Bürgerkrieg in Libyen: Wenn nur noch Flucht hilft
Die USA schließen ihre Botschaft; andere Staaten fordern ihre Bürger zur Ausreise auf. Anlass sind die Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen.
TRIPOLIS taz | Der Lärm von Kampfflugzeugen vom Typ F-16 und Helikoptern am Himmel über Tripolis hat erstmals seit zwei Wochen den Kampflärm in der Stadt abrupt verstummen lassen. Am Samstagmorgen um fünf Uhr begannen US-Marines mit der Evakuierung der 150 amerikanischen Botschaftsangehörigen, die bei den Artillerieduellen der Milizen aus Misurata und Sintan zwischen die Fronten geraten waren.
Botschafterin Deborah Jones wurde mit einem gegen Boden-Luft-Raketen verstärktem Spezialflugzeug von dem Militärflughafen Maitiga ausgeflogen. Ihre Mitarbeiter fuhren, wie schon während des Kriegs gegen Gaddafi, in einer Kolonne an die tunesische Grenze.
In den vergangenen Tagen hatten mehrere Botschafter ihre Landsleute zur sofortigen Ausreise aufgefordert oder ihre Mission vorübergehend eingestellt. Im Mai waren tunesische Botschaftsmitarbeiter und der jordanische Botschafter von Islamisten entführt worden, um inhaftierte Dschihadisten freizupressen.
Auch Geschäftsleute und ein Schweizer Mitarbeiter des Roten Kreuzes waren in den vergangenen Monaten entführt oder umgebracht worden. Letzte Woche verschwand ein maltesischer Ölingenieur südlich von Tripolis. Am Sonntag forderte daher auch die deutsche und die britische Botschaft ihre Landsleute zur Ausreise auf.
Verwunderung über den Abzug
Die Libyer reagierten mit Verwunderung, aber auch mit Verständnis für den Abzug der internationalen Gemeinschaft. Immer wieder hatten Aktivisten und moderate Kräfte die Hoffnung geäußert, Europa und die USA würden Libyen während des demokratischen Übergangsprozesses nicht mit dem Problem der Willkür der Milizen allein lassen.
Wie schon Dutzende Male zuvor strömten am Freitag mehrere hundert Demonstranten auf den Märtyrerplatz in Tripolis und forderten eine Ende der Kämpfe von Armee und Polizei. „Lasst uns endlich weiterstudieren“, steht auf dem Plakat des Fotografen Nadr El Gadi auf dem Märtyrerplatz.
Doch die islamistische Allianz aus der Hafenstadt Misurata scheint wild entschlossen, den ehemaligen gemäßigt-konservativ Verbündeten aus der Wüstenstadt Sintan die Kontrolle des internationalen Flughafens von Tripolis um jeden Preis zu entreißen. Dutzende Tote und Hunderte Verletzte wurden allein am Wochenende in die staatlichen Krankenhäuser eingeliefert.
Kritik an dem Angriff auf den Flughafen werten die Islamisten als Unterstützung des Sintan-Bündnisses, das von Tripolitanern auch als Besatzung empfunden wird. Wie der Organisator der Demonstration, Abdulmoez Banun, wurde El Gadi mit einem Freund auf den Militärflughafen Maitiga verschleppt und erst nach massivem Druck wieder frei gelassen. „Die Islamisten wollen unter dem Vorwand, gegen Gaddafi Anhänger vorzugehen, Verhältnisse wie in Syrien und im Irak schaffen“, klagt ein Demonstrant.
Mit ihrer Aktion „Morgenröte“ wollen die Islamisten unter anderem erreichen, dass sich die am 25. Juni neu gewählten Abgeordneten nicht, wie geplant, am 4. August in der Stadt Bengasi im Osten des Landes zur konstituierenden Sitzung des Repräsentantenhauses treffen.
Geburtsort der Revolution
Nur 25 der 200 Abgeordneten des neuen Repräsentantenhauses werden dem islamistischen Spektrum zugerechnet. Mit dem Umzug nach Bengasi, dem Geburtsort der Revolution, will sich das Parlament dem Zugriff der Islamisten entziehen. Doch auch in Bengasi toben seit Wochen schwere Kämpfe zwischen Islamisten und ihren Gegnern.
Der Abgeordnete Ali Takbali betont, dass die in Tripolis ausgebrochenen Kämpfe kein Chaos seien, sondern eine lang geplante Aktion sei. „Die Dschihadisten fühlen sich von der Ereignissen im Irak und in Syrien bestärkt und schicken ihre libyschen Kommandeure nach Hause zurück“, sagt er gegenüber der taz.
Die Islamisten sehen in den Ölvorräten Libyens eine willkommene Finanzquelle. „Die libyschen Bürger stehen den Strategien der Islamisten ohnmächtig gegenüber“, konstatiert Takbali.
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