Bürger*innendialoge in Sachsen: Der mit dem Hund spricht
Fishbowl, World-Café, Hundeschule: Mit verschiedenen Dialogformaten sollen Bürger*innen Sachsens wieder mehr ins Gespräch kommen
![Menschen sitzen im Stuhlkreis und sprechen Menschen sitzen im Stuhlkreis und sprechen](https://taz.de/picture/7201169/14/Illu-Amelie-1.jpeg)
Wir Sachsen reden viel: an Stammtischen, mit den Kolleg*innen bei der Arbeit, mit der Familie beim Abendbrot. Auch der öffentliche Diskurs – etwa bei Bürgerdialogen oder bei Demonstrationen – wird von den Menschen des Freistaats gesucht und gepflegt. Fast scheint es so, als hätte die sächsische Politik in den vergangenen Jahren im Reden das Allheilmittel für alle Probleme gefunden. Innerhalb der politischen Bildung und in manchen sächsischen Kommunen sind Dialogformate mittlerweile an der Tagesordnung. In den vergangenen Jahren dominierten dabei zumeist einmalig stattfindende Podiumsdiskussionen, Fishbowls oder World-Cafés. Bei letzteren handelt es sich um Formate, bei denen die Zuschauer*innen intensiv mitdiskutieren können und sich die Diskutant*innen auf Augenhöhe begegnen.
Die jeweiligen Akteur*innen verbanden damit die Erwartung, dass sich durch das Gesprächsangebot einiges erreichen ließe, etwa dass Probleme der Bürger*innen artikuliert und vielleicht auch adressiert würden und sich die Teilnehmer*innen gehört fühlten. Aber waren die Formate mit Blick auf die weiterhin sehr hohen Zustimmungswerte für rechte Parteien in Wahlumfragen tatsächlich erfolgreich?
![](https://taz.de/picture/7245750/14/titelbilder-1080x1920px-erfurt-ostlogoundkette2-1.png)
Der Text ist aus einem zu den Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg im Rahmen eines Online-Workshops der taz Panter Stiftung entstandenen Ostjugend-Dossier, das durch Spenden finanziert wird: taz.de/spenden
Aus Sicht von Prof. Dr. Anja Besand, Direktorin der John-Dewey-Forschungsstelle für die Didaktik der Demokratie an der TU Dresden, blieben einmalige und kurzfristig angelegte Dialogformate, die inzwischen fast inflationär eingesetzt würden, weit hinter ihren Erwartungen zurück. Stattdessen müsse politische Bildung langfristige Formate anbieten, eine gute Dialogform müsse auf Gemeinsamkeiten der Diskutant*innen basieren und wiederkehrend sein sowie Pausen zwischen den Treffen beinhalten. Wichtig sei, eine Basis für wechselseitiges Zuhören zu schaffen, die zu einem tatsächlichen Interesse für die andere Person und ihre Positionen führe. „Das kann in Nachbarschaften, im Kolleg*innenkreis, im Verein oder auch im Klassenzimmer geschehen“, so Besand. „Also dort, wo Menschen immer wieder aufeinandertreffen.“ Nur so sei es möglich, auf bereits Gesagtes zurückzukommen sowie Gedanken und Konflikte weiter auszuführen. Anzustreben sei der Wechsel zwischen Begegnung und Distanz, damit die Teilnehmer*innen neue Energie schöpfen könnten und Zeit zum Reflektieren hätten.
Austausch in der Hundeschule
In dem Projekt „Politische Bildung in der Hundeschule“ wurde genau dieses Konzept umgesetzt. In einer Dresdner Hundeschule begegneten sich 2021 regelmäßig Menschen aus den unterschiedlichsten Milieus mit teilweise gegensätzlichen politischen Haltungen und Weltanschauungen, zu Themen wie Elektromobilität oder Rassismus. Mit großem Erfolg: Die Hundebesitzer*innen hinterfragten ihre Positionen und Impulse aus den Gesprächen zeigten eine nachhaltige Wirkung.
Empfohlener externer Inhalt
Damit Dialoge wie diese aber überhaupt zustande kommen, müssten diejenigen gestärkt werden, die die Auseinandersetzung mit Menschen mit rechten Einstellungsmustern suchen, sagt Anja Besand, es brauche deshalb Argumentationstrainings, um ihre Handlungsfähigkeit zu stärken.
Mit der Ausbildung von Moderator*innen für kommunale Konflikt- und Krisensituationen beschreitet das Kompetenzzentrum Krisen-Dialog-Zukunft der Aktion Zivilcourage e. V. in Dresden so einen Weg. In umfangreichen Schulungen lernen Bürgermeister*innen und andere Akteur*innen aus Verwaltung und Zivilgesellschaft, Gesprächsformate umzusetzen. Andreas Tietze, Referent bei der Aktion Zivilcourage e. V., weiß um die große Bedeutung der vielen Dialogformate, um die Bürger*innen wieder mehr miteinander ins Gespräch zu bringen. „Wenn sich eine Gruppe dem Diskurs verstellt, haben wir keinen Zugangspunkt mehr, um mit ihnen zu diskutieren, und das ist für eine Demokratie das absolut Negativste“, sagt er.
Dennoch seien die Konzepte der John-Dewey-Forschungsstelle für die Didaktik der Demokratie für Tietze ein Ideal, das in der Praxis nicht immer zu verwirklichen ist. Gerade Kommunen seien kaum in der Lage, langfristige begleitete Gesprächsprozesse finanziell zu stemmen; außerdem sei zu viel Methodik, wie die Dokumentation mit Moderationskarten an einer Pinnwand oder vorangehendes Aufschreiben von Fragen, bei einem konfliktreichen Format mit vielen Teilnehmenden nicht zielführend, da diese oft Widerstände hervorrufe.
Der Nutzen des Dialogs
Tietze begrüßt deshalb jede Gelegenheit eines Bürger*innengesprächs: Selbst wenn eine einmalige Dialogveranstaltung keine Einstellungsveränderungen bei den Bürger*innen erzeugen könne, gelänge es aber, miteinander unvereinbare Wahrnehmungen zu adressieren. Dazu zähle beispielsweise, das rechtspopulistische Narrativ von einem allgemeinen Volkswillen, also die Abwesenheit von unterschiedlichen Meinungen, durch gegensätzliche Positionen unterschiedlicher Sprecher*innen zu dekonstruieren. Außerdem biete ein Dialogformat die Möglichkeit, Fakten zu benennen und kursierenden Falschinformationen entgegenzuwirken.
„Je frühzeitiger ein Konflikt bearbeitet wird, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser eskaliert“, weiß Tietze aus zahlreichen Dialogveranstaltungen der letzten Jahre. Ein ideales Gesprächsformat folge der sogenannten 30/90-Regel: Auf eine kurze Impulssetzung von maximal 30 Minuten folge eine ausführliche anderthalbstündige Diskussion. Dabei sei es wichtig, „dass Emotionen zugelassen und nicht einfach abmoderiert werden, aber klare Grenzen bei hetzerischen Aussagen, Menschenfeindlichkeit und Herabwürdigungen gesetzt werden“. Je konflikthafter sich eine Situation gestalte, desto vertraulicher müsse die Gesprächssituation sein, sagt Tietze, denn „wenn Leute von Angesicht zu Angesicht miteinander reden, ist die Tendenz zur Eskalation weniger stark ausgeprägt“.
Leah Strobel (21), aus Dresden, studiert Geschichte und Politikwissenschaft in Göttingen. Sie schreibt für den Blog Literaturnetz Dresden und arbeitet beim studentischen Journal GASP.
ILLUSTRATION: Amelie Sindermann (21), in Sachsen geboren und am Meer aufgewachsen, liebt Schreiben und das Malen mit dem Bleistift oder mit Acryl auf Leinwand.
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