Buchhandel in Deutschland: Finden Sie Amazon auch so toll?
Verdi, Verlage, Leser: Alle schimpfen gerade auf den Onlinehändler. Und loben die kleine Buchhandlung. Nur nicht unser Autor.
Buchhandlungen werden behandelt wie Eisbärenbabys: Jeder findet sie süß und schützenswert, aber nur die Wenigsten tun etwas, um sie zu retten. Beide sind in ihrer Existenz bedroht – die einen durch das Internet, die anderen durch den Klimawandel.
Der Umgang mit Büchern und den Orten, an denen sie verkauft werden, hat hierzulande etwas komisch Moralisches. Die Literaturredakteurin der Zeit, Iris Radisch, hat im vergangenen Sommer einen Text über Amazon mit den Worten „Ich gestehe“ eröffnet und diese Entschuldigung angefügt: „Wer in einem Dorf wohnt, in dem nur zweimal am Tag ein Bus hält, bestellt schnell mal bei Amazon.“ Woher kommt diese Verdruckstheit? Warum ist es so schwer zuzugeben, dass man bei Amazon Bücher kauft?
Wie klingt, zum Vergleich, folgendes Geständnis? „Ich gestehe: Ich habe es auch getan. Sogar sehr oft. Wer in einem Dorf wohnt, in dem nur zweimal am Tag ein Bus hält, bestellt schnell mal bei Zalando Schuhe“. Klingt komisch, oder? Schuhe bei Zalando zu bestellen, wird für die Wenigsten ein Grund für ein Geständnis sein.
Warum eigentlich? Bei Zalando herrschen, wie bei Amazon, problematische Arbeitsbedingungen. Zalando bringt, wie auch Amazon, den Einzelhandel in Schwierigkeiten. Bei Zalando zeigen sich, wie bei Amazon, Symptome eines kranken Systems. Der Unterschied ist: Im einen Fall geht es um Bücher, im anderen um Schuhe. Und das Buch gilt in Deutschland als heiliges Kulturgut.
Buchpaläste verschwinden aus der Innenstadt. Autorinnen haben künftig sieben Jobs gleichzeitig. Ein Kunde ist noch lange kein Kritiker. Und kleine Buchläden sind wie Eisbärenbabys. Was vier junge Schriftstellerinnen über Amazon denken, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 20./21. Dezember 2014. Außerdem: Vögeln ist schön. Die Autorin des gleichnamigen Buches spricht mit Jan Feddersen über Verklemmtheit und das uneingelöste Versprechen der freien Liebe. Und: 2004 entvölkerte der Tsunami beinahe die indonesische Provinz Aceh. Wie findet man nach so einer Katastrophe wieder ins Leben? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Der Buchhändler ist im kollektiven Bewusstsein als sympathische Figur verankert, er sieht aus wie Hugh Grant in „Notting Hill“: hinter sorgsam gestapelten Buchpyramiden wartend, charmantes Lachen, immer bereit für einen fachkundigen Tipp. Die Buchhandlung um die Ecke ist, wie der Italiener um die Ecke, ein hoffnungslos verkitschter Sehnsuchtsort.
„Ein Buchladen zum Verlieben“
Empfehlung am Rande: Wer mehr von diesem Kitsch will, sollte Katarina Bivalds Bestseller „Ein Buchladen zum Verlieben“ lesen. Die Handlung: Eine arbeitslose Schwedin gerät nach Iowa in die Einöde, eröffnet dort einen kleinen Buchladen und rettet die Einwohner des Kaffs „Broken Wheel“ vor deren Kultur- und Hoffnungslosgkeit. Wenn Sie Amazon und die USA eher kritisch sehen, dann werden Sie dieses Buch lieben.
Schon in den Schulen werden wir, mit moralischem Impetus, dazu gebracht, Bücher zu lesen, die wir nicht lesen wollen. Es ist doch verständlich, dass ein Siebzehnjähriger wenig mit Emilia Galotti anfangen kann. Und wenn er stattdessen die Serie „Homeland“ guckt, dann nicht, weil er lustlos ist. Sondern weil „Homeland“ besser unterhält als Gotthold Ephraim Lessing. Es ist bei Büchern wie bei Zeitungen: Wenn das Medium nicht überzeugt, dann ist das selten die Schuld des Lesers.
Wer keine Lust hat zu lesen, muss nicht lesen
Die Moral bringt weder jemanden dazu, ein Buch zu verschlingen, noch eine Buchhandlung zu betreten. Wer keine Lust hat zu lesen, muss nicht lesen. Wer online Bücher bestellen will, soll online bestellen. Es ist nicht verwerflicher, als sich Pizza bringen zu lassen oder einen Urlaub im Internet zu buchen.
Das, was uns Amazon bringen wird, ist für viele ein Segen.
Für Menschen zum Beispiel, die sich gerne zu Hause verstecken. Für alle, die Fußgängerzonen hassen. Es gibt Leser, die warten nur darauf, dass ihnen die Amazon-Drohne ins offene Fenster fliegt und ihnen das Buch bringt, für das sie sich, ohne Beratung und menschlichen Kontakt, in freier Entscheidung und spontaner Laune entschieden haben.
Geht es Ihnen wie unserem Autor? Oder lieben Sie Amazon aus anderen Gründen? Tun Sie gar nicht? Wenn jemand so positiv über diesen Konzern schreibt, regt Sie das auf?
Diskutieren Sie mit!
Die Titelgeschichte „Oh, Amazon“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 20./21. Dezember 2014.
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