■ Buchtip: Gefallene Engel
Eine ehemalige Klosterschülerin entdeckt während einer Reise die Geheimnisse des Orients, entwickelt „seit 1987 emotionale, ethische und politische Distanz zum Westen“, kündigt nach zehnjähriger Lehramtstätigkeit ihren Job, um sich fortan der Mystik zu widmen, und bringt es so zum Derwisch des zentralasiatischen Nagshbadiyya- Ordens. – Ich muß gestehen: derlei biographische Enthüllungen auf einem Buchcover beschwören in mir den Drang, das betreffende Werk sogleich ungelesen wegzulegen, aber die „Engel aus 1001 Nacht“ las ich mit wachsender Begeisterung.
„Im Umgang mit der Sexualität zeigt jede Gesellschaft ihr wahres Gesicht“, erklärt die Autorin gleich im Vorwort, warum bei der Mehrzahl ihrer Geschichten sexuelle Beziehungen im Mittelpunkt stehen – zwischen den Geschlechtern, zwischen Einheimischen und deutschen TouristInnen und erstaunlich oft zwischen türkischen Männern. Längst ist auch die Türkei ein begehrtes Reiseziel deutscher SextouristInnen geworden. „Die abgehalfterten Drüsenzombies und die unbefriedigten Frauen lockt nicht nur das Bad im Meer, sondern auch das Bad in einem Ozean von sexueller Potenz und Bereitschaft“ – wobei die Prostituierten für Kunden beiderlei Geschlechts in Saharkhans Geschichten ausnahmslos Männer sind. Die Autorin erzählt von diesen Beziehungsgeschichten auf Zeit aus wechselnder Perspektive: aus der des jungen Schwanzträgers, der anfangs stolz auf seine Manneskraft Touristinnen sammelt, doch schon bald von der „Würdelosigkeit“ seiner deutschen Sponsorinnen angeekelt ist; aus der der nach langen Ehejahren frustrierten 40jährigen, die sich im Türkei-Urlaub ernsthaft verliebt und erleben muß, wie sich ihr Auserwählter bald wieder neuen Kundinnen zuwendet; aus der der türkischen Ehefrau, die mitspielen muß, wenn ihr Mann sich Touristinnen ins Haus holt.
Sex- und Machtverhältnisse bilden eine untrennbare Einheit, Gewalt durchzieht wie ein blutroter Faden die Geschichten dieses Bandes. Dennoch strahlen die meisten der zwei Dutzend Erzählungen auch die leidenschaftliche Verbundenheit der Autorin mit ihrer Wahlheimat aus. So sei dieses Erstlingswerk nicht nur Türkei-Reisenden und -Liebhaberinnen wärmstens empfohlen. Farin
Beatrix Saharkhan: „Engel aus 1001 Nacht. Kurzgeschichten aus dem Orient“. Milena Verlag, Wien 1997, 157 Seiten, 32 DM
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