Buchmesse in Istanbul: Atatürk ist wieder da
Eine neue Biografie über Republikgründer Kemal Atatürk ist der Renner auf der Istanbuler Buchmesse. Das sagt viel über die Stimmung im Land aus.
Nach 16 Jahren ideologischen, religiösen Trommelfeuers durch Recep Tayyip Erdoğan und seine AKP sucht der regierungskritische, republikanische Teil der türkischen Gesellschaft wieder vermehrt Halt beim säkularen Republikgründer Mustafa Kemal. Da kommt das Buch von Yılmaz Özdil gerade recht. Özdil, ein erfahrener Journalist, hat ein gut lesbares, schwungvolles Werk verfasst, das beim Publikum begeisterte Aufnahme gefunden hat.
Der Stand des Verlages war auf der Buchmesse ständig umlagert, vor allem weil der Bestseller auf der Messe mit hohem Rabatt verkauft wurde. Doch das kann Kırmızı Kedi nun leicht verkraften. Dieser linksliberale Verlag immerhin dürfte nun erst einmal saniert sein. Eine Woche lang präsentierten die türkischen Verlage auf der 37. Buchmesse in Istanbul bis zum gestrigen Sonntag ihre diesjährige Herbstkollektion.
Wie fast immer war die Messe, die seit ein paar Jahren weit draußen vor den Toren Istanbuls stattfindet, sehr gut besucht, was aber vor allem daran liegt, dass die Istanbuler Buchmesse, anders als beispielsweise die in Frankfurt, eine Verkaufsmesse ist und alle Bücher dort mit hohen Rabatten abgegeben werden. Beim Rundgang durch die Messehallen fällt auf, dass Atatürk nicht nur den Stand von Kırmızı Kedi dominiert, sondern auch bei anderen Verlagen vielfach präsent ist.
Eine gesellschaftliche Reaktion
Beim İleri-Verlag, einem Haus, das sich traditionell dem Gedenken des Republikgründers verschrieben hat und von sogenannten Atatürkcüs, also besonders gläubigen Kemalisten betrieben wird, bestätigen sie den Trend. Das Interesse an Mustafa Kemal sei so groß wie lange nicht mehr.
Die Buchbranche spiegelt damit eine gesellschaftliche Reaktion, die sich vor allem an den Gedenktagen für den Republikgründer zeigt. Am diesjährigen Todesgedenktag, am 10. November, war der Andrang zum Atatürk-Mausoleum in Ankara so groß wie lange nicht. Auch Gedenkumzüge in Istanbul und Izmir waren geradezu überlaufen. In vielen Schaufenstern in den säkularen Vierteln von Istanbul hängen demonstrativ Atatürk-Porträts.
Selbst im parlamentarischen Bereich ist Atatürk wieder ein Thema. Vor wenigen Tagen forderte die Opposition geschlossen den Rücktritt des Direktors der Religionsbehörde Diyanet, Ali Erbaş, weil dieser einen bekennenden Atatürk-Verächter, den islamistischen Schriftsteller Kadir Mısıroğlu, durch einen Besuch aufgewertet hatte.
Bei den offiziellen Messeveranstaltungen bildet sich dieser Trend allerdings nicht ab. Das diesjährige Motto, „Das Leben mit Literatur umrahmen“, ist politisch nichtssagend und so sind auch die meisten Messeveranstaltungen. Außer den traditionellen Buchpräsentationen gibt es kaum thematisch übergreifende Veranstaltungen.
Dabei, sagt Sinan Zarakolu, Geschäftsführer des Belge-Verlages, einer der bekanntesten linken Verlage der Türkei überhaupt, hat „der politische Druck auf die Verlage eher nachgelassen“. „Die Situation ist längst nicht mehr so harsch wie vor zwei Jahren.“ So hat der Staatsanwalt sich in diesem Jahr nur eine Neuerscheinung des Belge-Verlages, ein Buch über den angeblichen „Völkermord an den Pontos-Griechen“, kommen lassen, allerdings ohne bislang ein Verfahren einzuleiten.
Ganze Auflagen beschlagnahmt
Da ist der Belge-Verlag aus der Vergangenheit schon ganz anderes gewohnt. Der Gründer des Verlages, Ragıp Zarakolu, der Vater von Sinan, war mehrmals im Gefängnis und lebt nun in Schweden im Exil. Ganze Auflagen sind beim Belge-Verlag schon beschlagnahmt worden, was sich nach Meinung von Sinan Zarakolu in diesem Jahr wohl nicht wiederholen wird. „Erdoğan sucht im Moment einen Ausgleich mit Europa, da wird er die Situation nicht mit neuen Verhaftungen von Autoren oder Verlegern belasten wollen“, hofft er.
Tatsächlich kämpfen die meisten türkischen Verlage derzeit mehr mit wirtschaftlichen als mit politischen Problemen. Neben der allgemeinen Wirtschaftskrise in der Türkei, die für viele Käufer das Buch oft schon zum Luxusprodukt werden lässt, macht den Verlagen vor allem der hohe Papierpreis zu schaffen. Grund dafür ist, dass der allergrößte Teil des für den Buchdruck benötigten Papiers importiert werden muss und angesichts des Absturzes der türkischen Lira nun astronomische Preise für das Importpapier fällig werden.
Jetzt rächt sich, dass die Regierung von Präsident Erdoğan bei ihrem Programm, alle staatlichen Firmen zu privatisieren, schon vor zehn Jahren auch die staatliche Papierfabrik Seka verhökert hatte. Die neuen Besitzer machten den Laden dicht und verkauften stattdessen die wertvollen Grundstücke, auf denen vorher die Papierfabrik stand.
Die Helden der Vergangenheit
Ünal Koçak, Verleger des renommierten Ithaka-Verlages erläutert die Situation: „Früher machten Papier und Druck jeweils die Hälfte der Herstellungskosten aus. Jetzt müssen wir für das Papier 2/3 der Herstellungskosten ausgeben. Das ist kaum tragbar, weil das Papier im Vorhinein bezahlt werden muss, wir unsere Erträge aber erst viele Monate später bekommen, wenn überhaupt“. Koçak ist sehr pessimistisch. „Es war noch nie so schwer, Verleger zu sein, wie heute“, meint er. Viele Verlage werden wohl die kommenden Monate nicht überleben, fürchtet er.
Eine sichere Bank für die Verlage sind Schulbücher oder Unterrichtsmaterial für die Unis. Fast die Hälfte des Umsatzes werden mit diesen Titeln gemacht, was sich auch bei der Messe niederschlägt. Eine von insgesamt drei großen Hallen sind Schul- und Ausbildungsmaterialien gewidmet. Auch außerhalb dieses Segments überwiegen Sachbücher, vor allem zu Politik und Geschichte. Etliche Verlage widmen sich mittlerweile der glorreichen osmanischen Geschichte und lassen, ganz im Sinne der herrschenden Ideologie, die Helden der Vergangenheit wiederaufleben.
Klassische Belletristik hat es dagegen schwer, neue türkische Romane erscheinen zumeist nur noch in kleinen Auflagen von ein- bis zweitausend Exemplaren. Bei ausländischen Autoren suchen die Verlage für Übersetzungen meist nach Büchern, für die sie keine Lizenzen mehr kaufen müssen. Von deutschen Autoren sieht man deshalb eher Thomas Mann und Franz Kafka als Juli Zeh oder Lutz Seiler.
Aserbaidschan und Saudi-Arabien
Deshalb sind in diesem Jahr auch sehr wenige ausländische Verlage oder Partnerländer vertreten. Neben einem Stand der Frankfurter Buchmesse sind das Aserbaidschan und zur allgemeinen Überraschung Saudi-Arabien. Ein großes Bild von Erdoğan und dem saudischen König ist am Eingang aufgehängt, in Hintergrund dräut Kronprinz Mohammed bin Salman. Allerdings sind die Bücher schon am dritten Tag der Messe wieder weggeräumt und von den offiziellen saudischen Vertretern ist niemand mehr zu sehen.
„Die haben sich hier nur mit Polizeischutz bewegt“, erzählt eine Vertreterin der benachbarten Aserbaidschaner. So hat zu mindestens indirekt der Mord an Jamal Khashoggi auch auf der Buchmesse seinen Niederschlag gefunden.
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