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Buch über die Krisen des Jahrs 1979Dokument einer Zeitenwende

1979 spitzten sich viele politische Entwicklungen zu: Thatchers Wahl, Ölkrise, Iranische Revolution. Der Historiker Frank Bösch dokumentiert sie.

1979: Afghanische Kämpfer essen neben einem zerstörten sowjetischen Helikopter Foto: reuters

Das Jahr 1979 ist gekennzeichnet von einigen Großereignissen und Katastrophen. Von zehn Ereignissen zwischen der Revolution im Iran, dem Besuch des Papstes Johannes Paul II. in Polen, der Revolution in Nicaragua, der Öffnung Chinas unter Deng Xiaoping, der Flucht der Boatpeople aus Vietnam, dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan, der Wahl Margaret Thatchers und der Gründung der Grünen, der zweiten Ölkrise, dem AKW-Unfall in Harrisburg und der Fernsehserie „Holocaust“ im ­deutschen Fernsehen zeichnet Bösch kenntnisreich anschauliche Bilder.

Der Historiker Frank Bösch gebraucht für diese Ereignisse einmal die Metapher „Flutwellen“, aber selbstverständlich sieht er keine natürlichen Ursachen oder Entstehungsbedingungen dafür, sondern soziale, politische, wirtschaftliche und kulturelle Prozesse und Kontexte.

Anders als der Titel „Zeitenwende“ und der Untertitel „Als die Welt von heute begann“ suggerieren, fügen sich die zehn Bilder beziehungsweise Kapitel jedoch nicht zu einem Gesamtbild oder Panorama, denn Bösch tritt nicht in die Falle der Geschichtsphilosophie des Historismus des 19. Jahrhunderts, der gleichzeitige und sich zeitlich folgende Ereignisse nach dem Prinzip „Nach diesen, also wegen diesen“ („post hoc, ergo propter hoc“) ordnet.

Dieser Schluss vom temporalen Nacheinander auf ein Kausalitätsverhältnis ist nur scheinbar logisch: Deng Xiaopings ökonomische Öffnung Chinas im Januar 1979 ist nicht ursächlich verknüpft mit Khomeinis Ausrufung der Islamischen Republik im Februar des selben Jahres. Was diese beiden Ereignisse mit anderen zusammen und das Jahr 1979 insgesamt als eine „Zeitenwende“ erscheinen lässt, ist jedoch das geballte Auftreten von charismatischen Führungspersonen.

Bruch mit oder Vollendung der Moderne

Außer den beiden genannten gehören dazu Papst Johannes Paul II., Margaret Thatcher, Daniel Ortega u. a. Je nach politischer Perspektive kann man diese Führungspersonen und die von ihnen beförderten Prozesse als Bruch mit oder als Vollendung der Moderne begreifen.

Mit dem forcierten Übergang der britischen Wirtschafts- und Sozialpolitik unter Margaret Thatcher zum Beispiel sind Deregulierungen und Privatisierungen sowie die Schwächung der Gewerkschaften verbunden, die nur einige in der Tendenz des modernen Kapitalismus angelegte Züge vollenden, während vergleichbare Reformen im kommunistischen China eher einen Bruch mit der herkömmlichen Plan- und Zwangsgesellschaft darstellen.

Simone de Beauvoir ließ sich vom falschen Eindruck nicht blenden

Böschs Analyse der zehn Großereignisse des Jahres 1979 verweist auf deren prinzipielle Ambivalenz zwischen Bruch und Vollendung. So steht die islamische Republik im Iran sowohl für eine Reaktivierung der Religion wie für eine grobianische Politisierung von religiösen Gehalten, die mit authentischer Religion fast nichts, mit Gewalt und Bevormundung sehr viel gemein haben.

Der Philosoph Michel Foucault ließ sich wie viele andere vom Schein der Revolution im Iran blenden und verstand sie als Bruch, das heißt: als „modernste und irrsinnigste Form der Revolte“ sowie als Beleg für die „Schöpfungskraft der politischen Spiritualität“.

Die Feministin Simone de Beau­voir ließ sich vom falschen Eindruck einer Zeitenwende nicht blenden und sah in der vermeintlichen Wiedergeburt der Religion die Fortsetzung der alten Unterdrückung der Frauen in etwas anderer Form. Auch die medial vermittelte Wahrnehmung der Großereignisse ist hochgradig ambivalent.

Zwischen Boatpeople und Sandinistas

Während sich christdemokratische Politiker in der Bundes­republik sehr stark für die vietnamesischen „Boatpeople“ engagierten, für die auch die deutschen Medien eine erfolgreiche Kampagne organisierten, zeigten sich links und kirchlich orientierte Bürger und Bürgerinnen eher mit der Be­freiungsbewegung der Sandinistas in Nicaragua und mit der ­Kampagne „Christen für den Sozialismus“ (Ernesto Cardenal) solidarisch. Während das offizielle Bonn die Entwicklungshilfe für Nicaragua einstellte, reisten Hunderte von linken Aktivisten als Erntehelfer dorthin. Hierzulande blühte der alternative Handel in „Dritte-Welt-Läden“ auf.

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Besonders krass war die politische Instrumentalisierung des Konflikts um Afghanistan nach der Invasion sowjetischer Truppen Ende Dezember 1979. Radikale islamistische Kämpfergruppen erhielten westliche Hilfe (auch Waffen), weil man sie als Hilfstruppen im Kampf gegen den Kommunismus betrachtete, während Millionen von unbewaffneten muslimischen Flüchtlingen aus Afghanistan fast unbeachtet blieben.

„Das normale Geschäft mit der Sowjetunion“ (Helmut Schmidt) ging weiter wie bisher.

Das Auswärtige Amt in Bonn ging so weit, „die Unterstützung der afghanischen Befreiungsbewegungen“ als „geeignetes Mittel“ zu preisen, „um die Kriegskosten für die Sowjetunion hoch zu halten.“ Das böse Erwachen kam erst, als sich die „Freedom Fighters“ ­(Ronald Rea­gan) nicht als Kämpfer gegen eine kommunistische „Ausrottungsstrategie“ (Helmut Kohl) erwiesen, sondern als muslimisch verkleidete Terroristen.

Das Buch

Frank Bösch: „Zeiten­wende 1979. Als die Welt von heute begann“. C. H. Beck, München 2019, 512 Seiten, 28 Euro

Böschs Buch beeindruckt durch seine Materialfülle und seine sorgfältige Argumentation. Gelegentlich verheddert er sich jedoch terminologisch. So redet er auf einer einzigen Seite von „islamischen Kämpfern“, „radikalislamischen Attentätern“ und „islamistischer Gewalt“, verzichtet aber auf eine klare Unterscheidung zwischen „Islam“ und dessen politischer Instrumentalisierung durch „Islamismus“.

An anderer Stelle ersetzt eine Leerformel eine Differenzierung in der Sache: 1979 riefen die Grünen und Margaret Thatcher, „Ökos und Neoliberale, […] zu mehr ­Sparsamkeit auf, wenngleich aus unterschiedlichen Motiven – die einen, um die Umwelt zu schonen, die anderen, um den Haushalt zu sanieren“. Motive und Zielsetzung einer Intervention bilden freilich den sprichwörtlichen Unterschied ums Ganze, wenn es um mehr und anderes geht als Formales..

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