Buchmesse: Kreativ verlegen

Die Literatur muss sich mehr und mehr in einem Umfeld aus Gimmicks und Medieninnovationen behaupten. Die Verlage stellen sich auf die neue Situation ein.

Zwei Mäzeninnen der Kreativindustrie Buch. Bild: dpa

Mal sehen, welche kulturbeflissenen Sätze sich Peer Steinbrück in sein Manuskript hat schreiben lassen. Der Bundesfinanzminister (SPD) darf am Dienstag Abend die Frankfurter Buchmesse eröffnen, die bedeutendste Literaturshow und das wichtigste Verlagstreffen weltweit. Das ist so ein Anlass, bei dem man sich als politische Spitzenkraft mal in einem anderen Licht präsentieren kann: Seht, auch ich habe Interesse an der bunten Welt der Literatur! So etwas mögen Politiker. Aber auch der Finanzpolitiker und dröge Rechner in Steinbrück darf sich am Dienstag Abend bestätigt fühlen. Vorbei die Zeiten, da noch der Anschein erweckt wurde, die Gesetze des Marktes würden auf so einer Buchmesse mal eben außer Kraft gesetzt. Dass es noch bis zum 14. Oktober in den Frankfurter Messehallen darum gehen wird, Umsatz zu machen und damit auch die Kassen des Finanzministers zu füllen, ist allen Beteiligten klar.

Die 59. Frankfurter Buchmesse wird am Donnerstagabend eröffnet. Bis zum Sonntag sind die Messehallen täglich zwischen 9 und 18.30 Uhr geöffnet. Zunächst nur für das Fachpublikum, am Wochenende dann für alle Interessierten. Aussteller aus 110 Ländern wollen ihre Produkte den erwarteten 300.000 Besuchern präsentieren.

Gastregion ist diesmal Katalonien. 1.200 Autoren schreiben derzeit in Katalanisch. Das katalanische Kulturinstitut Ramón Llull hat mehr als 120 Autoren eingeladen - so viele wie kaum ein Gastland zuvor. Juan Goytisolo, einer der bekanntesten katalanischen Schriftsteller, wird aber nicht nach Frankfurt/Main kommen. Er wurde nicht eingeladen, weil er auf Spanisch schreibt. TAZ

Warum sollte es der Literatur auch anders gehen als längst der Kultur insgesamt? Jedenfalls führen Politiker in ihren Festreden, die sie zur Eröffnung kultureller Großereignisse halten, seit einiger Zeit gerne einen interessanten Spagat vor: Nachdem die Nähe des Redners zur Kultur durch ein, zwei Schlenker hinlänglich belegt wurde, wird auf die Bedeutung der Kultur nicht nur fürs intellektuelle Selbstverständnis, sondern auch für so handfeste Größen wie das Bruttosozialprodukt hingewiesen.

Kreativindustrie lautet das Stichwort. Unter Kulturpolitikern ist es seit ein paar Jahren gang und gäbe; auf Kongressen wird es diskutiert. Und inzwischen kommt der Begriff auch in der Praxis an. Schwammig ist er ja - alle kulturellen Waren vom Roman über Computerspiele bis zum Architektur-Entwurf fallen unter dieses Schlagwort. Aber man hat eben festgestellt, dass die Gesamtheit dieser Waren einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Deutschland beiträgt - und dass kaum jemand nachfragt, wenn man über diese wirtschaftliche Bedeutung die Kultur insgesamt legitimiert. Schließlich liegt ihr Umsatz inzwischen vor der chemischen Industrie und gar nicht mehr so weit hinter der deutschen Vorzeigesparte schlechthin: der Autoindustrie. "Harry Potter" hat endgültig bewiesen, dass man auf Romanfiguren weltumspannende Wirtschaftsimperien gründen kann. Seitdem vermag man auch dem trockensten Wirtschaftsprüfer klarzumachen, dass Kreativität und Geist Ressourcen sind, deren, nun ja, Marktperformance man nicht unterschätzen sollte.

Bei der Buchmesse hat man die Zeichen der Zeit erkannt. Juergen Boos, ihr Direktor, sagt: Die Veranstaltung sei inzwischen auch weltweit "zur bedeutendsten Medienmesse" geworden. In der Tat. Die Bücher bilden nur ein Segment des Geschäfts mit der Literatur. Wer in den kommenden Tagen mit schöngeistigen Vorstellungen vom guten Buch durch die Messehallen wandelt, wird sich an manchen Ecken wie auf einem falschen Planeten vorkommen. Allein 30 Prozent der 380.000 ausgestellten Produkte sind digital.

Von der Presseagentur dpa lässt sich Juergen Boos mit den Sätzen zusammenfassen: "Wie ein Schwamm soll die Messe alles aufsaugen, das irgendwie mit dem Medium Buch zu tun hat. Vom Harry-Potter-Zauberstab bis zur Literaturfilm-DVD." Hauptsache, irgendwie kreativ eben und man kann damit Umsatz generieren. Die Aussage, dass Boos zugleich durch Debatten und Initiativen die Messe wieder verstärkt zu einem "gesellschaftspolitischen Forum" machen möchte, bringt der Messe-Chef zwar auch glaubhaft rüber. Aber solch intellektuelles Bemühen wird von dpa nur noch an zweiter Stelle kolportiert. Ob die im vergangenen Jahr gestartete Initiative gegen Analphabetismus wirklich die Debattenlage verändern wird, bleibt auch abzuwarten.

Goodbye, bildungsbürgerliches Kulturfundament! Und hallo, kreativindustrielles Umfeld! Damit ist eine Entwicklung endgültig abgeschlossen, die seit Jahren den Strukturwandel der literarischen Öffentlichkeit untergründig prägte - und verunsicherte.

Jahrzehntelang hatte sich die Branche darauf verlassen können, dass die Literatur als Königsdisziplin gesellschaftlicher Debatten fungierte. Grass, Böll, Enzensberger, Peter Weiss, Adorno, you name it - auf dem Gebiet der Literatur (und der angrenzenden Philosophie) wurde der Nationalsozialismus gesellschaftlich durchgearbeitet. Literatursoziologen wissen zu ergänzen, dass die Literatur zudem als Leitmedium in der bundesrepublikanischen Aufsteigergesellschaft fungierte; viele Kleinbürgerkinder, die als Erste in ihren Familien studierten, wurden Deutschlehrer. In der DDR war die Literatur sogar bis zuletzt mit oppositioneller Würde aufgeladen. Und jetzt schafft es der Literaturbetrieb nicht einmal mehr, sich bei der Frankfurter Buchmesse, seiner Haus- und Zentralveranstaltung, unangefochten in den Mittelpunkt zu setzen. Vielmehr muss sich die Literatur behaupten in einem Umfeld aus Gimmicks und Medieninnovationen. Es gibt in der Branche niemanden, der behauptet, dass das wirklich leicht sei.

Hinter den Kulissen hat es wegen dieser Entwicklung zuletzt viel Abschied und Depression gegeben. Der Suhrkamp Verlag ist gehörig ins Schlingern geraten bei seinen Versuchen, die Aura eines ganz im Dienst an den großen Autoren aufgehenden Hauses in die Gegenwart zu retten. Literaturkritiker, die noch von der klar strukturierten Gruppe-47-Welt geprägt wurden, müssen sich erst mühsam im quirligen Feld der neuen Autorennamen orientieren. Und die ganze Branche hatte ihren McKinsey-Schock. Als sei die deutsche Verlagslandschaft bis dahin ein Hort der Geistigen und des Idealismus gewesen (was sie in Wirklichkeit natürlich nie war), wurde die Gefahr heraufbeschworen, dass grau gekleidete Männer mit Taschenrechnern den literarischen Gehalt auf das, was sich rechnet, herunterstutzen könnten.

Inzwischen gewinnt man allerdings den Eindruck, dass die Literaturbranche dabei ist, sich gut auf die neue Lage einzustellen. Die Umrisse einer nachbildungsbürgerlichen Literaturwelt, die sich im Umfeld der Kreativindustrie behaupten kann, zeichnen sich ab. Als Innovation von Bedeutung erweist sich etwa der Deutsche Buchpreis (er wurde gestern Abend verliehen, der Preisträger stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest). Wenn selbst Marcel Reich-Ranicki inzwischen leiser geworden ist, schafft man sich pünktlich zur Messe eben selbst ein Thema, so das Kalkül des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der den Preis ausrichtet. Und das Kalkül geht auf: Ob der Preisträger zu Recht gekürt wurde, welcher Roman zu Unrecht auf der Strecke blieb - darüber lässt sich immer wieder aufs Neue trefflich streiten.

Auch wichtig: dass man beim Buchpreis auf Seriosität setzt. Auch, vielleicht sogar gerade in einem kreativindustriellen Umfeld kann man mit reinen Showelementen kaum punkten; beim Konkurrenzpreis namens Corine fällt die Gala-Präsentation im Fernsehen immer unangenehm auf. Es ist eben keineswegs so, dass in einer nachbildungsbürgerlichen Literaturwelt alle Produkte mit demselben nivellierenden Mix aus Show, PR und Fun-Gerede präsentiert werden können. Gerade Ernsthaftigkeit wird für die engere Literaturszene zum Kapital. RomanleserInnen haben offenbar ein feines Gespür für Distinktionen. Zum "Harry Potter" ist der Zauberstab okay, aber bei Katja Lange-Müller, Julia Franck oder Michael Köhlmeier würde ein Fernsehballett nur stören.

Auch in der Verlagsszene ist es anders gekommen, als Pessimisten befürchtet haben. Keineswegs haben nun überall die Rechner und Kontrolleure das Sagen. Vielmehr haben sich nach der statischen Verlagslandschaft der alten Bundesrepublik - Suhrkamp unangefochten für avancierte deutschsprachige Literatur, Rowohlt fürs amerikanische Erzählen usw. - fünf, sechs Literaturverlage herauskristallisiert, die in jeder Saison die Gewichte untereinander neu verteilen: Neben Suhrkamp und Rowohlt sind der Fischer-Verlag, Kiepenheuer & Witsch und Hanser zu nennen. Klett-Cotta, Ammann, Steidl, Hoffmann & Campe, Aufbau, Berlin, DVA, Beck und weitere Häuser haben auch literarischen Ehrgeiz. Es würde für jeden dieser Verlage einen großen Imageverlust bedeuten, wenn klar würde, dass die Lektorate nicht unabhängig von den Buchhaltern arbeiten können. Profilieren können sich alle allein durch das Programm - und darin letztendlich auch nur durch literarische Qualität.

So wird es in Frankfurt gelegentlich gewöhnungsbedürftige Näheverhältnisse von Büchern, Geschenkideen und neuen Medien zu entdecken geben. Möglicherweise aber auch ein neues Selbstbewusstsein der Literatur: Auch in einem kreativindustriellen Umfeld braucht man nicht jedem Marketingtrend hinterherzulaufen. Der Kern des Unbehagens gegen dieses Umfeld liegt wohl darin, dass man traditionellerweise denkt, Romane würden durch Reklamemaßnahmen entwertet. Aber auch dabei braucht man als Leser ja nicht mitzumachen.

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