Bücher aus NS-Raubgut in Berlin: Späte Rückgabe
In den Berliner Bibliotheken stehen tausende von den Nazis gestohlene Bücher. Eine Datenbank erfasst sie nun und versucht, die Erben zu finden.
„Über den Zusatz ‚Tierarzt‘ sind wir der Geschichte dahinter auf die Spur gekommen“, sagte Sebastian Finsterwalder, Mitarbeiter der ZLB, der Bestände nach Raub- und Beutegut durchsucht. „Er ist verfolgt worden, Nachbarn haben ihn und seine Frau lange in einer Gartenlaube versteckt. Bei einem Bombenangriff wurde er aus der Laube auf die Straße geschleudert und verletzt, die Gestapo hat ihn ins Krankenhaus getragen. Von dort haben ihn die Nachbarn wieder abgeholt und weiter versteckt.“
Hinter Tausenden ganz normalen Büchern in den Bibliotheken – Romanen, Reiseführern oder Sachbüchern – stehen solche Geschichten. Die ZLB erfasst Bücher aus NS-Raubgut schon länger. Seit letztem Sommer gibt es unter Looted Cultural Assets eine gemeinsame Datenbank, an der sich neben der ZLB die Universitätsbibliotheken der Freien Universität und der Universität Potsdam sowie die Bibliothek der Stiftung Neue Synagoge Berlin beteiligen. „Wir erfassen darin die Bücher, ihre Herkunft und Daten zu ihren Besitzern“, sagte Sina Latza bei der Vorstellung der Datenbank am Donnerstag.
Dafür werden Stempel, Namenseintragungen, Exlibris oder Widmungen in den Büchern ausgewertet. „Wir müssen dreimal suchen: erst die Bücher in unseren Beständen, dann die Personen, denen sie gehört haben, und schließlich die Erben, um sie zurückzugeben“, erklärte Finsterwalder. Da sie dabei oft auf dieselben Personen stießen, sei die Zusammenarbeit mit den anderen Bibliotheken sehr sinnvoll.
Verdächtig sind Bücher in den Bibliotheksbeständen, die vor 1945 gedruckt worden sind und bei denen unklar ist, wie sie dorthin gelangt sind. Allein in der ZLB müssen mehr als 200.000 Bücher überprüft werden. „Es sind viel mehr, als wir anfangs dachten“, sagt Finsterwalder. Etwa 500 Bücher habe die ZLB an Erben zurückgegeben. „Aber wir schaffen es nicht, alle ausfindig zu machen. Daher haben wir die Datenbank so geöffnet, dass man die Namen der Besitzer über Suchmaschinen findet.“ Die MitarbeiterInnen hoffen, dass Verwandte bei Recherchen auf die Datenbank stoßen und sich bei ihnen melden.
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