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Bürgerkrieg in LibyenDie Revolution zu Ende bringen

Ein Jahr nach Gaddafis Tod greifen die einstigen Aufständischen dessen letzte Anhänger an. „Wir werden alle verhaften“ ist das Motto.

Militärkolonne auf dem Weg ins Kampfgebiet. Bild: dpa

TRIPOLIS/MISURATA taz | Mit lautem Hupen drehen Dutzende Revolutionäre mit ihren Pick-ups auf dem Märtyrerplatz ihre Runden. Ein Jahr nach Ende der großen Kämpfe feiern sie im Zentrum von Tripolis. Aber nicht den Tod von Diktator Gaddafi am 20. Oktober 2011, sondern die Fortsetzung des Krieges.

Bani Walid heißt die Kleinstadt 170 Kilometer südlich, die seit Donnerstagabend von der libyschen Armee von drei Seiten angegriffen wird. Dutzende Tote und über 200 Verletzte sind auf beiden Seiten zu beklagen. Bani Walid gilt als letzter Rückzugsort der Gaddafi-Anhänger. Es ist die Heimat des Warfalla-Stamms. Sie wurden vom alten Regime großzügig mit Posten und Geld bedacht. In Bani Walid hat die Revolution nur wenige Anhänger. In Misurata und anderen „revolutionären“ Städten herrscht tiefe Abneigung gegen die Warfalla.

Die Entführung des Journalisten Omran Shaaban im Juli ließ den Konflikt zwischen Bani Walid und Misurata eskalieren. Shaaban war es, der Muammar al-Gaddafi am Tag genau vor einem Jahr in einem Abwasserrohr bei der Stadt Sirte entdeckt hatte. Er wurde zum Symbol der Revolution. Kürzlich aber starb Shaaban in einem Pariser Krankenhaus an den Verletzungen, die er in Geiselhaft in Bani Walid erlitt.

„Wir müssen dieses Krebsgeschwür endlich entfernen“, sagt ein grimmiger Kämpfer aus Misurata am letzten Checkpoint vor Bani Walid. „Wir haben den Loyalisten mehrere Wochen gegeben, die Täter dingfest zu machen. Doch auch das letzte Ultimatum haben sie verstreichen lassen. Jetzt werden wir die Revolution zu Ende bringen und alle auf unseren Listen verhaften.“ Das während der Revolution von Gaddafis Armee monatelang belagerte und beschossene Misurata stellt die meisten der 2.000 Soldaten, die jetzt Bani Walid mit „Grad“-Raketen und Artillerie beschießen. Den Flughafen kontrollieren sie angeblich schon.

„Das müssen wir jetzt zu Ende bringen“

Auf den Straßen des kriegstraumatisierten Misurata sind sich alle einig. „Das müssen wir jetzt zu Ende bringen“, sagt Geschäftsmann Nedal Remada. Von Euphorie ist bei ihm nichts zu spüren. Zu wach sind noch die Erinnerungen des Krieges.

Und nicht alle Libyer teilen die strikte Haltung der Misuratis. Armeeeinheiten aus Bengasi wollen sich an dem Sturm auf Bani Walid nicht beteiligen, auch Verteidigungsminister al-Mangusch zögerte lange mit dem Angriffsbefehl. Kritische Stimmen behaupten, er habe sowieso keine Befehlsgewalt über die Misurata-Brigaden. Viele Abgeordnete des neugewählten Parlaments sehen in der Schwäche der neuen libyschen Regierung eine Gefahr nicht nur für die Zivilbevölkerung in Beni Walid, sondern auch im ganzen Land.

Eine Vermittlungsdelegation wurde ebenso wie Parlamentschef Mohamed al-Margarief höchstpersönlich auf dem Weg zu den Belagerten abgewiesen. Auch Journalisten kommen nicht mehr durch. Bei Kilometer 60, einem Aufmarschlager zwischen Misurata und Bani Walid, werden wir höflich an der Weiterfahrt gehindert. „Viel zu gefährlich“, sagt Armeesprecher Mohamed al-Gandus.

Bild: infotext/S. Weber

Man versteht schnell, was er meint. Hubschrauber landen, Verletzte aus dem Kampfgebiet werden in Krankenwagen umgeladen. Dutzende Panzer sind aus Misurata herangeschafft worden, in der Ferne sind Detonationen zu hören. Die Anspannung in den Gesichtern der jungen Soldaten verrät, dass es hier um mehr geht als die Mörder von Omran Shaaban, um mehr sogar als die Revolution. Der Groll ist älter.

Überall im Land hatte Gaddafi einst Konflikte geschürt, indem er die eine Seite bevorzugte, die andere ignorierte. Misurata litt unter dem Regime – und lässt jetzt seiner Macht freien Lauf. Die Warfalla von Bani Walid sind allerdings über ganz Libyen verteilt und könnten andere Konflikte entfachen.

„Als wäre die Uhr um 365 Tage zurückgedreht“

Die Lage auf Tripolis’ Straßen ist derweil ruhig. Die Hauptstädter bereiten sich auf das muslimische Opferfest vor. Doch der Krieg in Bani Walid wird vielen Hauptstädtern einen Strich durch die Rechnung machen. Unbekannte sprengten am Donnerstag die Stromversorgung der Pumpen, die den riesigen Trinkwassersee bei Garian in den Nafusa-Bergen versorgen. Aus Garian erhält die Drei-Millionen-Metropole Tripolis 90 Prozent ihres Leitungswassers.

In ersten Stadtteilen kommt bereits kein Wasser aus den Hähnen. „Wenn die zerstörten Überlandleitungen repariert sind, muss der See fünf Tage lang aufgefüllt werden, bevor das Wasser wieder fließt“, sagt ein Experte des „Man Made River“, Gaddafis pharaonisches Projekt zum Anzapfen des Grundwassers unter der Saharawüste. Schon einmal war Tripolis für zwei Wochen von der Wasserversorgung abgeschnitten. Genau vor einem Jahr.

„Es scheint, als wäre die Uhr um 365 Tage zurückgedreht“, sagt ein Soldat am Checkpoint 60. Er schaut nachdenklich Richtung Bani Walid.

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6 Kommentare

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  • A
    Alfredd

    Nun, Shaaban war nie Journalist, möglicherweise hätte er auch nicht mal schreiben können, hätte ihm das Gaddafi Regime keine kostenlose Schulausbildung ermöglicht. Shaaban war einer der Leute die Jagd auf Gaddafi machten, ihn entdeckten, folterten und schließlich vor laufender Handy Kamara ermordeten. Das Shaaban nun mehr oder weniger das selbe widerfahren ist, darüber sollte man sich nicht weiter wundern, sondern das ist einfach nur logisch und konsequent in dieser mitteralterlichen Gesellschaft. Damit hätte er aber rechnen müssen.

  • JD
    Jan Do

    In Libyen findet zur Zeit das statt, was es vor den NATO-Bombardierungen nie gegeben hat: Massenmorde im Rahmen von Ausschreitungen gegen Farbige, Einrichtung von Konzentrationslagern, ganze Städte, z.B. Tawergha, sind vom Erdboden verschwunden. Die große Mehrheit der Libyer leidet unter dem Chaos. Früher selbstverständliche soziale Errungenschaften wie freie Gesundheitsversorgung und freies Studium gibt es nicht mehr. Rechte für Frauen wurden stark eingeschränkt, z.B. das Scheidungsrecht. Nur eine kleine Minderheit profitiert vom Ausverkauf Libyens, das jetzt zum Beispiel seine Ölvorkommen zu ganz ungünstigen Bedingungen durch ausländische Konzerne ausbeuten läßt. Demokratie gibt es schon gar nicht. Zum Beispiel wurden für die Wahlen in Misrata nur etwa 50.000 Menschen zugelassen, etwa ein Zehntel der Bevölkerung. Vor der NATO-Aggression war Libyen eines der wohlhabendsten und am besten entwickelten Staaten Afrikas. Es hatte aber ein großes Problem: als friedliches Land verfügte Libyen über zu wenig schlagkräftiges Militär. Der hohe Lebensstandard als Folge der Ölförderung mag zu einer gewissen Verwöhnung geführt haben. Das Bewusstsein, dass Wohlstand Begehrlichkeiten des Auslands weckt und verteidigt werden muss, schien leider nicht ausreichend entwickelt. Auf jeden Fall wurde die Gefahr einer ausländischen Aggression, mit dem Ziel, das libysche Volksvermögen zu rauben, naiv unterschätzt. Es bleibt zu hoffen, dass die Staaten, denen an ihrer nationalen Souveränität gelegen ist, die traurige aber einzig richtige Lektion lernen, nämlich dass nur der angegriffen wird, der militärisch nicht ausreichend schlagfertig ist. Denn ein Kriegsvorwand, von Massenvernichtungswaffen (Irak) bis Massenvergewaltigungen (Libyen) ist schnell gefunden.

  • HS
    Hari Seldon

    1. Der Herr Shaaban war nie ein Journalist, und was suchte er als Misurati in Bani Walid?

     

    2. Ca. 1/3 der Bevölkerung in Libyen gehört zum Stamm Warfalla. Die Rebellen in Misurata sind unter 5%.

     

    3. Bei den Wahlen konnte die Partei der Hauptrebellen (Jalil und Jibril) KEINEN EINZIGEN Direktmandat holen (auch in Benghasi nicht)! Auf gut Deutsch, haben die Hauptrebellen nirgendwo Mehrheit.

     

    Fazit: Das Spiel in Libyen ist noch längst nicht am Ende, und die jetzige Machtstruktur spiegelt der Wille des Volkes in Libyen ganz sicher nicht zurück. Es ist kein Zufall, dass Tripoli und die Armee nichts in Bani Walid unternehmen wollen.

  • S
    simon23

    Bei dieser Gelegenheit ist es vielleicht notwendig daran zu erinnern, das in Misurata ohne Anklage unzählige Leute festgehalten und gefoltert werden. Auch dies löst die Wut in Bani Walid aus.

    Wann lernt man endlich die Dinge offen zu sehen. Das sind nicht einfach die guten Revolutionäre, die haben mindestens den selben Dreck am Stecken - und kein Interesse an einem funktionierenden Staat, sofern er nicht konkret ihre Interessen vertritt.

    Ich dachte eigentlich, die Revolutionsromantik sei durch....Allerdings bezweifele ich, das auch über das, was in Bani Walid in den nächsten Tagen angerichtet wird, offen berichtet wird.

  • W
    Wolfgang

    Der Autor sollte sich auch, aber nicht nur, mit der (ungeschminkten) Realität der Verbrechen der westlichen EU- und Nato-"Revolutionäre" beschäftigen.

  • FK
    Fritz Katzfusz, Preußen

    Es ist klar, da droht ein Genozid. Die Betroffenen können sich hoffentlich wenigstens ein bisschen wehren.