Buch übers Leben in der Stadt: Was im Dazwischen passiert
Seit 40 Jahren macht der Architekt Jan Gehl aus Metropolen Städte für Menschen. Seine Erfahrungen hat er nun in einem Buch zusammengefasst.
Als junger dänischer Architekt stellte Jan Gehl fest, dass seine Vorlieben in keinen Lehrplänen der Fakultäten zu finden waren. Denn der Kopenhagener interessierte sich nicht für die gebaute Masse, sondern für das, was sich „zwischen den Häusern“ abspielt: Bewegungsströme von Menschen, die dem städtischen Umfeld allererst Leben einflößen. Das Improvisierte und Nicht-Geplante, eben das „Leben zwischen Häusern“, spielte in den stadtplanerischen Überlegungen von Jan Gehl von Beginn an eine zentrale Rolle.
Dreißig Jahre lang lehrte der Architekt an internationalen Universitäten, bis er 2000 in Kopenhagen Gehl Architects gründete, mit Niederlassungen mittlerweile in New York und San Francisco.
In diesem Frühjahr ist nun Jan Gehls neuestes Buch „Städte für Menschen“ erschienen, in dem er seine Erfahrungen als städtebaulicher Berater resümiert und seine Weichenstellungen im Stadtumbau mit zahllosen Beispielen, Fotos, Analysen und praktischen Ratschlägen belegt.
Seine am „menschlichen Maß“, an Sinneswahrnehmung orientierte Stadtplanung mag nicht sonderlich neu sein. Auch die Forderungen nach „grüner Mobilität“, Einschränkung des Autoverkehrs, Förderung des öffentlichen Nahverkehrs und einer besseren Gestaltung des öffentlichen Raums, der am Bewegungsspielraum der Menschen orientiert ist, erscheinen nicht unbedingt revolutionär.
Jan Gehl: „Städte für Menschen“. Jovis Verlag, Berlin 2015, 304 Seiten, 32 Euro
Tatsächlich erweist sich der 78-Jährige mehr als Praktiker denn als Stadttheoretiker. Er liefert zwar das Instrumentarium, beschreibt aber nicht, wie er die Bürgermeister von Moskau oder Muscat überreden konnte, fußgängerfreundliche Stadtzonen anzulegen. Dagegen erzählt er von gleichgesinnten Visionären, beispielsweise von Jaime Lerner, der seit den sechziger Jahren das brasilianische Curitiba in die grüne Hauptstadt Lateinamerikas transformierte.
Leblos wie ein Donut
„Städte für Menschen“ handelt von der Vision, die beide Planer in einer Zeit beseelte, als noch niemand von Ökologie redete – der „Vision einer lebendigen, sicheren, nachhaltigen und gesunden Stadt“. Der Däne berichtet, dass er schon 1968, in den Hochzeiten der „autogerechten“ Stadt, damit begann, Autoverkehr und Parkplätze in der Kopenhagener Innenstadt zu reduzieren und Europas erste Fußgängerzone, den Strøget, anzulegen. Seit dieser Zeit ist die Anzahl autofreier Zonen in der dänischen Hauptstadt um das Siebenfache gestiegen.
Mit Vorliebe erzählt Jan Gehl von den beiden Städten mit der – nach seiner Meinung – höchsten Lebensqualität. Es überrascht nicht, dass es sich um Städte handelt, die er in den letzten Jahrzehnten maßgeblich mitgestaltet hat: Kopenhagen und Melbourne. Anfang der achtziger Jahre, kommentiert Gehl, sei die australische Metropole noch ein „willkürliches Sammelsurium von Bürogebäuden und Hochhäusern gewesen – leblos und nutzlos“. Einheimische tauften die City „Donut“, weil sich im Innern gähnende Leere ausbreitete.
Wenn Medien über Vergewaltigungsprozesse berichten, sind es meist nur die spektakulären. Kachelmann etwa. Das Protokoll eines ganz gewöhnlichen Verfahrens lesen Sie in der taz.am wochenende vom 9./10. Mai 2015. Außerdem fragen wir, ob Hermann noch lebt – Sie wissen schon –, der Community-Kuchen. Und: Ein Doppelporträt von Robert Habeck und Cem Özdemir. Wer erlöst die Grünen aus der Froststarre? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Die Wende kam 1985, als sich die Stadtverwaltung zu einem umfassenden Stadterneuerungsprogramm durchrang, um Melbournes downtown mehr Leben einzuflößen. Zehn Jahre lang dauerte die bauliche Transformation des „Donut“. Im Jahre 2004, nachdem der Umbau beendet war, hatte sich die Anzahl der Wohneinheiten verzehnfacht, es entstanden Kunstzentren, neue Plätze und Promenaden mit Freizeitangeboten.
Städte für Menschen ist die Erfolgsstory des ökologischen Stadtumbaus, der Erfahrungsbericht eines international gefragten Stadtplaners. Es ist nur bedauerlich, dass dabei die politischen Widerstände, die es nicht nur in autoritären Gesellschaften gab, zu kurz kommen.
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