Buch über römische Mafia: Besser als Keynes
Neofaschisten, Berlusconi und Kommissar Zufall: In De Cataldos und Boninis Krimi „Suburra“ läuft die Mafia zur Hochform auf.
Jugendlich, dynamisch, japanisch. So könnte man Samurai beschreiben, Giancarlo De Cataldos Boss der römischen Mafia. Mit den alten süditalienischen Clans verbindet ihn nichts. Was ihn nicht daran hindert, strategische Bündnisse einzugehen, um des lieben Friedens willen.
Den braucht er für seine Vorhaben, und kein Carabiniere soll ihm, nur weil sich irgendwelche Kleinkriminellen auf der Straße gegenseitig abmurksen, in die Parade fahren. Samurais Wurzeln liegen woanders. Er entstammt den faschistischen Schlägertrupps, die sich aus den Hooligans der beiden römischen Fankurven rekrutieren, seit Jahrzehnten. Nun ist er ihr Führer.
Inspiration für die Figur des Samurai, der Verbindungen bis in die höchste Politik unterhält, holte sich De Cataldo in der Realität, bei Massimo Carminati, dem Boss der sogenannten Mafia Capitale, der Hauptstadtmafia. Seit vorigen Dezember sitzt der im Knast. Vier Romane hat De Cataldo ihm und seinem Clan gewidmet, der bekannteste, „Romanzo Criminale“, wurde sogar zweimal verfilmt, als Spielfilm 2005 und vier Jahre später noch einmal als Serie.
Als Richter am Schwurgericht hatte der heute 58-Jährige Einblick in die Ermittlungsakten und konnte so für seine Mafiaromane, die zusammengenommen eine süchtig machende Chronik italienischer Verhältnisse ergeben, stets aus dem Vollen schöpfen. Doch diesmal, für den furiosen Politthriller „Suburra – Schwarzes Herz von Rom“, waren De Cataldo und sein Koautor, der Investigativjournalist Carlo Bonini, stärker auf eigene Recherchen angewiesen.
Carlo Bonini, Giancarlo De Cataldo: „Suburra – Schwarzes Herz von Rom“. Aus dem Italienischen von Karin Fleischanderl. Folio, Wien 2015, 415 S., 22,90 Euro
„Wir haben den Roman geschrieben, ein Jahr bevor die jüngsten Ermittlungen gegen Carminati öffentlich wurden. Wir hatten also keine 'geheimen' Informationen vorab und waren stärker auf Spekulationen angewiesen“, sagt De Cataldo im taz-Gespräch. Das ist auch der Grund, warum Roms Exbürgermeister Gianni Alemanno, gegen den wegen seiner Verbindungen zum ultrarechten Sumpf der Stadt nun ebenfalls ermittelt wird, im Buch nicht vorkommt.
Militante Neofaschisten
„Wir wussten, dass auch er, wie Carminati, früher militanter Neofaschist war. Es wäre möglich, dass die beiden sich im Gefängnis begegnet sind. Aber wir konnten uns, als wir am Roman saßen, einfach nicht vorstellen, dass heute eine enge Verbindung zwischen den beiden besteht. Genauso wenig wie zu Salvatore Buzzi, ebenfalls ein Ex-Rechtsterrorist, dessen Genossenschaft in den letzten Jahren Unsummen mit Roma- und Flüchtlingsunterkünften verdient hat, alles im Dienste der Mafia Capitale. Das ist erst kürzlich bekannt geworden.“
Im Vergleich zu Gianni Alemanno ist der Politiker Pericle Malgradi von der fiktiven Partei „Rialzati, Roma“ (Erhebe dich wieder, Rom), der die atemlos erzählte Handlung des Romans ins Rollen bringt, ein kleines Licht. Nachdem ihm beim Stelldichein mit zwei Nutten – auch Berlusconi lässt grüßen – eine der beiden an einer Überdosis krepiert ist, wendet er sich zwecks Entsorgung der Leiche zunächst an den fiesen Straßenmafioso Spadino, und als er erpresst wird, an einen anderen Clan. Wozu hat man schließlich Verbindungen.
Ihn will De Cataldo verstanden wissen als Typus, wie ihn die Comedia dell’arte vorsieht. „Malgradi steht für alles, was man über verschiedene italienische Politiker seit langem in den Zeitungen lesen musste.“ Das Projekt freilich, das der korrupte Politiker auf Geheiß von Samurai voranbringen soll, gab es wirklich: ein gigantisches Bauvorhaben am Strand von Ostia. Hotels, Bürobauten, Clubs, ein künstlicher Berg mit ebensolchem Schnee und – wie sollte es anders sein – ein überdimensionierter Yachthafen. „Rom ans Meer“, diese Direktive Mussolinis wäre mit einem Schlag Realität geworden.
Nicht so genau hinschauen, wo das Geld herkommt
Glaubt man dem Autorengespann, hängen alle mit drin: die Mafia, der Vatikan, die Politik. Geldwäsche, zahllose Kirchenneubauten, sozialer Wohnungsbau und Veruntreuung öffentlicher Gelder, am Ende ist für jeden etwas dabei. Es ist Eurokrise, Rezession, die öffentliche Hand ist knapp bei Kasse, da schaut man nicht so genau, wo das Geld herkommt. Gut auch für alle, die Arbeit brauchen: „Samurai ist besser als Keynes“, heißt es an einer Stelle im Roman.
Beteiligt am Bündnis ist auch der mafiöse Clan der Anacleti, einer seit langem am Tiber ansässigen Roma-Familie. Ein Bündnis zwischen Faschos, die immer wieder Pogrome gegen Roma initiieren, und Roma selbst. Ein Witz im Roman? „Keineswegs“, sagt De Cataldo, „der Clan existiert wirklich.“ Mit der Ideologie nehmen es die Rechten in Italien schon lange nicht mehr so genau.
Es ist denn auch ein Enttäuschter, von Samurai nach einem Disput über die ideologische Ausrichtung zutiefst gedemütigter früherer Faschist, der, inzwischen als ermittelnder Polizist, dem Mafioso das Handwerk zu legen versucht. Für ihn beginnt der Fall mit dem ermordeten Spadino. Und er, Commissario Marco Malatesta, der gründlich Geläuterte, will nicht eher ruhen, als bis er Samurai das Handwerk gelegt hat. An seiner Seite zwei toughe Frauen: seine Kollegin Alba Bruni und die internetaffine linke Aktivistin Alice. Nach und nach erst entdecken die drei die Ausmaße und die Hintermänner des Projekts.
Am Ende spielt ihnen dabei auch Kommissar Zufall in die Hände. Oder sollte man lieber sagen, eine Änderung der politischen Großwetterlage? „Heute spricht keiner mehr über das Bauvorhaben. Es ist tot“, berichtet De Cataldo. „Und der neue Bürgermeister Ignazio Marino von der PD hat alle großen Projekte unter Rechtsaufsicht stellen lassen.“ Es gibt also Hoffnung.
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