piwik no script img

Bühne ChatrouletteVom Tode gelangweilt

Ein Künstlerpaar inszeniert einen Selbstmord im Internet-Portal Chatroulette. Ihr Video zeigt: Die Zuschauer reagieren schockierend gelassen – fingierte Suizide sind sie gewohnt.

Schnell den Toten fotografieren, sonst glaubt es ja keiner. Bild: Screenshot: Eva and Franco Mattes

BERLIN taz | Was macht man als erstes, wenn man einen Selbstmord sieht? Fotografieren! Zumindest bei Chatroulette, einer Internet Seite, die Besucher wahllos zu Videochats zusammenwürfelt. Normalerweise sieht man da schräge Gestalten, seltsame Kostüme und vor allem viele, viele Geschlechtsteile. So richtig schockieren kann erfahrene Chatroulette-Nutzer deshalb fast nichts mehr – eben auch kein Toter, der vor der Kamera mit einem Strick um den Hals von der Decke baumelt.

Die Reaktionen der Online-Zuschauer auf so einen vermeintlichen Selbstmord zeigt nun das Video „No Fun“: Sie reichen von Misstrauen, über Desinteresse, bis hin zu Belustigung und Anfeuerungsrufen. Ein User beschimpft den Erhängten sogar noch und schreibt „Ur a a shit, u have to die“, eine andere packt erstmal ihre Digital-Kamera aus und macht ein Foto vom Bildschirm, man weiß ja schließlich nie, wofür so ein Bild noch gut sein kann.

Mit solch abgebrühten Reaktionen hatten die Macher des Videos scheinbar nicht gerechnet: Eva Mattes, die eine Hälfte des Netz-Künstler Duos 0100101110101101.org sagte, manchmal sei sie schockiert gewesen, was die Chat-Teilnehmer da auf der anderen Seite des Bildschirms machten – und das wolle etwas heißen, weil sie sonst nicht leicht zu beeindrucken sei.

Der Selbstmord und das Video dazu sind eine Online-Performance, die Mattes zusammen mit ihrem Partner Franco Ende April gemacht hat. Nix passiert also, alle gesund und alles nur ein Kunstwerk, was genau die beiden damit aber eigentlich bezwecken wollten, bleibt unklar.

Erstmal aber hat es vor allem dazu geführt, dass in verschiedenen Blogs (mercedes-bunz und spreeblick) darüber diskutiert wird, was man selber wohl tun würde, wenn man bei Chatroulette so einen Selbstmord sehen würde – unwahrscheinlich ist das nämlich ganz und gar nicht.

Denn neben „No Fun“ gibt es bei Youtube dutzende weiterer Videos, die die Reaktionen von Chatroulette-Nutzern auf Erhängte, übel zugerichtete Leichen und Erschießungen vor dem Bildschirm zeigen. Kunst soll das nicht sein, wohl eher lustig, denn meistens versuchen irgendwelche Teenager so die Menschen auf der anderen Seite des Bildschirms zu erschrecken.

Mittlerweile aber haben die fingierten Selbstmorde in Chatroulette so inflationär zugenommen, dass sich durch Zufall zwei vermeintliche Selbstmörder begegnen, die sich dann gegenseitig erschrecken. Kein Wunder also, dass die meisten Chat-Teilnehmer auf die Installation von Eva und Franco Mattes ziemliche gelassen reagierten – Menschen, die vor der Chatroulette-Kamera von der Decke baumeln, sind sie schon lang gewöhnt.

Es ist klar, dass solche Witzchen in etwas so lustig sind wie im Baggersee den Ertrinkenden zu markieren. Bleibt also die Frage, ob es dann tatsächlich noch ein Selbstmord- Video a la „No Fun“ braucht, Kunstinstallation hin oder her. Die Macher sind in der Kunstwelt keine Unbekannten, ihre Videos über seltsame Performances in Second Life oder die Entführung eines Nike-Logos kann man in Ausstellungen auf der ganzen Welt sehen. Vielleicht wollten sie auch Menschen abseits des Internets vor die Frage stellen, wie sie wohl in so einer Situation reagiert hätten. Vielleicht wollten sie aber auch nur anprangern, wie verroht doch die Jugend heutzutage durch die Medien schon ist.

Dabei darf man nicht vergessen, dass es in der Vergangenheit schon mehrmals zu tatsächlichen Suiziden im Netz gekommen ist, live, vor der Webcam. 2008 nahm in den USA ein 19-Jähriger auf der Plattform Justin.tv vor einer Kamera Pillen, bereits ein Jahr zuvor übertrug ein Brite seinen Suizid im Internet. In beiden Fällen berichteten die Medien danach, die Zuschauer hätten die Selbstmörder nicht ernst genommen oder zumindest viel zu spät reagiert.

Ähnliches könnte nun auch bei Chatroulette passieren, schließlich wissen die meisten Nutzer schon heute nicht mehr, ob ein Selbstmord echt ist. Die meisten werden also auch in Zukunft skeptisch reagieren oder gelangweilt, ist ja wahrscheinlich eh alles nur Spaß - oder eben eine Online-Performance von irgendwelchen Künstlern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • K
    keyden

    Im Grunde ist es nur wichtig das sich die einzelnen Personen verlagern, wenn es personnen gibt die sexuelle Handlungen vor der cam wollen, so können diese Personen auf irgendwelche xxx Roulette gehen oder noch besser zu www.i-do-it-myself-roulette.com :-) lol

  • P
    plastik

    ich habe lieber alles schonmal im fernsehn und im internet gesehn anstatt jungfräulich mit so einer sache real konfrontiert zu werden..

    ich mein wie oft haben wir schon abgeflogene köpfe rumspritzendes blut und pornos gesehn..und bitte ich denke nicht das viele jugendlichen auf das internetbefriedigungsangebot verzichten..xD

     

    im realen leben ist das alles zwar extremer aber man hat sich zumindest vorher schonmal damit beschäftigt indem man zumindest weis wie es aussieht wenn halt mal einer faul rumhängt..höhö wortwitz=)

  • R
    Rod

    Ich finde, dass ein Suizid etwas ganz natürliches ist, vor allem in der heutigen Zeit, in der ein Mensch nur noch auf sein "Funktionieren" reduziert wird.

    Ein Mensch, der nicht so funktioniert wie es die kapitalistische Gesellschaft gerne hätte sollte am besten suizidieren, weil er vom Leben sowieso nichts mehr zu erwarten hat und allenfalls von Politikern noch als "faul" beschimpft wird. Vielleicht ist das auch die versteckte Botschaft der Politiker. Sie erwarten, dass jemand der in Hartz IV fällt von selbst die Reißleine zieht, damit die Reichen keine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen.

  • LM
    Lebendiger Mensch

    Eine sehr, sehr gute Aktion der Künstler. Herzlichen Dank für den Bericht darüber. Das einzig Befremdliche im Artikel ist die ernsthafte Frage "(...) was das soll". Wenn Künstler mediale Bilder schaffen, dann sind diese in der Regel weniger ein manifestes Statement als vielmehr eine gute Diskussionsgrundlage.

     

    Beim Klicken durch Chatroulette stellt sich generell eine zwielichtige, depressive, düstere Stimmung ein. Gute Laune macht diese sozialpornographische Schau langweiliger Menschen nie. Da reiht sich der Erhängte in den widerlichen Geschmack eher auf zynisch-konsequente Weise ein.

  • C
    Catharina

    Chatroulette ist eine Ansammlung Perverser und Dummer im wie immer nicht-durchschaubaren und kontrollierbaren Netz-Wirrwarr. Ich finde diesen Artikel treffend, wenn es um die Verwahrlosung der Jugend, somit auch Jugendkultur geht.

    Das ist weder eine besonders schmackhafte Art von Humor, noch finde ich die Darstellung in diesem Artikel übertrieben. Im Gegensatz zu Chris finde ich es umso wichtiger, dass man darüber berichtet und vor allem weiterhin über Chatroulette aufklärt.

    Gerade dadurch, dass der Zugang zu diesem Portal für jeden möglich ist und jede Jugendschutzbestimmung missachtet. Wichtig ist in diesem Kontekt, dass Eltern wissen, wo und wann sich die Kinder im Netz befinden!

  • B
    Burk

    Mal ehrlich, was kann man auch schon anderes machen? Die Polizei anrufen und erklären, dass auf chatroulette.com einer in den Seilen hängt?

    Dieses Portal an sich ist ja schon so krank, dass es doch gar nicht wundert, wenn sich da wirklich mal einer die Kugel geben würde. Das wäre aber immer noch besser, als in der realen Welt Amok zu laufen.

    Krank find ich übrigens auch solche, die so einen Mist auch noch als Performance betrachten und dann bei den Voyeuren den Mangel an echter Betroffenheit feststellen.

  • M
    martin

    das ist doch eigentlich ziemlich komisch, oder? "Eva Mattes [...] sagte, manchmal sei sie schockiert gewesen" -- dabei wollte sie doch die anderen schockieren! Gemeinheit! Aber ich muss meinen Vorrednern zustimmen. Die Geschichte ist ein bisschen dünn. Eher was für die Wahrheitsseite.

  • R
    Richard

    Sind wir hier bei der Bild? "Die Zuschauer waren also "vom Tode gelangweilt" und reagierten "schockierend gelassen?" Sie haben die Bilder ganz offensichtlich als unecht aufgefasst - und das waren sie ja auch. Das kommt im Verlauf des Artikels auch zur Sprache, produziert aber natürlich keine moralisch hoch empörten Schlagzeilen. Böse Medien, verrohte Jugend von heute! Ganz peinlich.

  • C
    Chris

    Nur zum Mitschreiben:

     

    Chatroulette ist dadurch bekannt geworden dass man ANONYM und ohne jegliche Kenntnisse voneinander einfach loschattet.

     

    Wie sollte man denn reagieren wenn man jemand da haengen sieht?

     

    Eine email an die Verantwortlichen? Bitte IP Adresse orten und oertliche Rettungsdienst einschalten?

     

    Also bitte...

     

    Ausserdem haengt er ja schon, d.h. er konnte schlecht die Weiter-Taste druecken...ohne die man aber nicht zum naechsten Chatpartner kommt...

     

    Was sagt uns das?

     

    Dass hier wieder einmal ein Medium halbherzig erklaert und zur Panikmache (Ohje, die heutige Jugend hat keine Ehrfurcht mehr vor dem Tod, Suizid im Internet als Unterhaltung etc.) & Eigenreklame benutzt wird.

     

    Meines Erachtens laesst das Video keine ernsthafte Reaktion zu und wenn sich jemand ueber etwas mockiert, dann bitte ueber makabren Scherz (der es ja war) da kann man im Nachhinein noch soviel Soziologie hineininterpretieren..!

     

    Sind wir schon soweit dass wir in unseren Zeitungen darueber lesen muessen dass jemand einen Suizid nachgestellt hat um zu beweisen dass dieser im Internet keine Beachtung findet und nicht "richtig" darauf reagiert wird???

     

    Also wirklich taz, es gibt wichtigere Themen & intelligentere auch!

     

    Chris