Bündnispolitik nach der Frankreichwahl: Auf Partnersuche im neuen Parlament
Macron hofft auf eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung. Doch der Front National kann mit beträchtlichen Gewinnen rechnen.
Am 11. und 18. Juni findet die Wahl für die 577 Abgeordneten der Nationalversammlung statt. Die traditionellen Parteien, die bei der Präsidentenwahl mit ihren Kandidaten in der ersten Runde disqualifiziert wurden, hoffen dabei auf eine Revanche. Danach wollen sie entweder als Opposition dem neuen Staatschef das Leben sauer machen oder ihn als Gegenleistung für eine punktuelle Unterstützung für politische Konzessionen nach links oder rechts ziehen.
Das Mehrheitswahlrecht ist tückisch. Es hat die historische Tendenz, die stärksten Parteien, das heißt normalerweise das Regierungslager, bei der Sitzeroberung (ein Mandat pro Wahlkreis) zu bevorteilen, während die kleineren oder marginalen Listen kaum eine Chance haben, im ersten Durchgang eine absolute oder im zweiten eine relative Mehrheit zu erreichen.
Wenn aber bei diesen Stichwahlen noch drei oder sogar vier Kandidaten im Rennen sind, wird die Ausgangslage unberechenbar. Oft waren bisher Bewerber der Sozialisten, der Konservativen und des Front National fast gleich stark. Und durch Wahlallianzen, sei es innerhalb der Linken oder bürgerlichen Rechten oder gemeinsam gegen die extreme Rechte, kann das Kräfteverhältnis kippen. Niemand weiß heute, ob sich die Kandidaten von Macrons „En marche!“ zugunsten eines besser platzierten Sozialisten oder Konservativen (und umgekehrt!) zurückziehen würden.
Neue Gesichter
Noch in dieser Woche will die politische Bewegung des gewählten Präsidenten, die als Partei den Namen „République en marche“ annimmt, die Liste ihrer 577 Kandidatinnen und Kandidaten publizieren. Die Hälfte davon sollen neue Gesichter in der Politik sein. Macron hofft, dass er dank des Elans der Präsidentenwahl eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung bekommt. Falls dies nicht gelingt, bleibt der „Plan B“: mit einer relativen Mehrheit zu regieren und dazu mithilfe von anderen Abgeordneten von links und rechts jeweils punktuelle Einigungen zu erzielen.
Die andere Eventualität einer Koalition mit einer oder mehreren Fraktionen hat Macron ausgeschlossen. Es wäre in Frankreich nicht das erste Mal, dass der Präsident nur über eine relative Mehrheit verfügt oder in einer „Kohabitation“ – einer gegnerischen Parlamentsmehrheit und einem aus deren Reihen ernannten Premier – auskommen muss. Das war sowohl unter François Mitterrand als auch unter Jacques Chirac der Fall.
Aufgrund der Ergebnisse vom Sonntag kann der rechtsextreme Front National von Marine Le Pen, der bisher wegen des Wahlsystems nur über zwei Sitze in der Nationalversammlung verfügt, mit beträchtlichen Gewinnen rechnen. Denn in vielen Wahlkreisen hat Le Pen mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten. So könnte der FN auf rund hundert Abgeordnete kommen und stärkste Oppositionskraft werden. Das strebt auch die linke Bewegung „La France insoumise“ von Jean-Luc Mélenchon an. Er hat seine Anhänger aufgefordert, für diese nächste Wahlschlacht geeint zu bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!