piwik no script img

Bürger in Wut betreiben RichterschelteDemaskierter Populismus

Die Bürger in Wut beklagen vermeintlich laxe Strafen und milde Urteile der Bremer Gerichte. Justizsenator, Richterbund und Fachpolitiker*innen widersprechen.

Muss sich gegen rechtspopulistische Stimmungsmache wehren: Justitia Foto: dpa

Bremen taz | Viel Kritik ernten die Bürger in Wut (BiW) mit populistischer Richterschelte. Sowohl Justizsenator Martin Günthner (SPD) als auch der Richterbund und Fachpolitiker*innen der übrigen Parteien kritisierten eine Äußerung des BiW-Abgeordneten Klaus Remkes. Der hatte im Weser-Kurier von einer „laxen Spruchpraxis“ an Bremer Gerichten gesprochen, deren Milde die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaats gefährde – obwohl die Studie, auf die er sich beruft, das gar nicht hergab (siehe Kasten).

Die immer wieder vehement vorgetragene BiW-Forderung nach härteren Strafen stellt laut Günthner die Unabhängigkeit der Justiz infrage. Von einer „laxen Spruchpraxis“ in Bremen könne keine Rede sein, zumal im niedersächsischen Umland das Strafmaß kaum abweiche. „Letztlich geht es den Bürgern in Wut bloß darum, auf populistische Art und Weise Unsicherheit in der Bevölkerung zu schüren“, so Günthner zur taz.

Anlass für die BiW-Kritik war eine empirische Studie des Freiburger Max-Planck-Instituts für Strafrecht, derzufolge es regionale Schwankungen bei der Härte von Urteilen gibt. Die Gerichtsbezirke Bremen, Oldenburg und Verden liegen zwischen acht und zehn Prozent unter Bundesschnitt – unspektakuläres unteres Mittelfeld.

Der Bremer Richterbund problematisierte zum einen die Vergleichbarkeit und Methodik der Studie, und reagierte scharf auf die Schelte der BiW: „Die Kritik ist so pauschal wie falsch und dient offensichtlich allein der politischen Stimmungsmache“, so Helberg zur taz. Auch Schöffen arbeiteten bei schweren Straftaten mit – die Unterstellung einer laxen Justiz treffe somit auch ehrenamtliche Bürger*innen.

Umstrittene Studie

1,5 Millionen Urteile aller rund 800 deutschen Amts- und Landgerichte aus den Jahren 2004, 2007 und 2010 analysierte Physiker Volker Grundies auf Grundlage der abstrakten Strafdauer (Tagessätze).

Höhere Strafen verhängten Oberbayern und Südhessen (um 23, beziehungsweise 17 Prozent). Niedrigere gab‘s in Baden (um 23 Prozent) und Kiel (18 Prozent).

Bremenund Teile Niedersachsens (acht bis zehn Prozent) liegen knapp unterm Schnitt und nehmen laut Studien-Verfasser keine besondere Rolle ein.

Der Bremer Richterbund zweifelt die Stichhaltigkeit an, weil nicht Urteile selbst untersucht wurden, sondern Auszüge aus dem Bundeszentralregister. Juristische Umstände wie entstandener Schaden, aber auch der Personalmangel blieben unberücksichtigt.

Dass hohe Strafen nicht immer der Abschreckung dienen, zeige zudem das Justizsystem der USA. Die Ausrichtung der deutschen Justiz auf Resozialisierung trage zur Sicherheit des Landes bei. „Auch wenn manche Bürger das – befördert durch populistische Angstmacherei – vielleicht anders empfinden“, so Helberg. Verbesserungsbedarf gebe es in Bremen lediglich bei der Personalausstattung.

Die Fachpolitiker*innen der verschiedenen Bürgerschaftsfraktionen erkannten ebenfalls keinen dramatischen Befund. Die Vorsitzende des Rechtsausschusses Sascha Aulepp (SPD) nannte die Kritik der BiW substanzlos und Sülmez Dogan (Grüne), selbst Anwältin, sagte: „Abgesehen davon, dass Bremen sich nur im unteren Mittelfeld der Studie befindet, helfen geringe Strafen bei der Resozialisierung. Und Resozialisierung ist der beste Opferschutz.“

Kristina Vogt (Linke) warnte, Rankings seien mit Vorsicht zu genießen, Probleme lägen zudem im Personalmangel, nicht in niedrigen Strafen: „Die Richter-Schelte der rechtspopulistischen ‚Bürger in Wut‘, deren Vorsitzender jüngst selbst eine Hausdurchsuchung hatte, ist absolut unangemessen.“

Auch CDU und FDP kritisierten die BiW: Oguzhan Yazici (CDU), Anwalt und Vize-Vorsitzender im Rechtsausschuss, sagte: „Das Problem der Bremer Justiz ist die Unterfinanzierung, nicht milde Urteile – wer das Gegenteil behauptet, verlässt den Pfad der Seriosität.“ Peter Zenner, ebenfalls Anwalt, von der FDP, wird noch schärfer: „Es macht mich wütend, wenn man bei geringfügigen und vermeintlichen Abweichungen öffentlich die unabhängige Justiz angreift. Die populistischen Äußerungen dieser Leute sind gefährlich.“

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!