Bürgerentscheid in Freiburg: Ein Nein für die Zukunft?

Am Sonntag stimmen die Freiburger über den Bau eines neuen grünen Wohnquartiers ab. Die Gegner sind nicht ohne Chance.

Vögel fliegen über einen Acker. Dahinter stehen Wohnblocks

Neuer Stadtteil für Freiburg: Auf diesem Acker könnten 15.000 Menschen leben Foto: dpa

FREIBURG taz | Bauen oder lieber nicht? Am Wochenende entscheiden die Freiburger per Bürgerentscheid darüber, ob ein neues Stadtviertel für etwa 15.000 Menschen die Wohnungsnot in der Stadt dämpfen soll – oder ob Umweltschutzüberlegungen ­Vorrang haben.

Eigentlich haben sich die Planer für das neue Dietenbach-Viertel, direkt am Autobahnzubringer gelegen, größte Mühe gegeben. Klimaneutral und sozial soll es sein. Die Heizenergie soll aus der Restwärme des Abwassers gewonnen werden. Und 50 Prozent der Wohnungen sollen von der Stadt sozial gefördert werden, dazu kommen ein Studentenwohnheim und Kitas. Um das Projekt entwickeln zu können, haben Stadt und Bauunternehmen neue Finanzierungsformen entworfen.

Das Dietenbach-Viertel würde zweifellos ein innovatives Bauprojekt, das bestens zu Freiburgs grünem Image passt und viele Interessen berücksichtigt. Auch deshalb hat der Gemeinderat dem Projekt bis auf vier Gegenstimmen lagerübergreifend zugestimmt.

Doch die Gegner machen mit einem Bürgerentscheid mobil – mit grundsätzlichen Bedenken. Sie beklagen einen Eingriff in die Natur und bezweifeln, dass mehr Wohnraum die Wohnkosten dämpfe. Eine Stadt wie Freiburg, die jedes Jahr 2.000 neue BürgerInnen mit Wohnraum versorgen muss, könne gar nicht im gleichen Umfang wachsen, sagen sie. Und das letzte Vorzeigeviertel mit Sozialquote, das Rieselfeld, gebaut in den neunziger Jahren, gehöre heute zu den Gegenden mit den höchsten Mieten.

Umweltschützer und Wohlstandverweigerer

Mit diesen Argumenten und einer diffusen Stimmung, dass Freiburg möglichst so bleiben soll, wie es ist, bekamen die Gegner der Dietenbach-Bebauung ziemlich mühelos die notwendige Zahl an Unterschriften, um ihren Bürgerentscheid abzuhalten. Am Sonntag nun wird dieser entschieden. Die Schar der Gegner ist breit und reicht von Umweltschützern bis zu Wohlstandsverteidigern, von der MLPD bis zur AfD. Beide Parteien spielen in Freiburg zwar keine Rolle, aber auch in den großen Parteien, die für die Bebauung sind, gibt es überall Gegner des Projekts.

Und spätestens seit die Wähler in Freiburg den jahrelangen Oberbürgermeister Dieter Salomon (Grüne) überraschend aus dem Amt gefegt haben, gilt der Freiburger Volkswille als ziemlich unberechenbar. Auch deshalb traut sich beim Bürgerentscheid zum Dietenbach-Viertel kaum jemand eine Prognose zu.

Die Freiburger Debatte wirft zwei sehr grüne Fragen auf: Wo liegen die Grenzen des Wachstums einer Stadt? Und wie viel sollen die Bürger bei solchen Projekten mitsprechen?

Als Lehre aus Stuttgart 21 hatte Winfried Kretschmann mit seiner einst grün-roten Regierung die Möglichkeit von Bürgerentscheiden auch auf Bauvorhaben ausgeweitet. Nach einigen gescheiterten Projekten – in Emmendingen, im Landkreis Karlsruhe und am Bodensee – will der Fraktionschef von Kretschmanns aktuellem Koalitionspartner CDU, Wolfgang Reinhardt, die Bürgerentscheide wieder einschränken.

Auch der Präsident des Baden-Württembergischen Städtetags, der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz, sagt mit Blick auf Freiburg dem SWR: Bürgerbeteiligung bringe unterm Strich „mehr Schaden als Nutzen“, weil sie „zukunftsweisende Planungen zerstören“ könne und „die Bürger polarisiert“. Kretschmanns Staatsministerin Gisela Erler, zuständig für Bürgerbeteiligung, weist die Einwände bislang zurück: In Bayern sei Bürgerbeteiligung bei Bauvorhaben seit Jahren gang und gäbe und trotzdem werde dort gebaut.

Auf eine Reform der Bürger­entscheide können sich dennoch wohl alle Lager einigen: auf vereinfachte Fragestellungen auf den Abstimmungszetteln bei künftigen Bürgerbefragungen. Wie schon bei der Volksbefragung zu Stuttgart 21 müssen auch jetzt in Freiburg jene Bürger, die das neue Stadtviertel am Dietenbach unterstützen wollen, mit „Nein“ stimmen und die Gegner mit „Ja“. Die Befürworter haben deshalb einen Aufkleber mit fragwürdiger Grammatik in Umlauf gebracht, der überall in der Stadt zu sehen ist: „Nie war ein Nein mehr Zukunft.“

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