Buchtipp Doping: "Spielbälle der Chemie"
Das Buch zum Jahr des Sportbetrugs: Werner Franke und Udo Ludwig, "Spiegel"-Autor, dokumentieren deutsche Dopingfälle und schildern eindrucksvoll die Wirkungsweise der Pillen.
Sie wollen Ihren Lieben ausgewählte Meisterwerke der Belletristik unter den Weihnachtsbaum legen, tintenherzige Mittagsfrauen oder Tannöd in italienischen Schuhen? Lassen Sie das lieber und schenken sie Ihren Anverwandten ein gutes Stück Realität! Ein Sachbuch. "Der verratene Sport. Die Machenschaften der Doping-Mafia. Täter, Opfer und was wir ändern müssen", haben die Autoren Werner Franke und Udo Ludwig ihr Werk überschrieben. Franke, ein Wüterich in Sachen Dopingaufklärung und Ludwig, Spiegel-Autor, haben sich als kongeniales Duo zusammengetan, um das Buch zum Jahr des Sportbetrugs zu schreiben. Sie sprechen den Leser direkt an. Was kann er tun, damit der Sport wieder sauberer wird, zu einem ein Hort hehrer Wettkämpfe lupenreiner Muskelmenschen. Zunächst kann der mündige Konsument weniger Sportfernsehen schauen, sich abwenden von Radsportübertragungen im Öffentlich-Rechtlichen und im Spartensender Eurosport - und er kann das im ZS-Verlag erschienene Buch lesen, das im Grunde nur zwei Mängel hat.
Einmal ist die Umschlaggestaltung gründlich misslungen. Auf dem Einband werden die Autoren reißerisch als die "Doping-Jäger Nr. 1" gepriesen. Wo gejagt wird, wird gemeinhin auch erlegt - ein merkwürdiger Impetus für journalistisches Tun. Auch handelt es sich nicht um "das erste Doping-Aufklärungsbuch", wie es nicht minder großsprecherisch heißt. Das sollte vor allem der Molekularbiologe und Krebsforscher Franke wissen, der Anfang der Neunzigerjahre gemeinsam mit seiner Frau Brigitte Berendonk das Standardwerk "Doping" geschrieben hat, das in keinem Haushalt eines Sportfans fehlen sollte. Merkwürdig muten auch die eingeschobenen Interviews an. Ludwig hat den Doyen der Dopingaufklärung, Professor Werner Franke also, dreimal befragt. Das wirkt recht hölzern und legt den Verdacht nahe, dass Ludwig die Kärrnerarbeit oblag und Franke hauptsächlich aus seinem umfangreichen Fundus an Dopingdokumenten zuarbeitete.
Doch das schadet dem Buch in seiner Gesamtheit nicht. Es rekurriert gekonnt auf die bekanntesten deutschen Fälle: das sinistre Treiben des Leichtathletik-Trainer Thomas Springstein und Jan Ullrich inmitten des spanischen Blutpanscherskandals. Auch die Causa der Marion Jones, die kürzlich ihre Olympiamedaillen zurückgeben musste, wird noch mal ausführlich besprochen, doch am packendsten ist Kapitel 6 über den Muskelrausch in der Muckibude. Eindringlich wird geschildert, wie die Pillen zum Muskelaufbau Körper und Geist zerrütten, Impotenz inklusive. Andreas Münzer war so einer, der sich einen voluminösen Muskelpanzer antrainierte und daran krepierte - jämmerlich und tragisch.
Die hohen Dosen, der tägliche Drogencocktail schädigen die Leber, der Cholesterinspiegel steigt, das Blut verfettet, die Gefäße drohen zu platzen. Münzer stirbt an einer Blutung im Bauchraum, die nicht gestillt werden kann. "Es war wohl seine Zeit, Gott zu treffen", kommentiert der Kraftsportler Aaron Baker zynisch. Zig Muskelfetischisten werden zum "Spielball der Chemie", wie Ludwig schreibt. Wird ihnen der eigene Körper, den sie einst geformt haben, fremd, ist es oft zu spät.
Ludwig und Franke lassen den Leser freilich nicht ratlos zurück. Sie empfehlen vielmehr eine "radikale Trennung vom Zirkussport", eine "radikale Repression über die Grenze des bisher Vorstellbaren hinaus" sowie einen "radikalen Umbau des Kontrollsystems". Ein bisschen viel Radikalität? Wohl kaum. Doping lässt sich nur rigoros bekämpfen.
Werner Franke, Udo Ludwig: "Der verratene Sport". Zabert Sandmann Verlag, München, 19,95 Euro
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