausgewogenen, passiven Wahlrecht stattfinden zu lassen - also, dass auch diejenigen berechtigt sind, sich politisch zu engagieren, die gegen sein Regime sind und deswegen ausser Landes fliehen mussten um Folter und Tot zu entgehen?

     

    Wenn Sie das fundiert belegen können, dann nehme ich die Kritik auch ernst.

    Mir einfach aus dem Bauch heraus Einseitigkeit oder Unsachlichkeit zu unterstellen ist indes nicht hinreichend.

     

    Damit wir uns nicht falsch verstehen:

    Mir ist bewusst, dass es bsw. Initiativen gegen Korruption auch in Syrien gab, wenngleich nur für die Behörden, nicht aber hohe Regierungsbeamte und den Präsidenten selbst - so wurde bsw. auch mit deutscher Hilfe versucht, ein Internetbasiertes Antragswesen für Behörden in Syrien einzuführen, um den Bestechungen auf den Ämtern entgegen zu wirken.

    Solche Bemühungen spreche ich Baschar nicht ab oder so etwas - aber die vergangenen 17 Monate haben gezeigt, wes Geistes Kind Baschar ist und welchen Wert er menschlichem Leben und dem Wohlergehen seines Landes beimisst - offensichtlich keinen Hohen.

     

    Das ist einfach viel zu wenig und das ist der Kernpunkt meiner Kritik an Baschar - das es eben nicht nur die schier endlose Gewalt ist, sondern das Fehlen politischen Handelns, welches Syrien immer weiter in den Abgrund reissen.

  • E
    end.the.occupation

    >> Wenn man die Situation in Syrien kennt, dann ist klar, dass die Bevölkerung nicht mit dem Assad-Regime verhandeln kann

     

    Ach das ist klar? Wegen Ihrer "Kenntnisse"?

     

    Worin bestehen denn diese "Kenntnisse", ausser der Saudi/Qatar/CIA/Qaeda-freundlichen PR die hier geboten wird?

  • A
    Ant-iPod

    @TOTO:

     

    Vielen Dank für Ihren Beitrag und die Informationen über Jamil aus Ihrer Sicht.

     

    Da Sie mich direkt ansprechen, will ich das gerne aufgreifen - denn hier liegt anscheinend ein Missverständnis vor:

    Ich mache mich in keiner Weise über Verhandlungen lustig, noch lehne ich diese ab oder so etwas - im Gegenteil habe ich verschiedentlich zum Ausdruck gebracht, dass es nur eine politische Lösung für diesen Konflikt geben kann und diese kann auf dem Verhandlungswege entstehen.

     

     

    Muss es aber nicht, da die syrische Verfassung Herrn Assad alle Rechte gibt, die Reformen bereits jetzt (bzw. seid Beginn seiner Amtszeit) auch ohne Verhandlungen umzusetzen - worauf dieser verzichtet.

     

    Es gibt keine Sozialreformen unter Präsident Assad, welche die Korruption bekämpfen, die Allmacht der Geheimdienste beschränken, die Gründung demokratischer Parteien die für Pluralismus stehen zulässt, dass passive Wahlrecht der Exilsyrer ermöglicht - die vor der Gewalt und Repression des Assad-Regimes geflohen sind etc.etc.etc.

    Alles eindeutige Forderungen der Opposition, bei deren Nennnung Sie unterstellen, man hätte nichts verstanden... ohne zu erläutern, warum eigentlich?

    Ich empfinde dies als sehr eindeutig - und lehne die Simplifizierung des Regimes ab, es handele sich um eine ausländische Einmischung und alleine deswegen schon würden Reformen nichts bringen.

    Diese Realitätsverweigerung der Adminstration Assad ist das eigentliche Problem.

     

    Ich mache mich in keiner Weise lustig über Verhandlungen - aber von Seiten des Regimes gibt es kein ernst zu nehmendes Verhandlungsangebot.

     

    Wenn man die Situation in Syrien kennt, dann ist klar, dass die Bevölkerung nicht mit dem Assad-Regime verhandeln kann, denn sobald es die Waffen niederlegt, werden die Schabiha und die Geheimdienste alle töten, welche dem Regime die Stirn geboten haben. Es gibt keine glaubhafte Sicherheit für diejenigen, die sich der Erb"Präsidentschaft" und der Willkür der Assads nicht länger unterwerfen wollen - aber es gibt 40 Jahre Erfahrung mit dem Regime.

     

    Im Gegenteil hat Assad gerade gestern verlauten lassen, dass er der Opposition einen erbitterten Kampf bis zum Ende bieten wird - so das HEUTE-JOURNAL im ZDF.

    Das ist keine politische Antwort und kein Verhandlungsangebot.

     

    Das Assad-Regime erkennt keine Opposition an, welche sich ihrer Oberhoheit nicht unterwirft - wortwörtlich hat Assad gesagt, dass Verhandlungen nur unter dem "Dach der Nation" stattfinden müssen, was übersetzt bedeutet: Keine Verhandlungen mit Exilanten, keine Verhandlungen, wenn seine Herrschaft nicht respektiert wird.

     

    Also, geschätzter @TOTO: Ich mache mich überhaupt nicht lustig über Verhandlungen, aber Assad tut dies. Mit ihm wird es unter Beibehaltung der jetzigen Politik keine Regierung der nationalen Einheit geben - im Gegenteil hat er selbst den Nordosten Syriens an die Kurden abgetreten - was zeigt, dass ihm an nationaler, syrischer Einheit auch gar nicht mehr gelegen ist, sondern nur daran, seine Macht zu erhalten - dabei können so viele Syrer sterben... hauptsache, er und sein Clan regieren das Land weiter... derzeit in den Abgrund!

  • T
    Toto

    Die TAZ wie Sie so ist, eine reaktionäre möchtegern-alternativen Zeitung erzählt ihren Leser gar nichts, wer Jamil ist. Ein langjähriger Inlandsoppositionellen und Kommunist, seit 2002 gründete Jamil mit tausende Kommunisten eine Abspaltung von den offiziellen KP und ging von anfang an in Opposition. Oppositionspolitik gegen Sozialabbau, aber auch für politische Freiheiten. Seine Partei beteiligte und beteiligt sich an die friedlichen Aktivitäten mit ihren Ziele und hat bis jetzt mehrere Tote, dutzend Verhaftete und einige Entführte. Die bürgerlichen und rechten Leser der TAZ werden das natürlich begreifen. Oppositon in der Regierung? Opposition ist nicht gleich Opposition! Es gibt eben eine Opposition, die Politik für die Syrer machen und nicht inhaltsleeren "Prinzipien" wie die prä-faschistische SNC. Die Syrer haben nunmal heute folgende Interessen Brot und Frieden.

     

    Verhandlung? Ja Klar! Was denn sonst?! Wer wie Ant-iPod sich ernsthaft über die Verhandlung lustig macht und meint die Opposition hat eindeutige Forderungen, der hat wirklich nichts verstanden. Es gibt ein interntaionalen und nationalen Pattsituation zwoschen die kämpfende Parteien und dies wird sich ohne ein "Wunder" in absehbaren Zeit nicht ändern. Da gibt es eben nur Verhandlung über die jeweiligen Interessengegensätze als Lösung. Das beinhaltet "Verhandeln über Alles", also es kann sein, dass der Präsident zurücktritt. ABER auch, dass die Opposition ein Regierung der nationalen Einheit zustimmt unter Assad zu stimmen muss und die Niederlegung ihrer Waffen, etc. Das ist Sinn von Verhandlungen, Kompromisse erreichen! Das funktioniert ja sonst ganz gut in Deutschland.

  • A
    Ant-iPod

    Wie großzügig... nach 16 Monaten immer weiter eskalierender Gewalt "sogar" bereit zu sein, über den Rücktritt des verantwortlichen Staatsoberhauptes zu debattieren...

    Zum Vergleich: Bei uns geht der eine Präsident wegen einer fragwürdigen Hausfinanzierung und sein Vorgänger, weil er offen Aussprach, dass Deutschland Geostrategische Interessen hat...

     

    Die Forderungen der Opposition liegen doch klar auf der Hand:

    1. Rücktritt von Baschar

    2. Einführung der Demokratie

    2.1. Zulassung von demokratischen Parteien

    2.2. Keine Strafe für politische Meinungsäußerung

    2.3. Gewaltenteilung

    2.4. Passives Wahlrecht für Exilsyrer

    etc.etc.etc.

     

    hier sind ganz klare, eindeutige und nachvollziehbare Forderungen auf dem Tisch.

    Das Regime bietet nun an, ohne Vorbedigung über den Rücktritt des Präsidenten verhandeln zu wollen... aber wo ist das konkrete Gesprächsangebot? Es ist ja nicht Assad alleine, um den es geht, sondern der Aufbau des Regimes, die Machtfülle der Geheimdienste etc.etc.etc.

     

    Das ist mehr als dürftig, was da kommt.... tatkräftige Politik, Lösungsansätze und Gestaltungswille sieht sehr anders aus.

    Und vor allem: Wenn es dem Regime ernst wäre, könnte es jederzeit von sich aus die richtigen Maßnahmen treffen und müsste dafür noch nicht einmal verhandeln. Dies geschieht aber nicht - Reformen finden in Syrien unter Assad fast nicht statt.

  • J
    jupp

    ZITAT TAZ:

    "40 Leichen entdeckt

     

    Syrische Aktivisten haben in einem vormals umkämpften Vorort von Damaskus am Dienstag 40 Leichen entdeckt. Bei den Toten, die in dem Keller eines Gebäudes an der Hauptstraße von Moadhamijat al-Scham gefunden worden seien, handele es sich um Opfer der Truppen des Regimes, teilte die Allgemeine Kommission der Syrischen Revolution am Dienstag mit."

     

    Also der Stadtteil wurde zurückerobert, bzw. ist weiterhin unter Kontrolle der Aktivisten und die "Regimetruppen" aus dem Mordkeller sind gefangengenommen und überführt .

    Wer ist das denn nun:

    "Allgemeine Kommission der Syrischen Revolution"?

    FSA oder London, oder Zweigstelle von Al-Arabia oder habe ich wieder einmal eine Meldung der IGMF verpasst?

  • R
    Ralph

    Ich kann nur hoffen, dass Assad das nicht so sieht. Ein solcher Rücktritt nämlich würde das Regime destabilisieren und damit die Zukunft Syriens von beiden Seiten her ungewiss machen. Zudem dürfte diese Entwicklung die bewaffneten Banden kaum besänftigen, sondern viel eher anspornen, so dass eine friedliche Lösung imo eher noch unwahrscheinlicher wird.