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Buch über ältere KünstlerinnenDer lange Weg zum eigenen Werk

Verena Lueken porträtiert ältere Regisseurinnen, Autorinnen und Künstlerinnen. Oft dauerte es in ihren Karrieren, bis sie an den Männern vorbeikamen.

Frau sollte auch uncharmant altern dürfen: Vivian Gornick bei einer Buchvorstellung in New York Foto: Dreamstime Zixian/imago

Jung bleiben aus Angst vor dem Alter? Klingt wie ein Witz, doch der Schrecken dahinter, vielleicht eher ein Grauen, lässt nicht auf sich warten, wenn man ins Nachdenken kommt. Verena Lueken hat alte Frauen besucht und über sie geschrieben, und sie hält das Nachdenken knapp, was es aber eindringlich macht.

„Bei Männern nivelliert die Veränderung der äußeren Erscheinung über die Zeit in der öffentlichen Wahrnehmung nicht die Persönlichkeit – den Intellekt, die ihnen entgegengebrachten Gefühle oder ein Begehren. Ihre Meinung ist nicht weniger gefragt, wenn die Haare ausgehen und der Bauch schwillt, im Gegenteil. Bei Frauen wohl.“

Diese Beobachtung ist so selbstverständlich, dass sie das Wundern erschwert. Sich eine Welt zu denken, in der das Alter die weibliche Hälfte der Menschheit nicht degradiert, seit wann ist das fast unmöglich? Für Lueken seit „dem Jugendwahn, den uns das 20. Jahrhundert mit dem Konsumismus eingebrockt hat, und der mit der sexistischen Fixierung auf den Frauenkörper eine, so scheint es, kaum auflösbare Allianz eingegangen ist.“ Und damit Ende der Theorie.

Denn Lueken ist an alten Frauen interessiert, die praktizieren. Deren Werk sie schätzt, die ihr in den Jahrzehnten als Kritikerin und Korrespondentin für die FAZ aufgefallen sind: Choreografinnen wie Lucinda Childs und Katharine Sehnert, bildende Künstlerinnen wie Carmen Herrera und Isabella Ducrot, Autorinnen wie Jane Campbell und Ulrike Edschmid, Regisseurinnen wie Jeanine Meerapfel und Ulrike Ottinger.

Das Buch

Verena Lueken: „Alte Frauen“. Ullstein, Berlin 2025. 316 Seiten 24,99 Euro

Sie sprechen nicht viel darüber

Späte Karrieren und lange Wege; manchmal ein spektakulärer Beginn, bevor es wieder mühsam wurde, öfter ein stetiges Arbeiten im Schatten männlicher Stars, bis Ruhm und Anerkennung kamen. Im Regelfall – eine statistische Gemeinsamkeit, die wohl nicht zufällig ist – eben dann, als die Phase der „woman of a certain age“ (Gebärfähigkeit vorbei) überwunden und das spektakuläre Alter (wow! die lebt und arbeitet noch immer?) erreicht worden ist.

Die von Lueken Besuchten sind allesamt über Achtzig, nicht wenige um die Hundert, und „jede von ihnen hat erlebt, wie eine Gruppe junger Männer die Bühnen und Bürgersteige in Beschlag nimmt, und keiner von ihnen zur Seite tritt, um sie vorbeizulassen. Aber sie machen die Ignoranz der anderen nicht zur Grunderfahrung ihres Lebens“. Sprich: Sie sprechen nicht viel darüber.

Die Kaum-oder-nicht-Beachtung ist keine Ressource für Gram, sondern für persönliche Freiheit. Und diese alten Frauen reden auch nicht viel übers Alter. Das Leben ist interessanter als der bevorstehende Tod, die verbleibenden Jahre werden genutzt – jedoch nicht als Restlaufzeit, sondern als die gegenwärtige Epoche.

Dieser Pragmatismus verhindert Pathos und Sentimentalität; vielleicht sind die auch schwer zu inszenieren, wenn man Lueken gegenübersitzt, deren Interesse immer auf die Arbeit selbst und deren Beweggründe zielt und das auf Wohlwollen nicht angewiesen ist.

Trillerpfeifen sind politisch

In der Begegnung mit Vivian Gornick, „The Odd Woman“, zeigt sich das besonders kantig und mit Humor. Die Mitbringsel – biologisch einwandfreie Äpfel und fancy Konfekt – werden achtlos zur Seite gelegt, ein Glas Wasser (oder gar Tee) nicht angeboten. Und doch entsteht an diesem Nachmittag in Manhattan ohne jede Gemütlichkeit das eindrückliche Bild einer New Yorkerin, die seit Jahrzehnten durch ihre Heimatstadt flaniert und ein feministisches Autorenleben führt.

„I read, I eat, I walk, I talk – thatʼs all I do.“ In den Siebzigern war die Stadt „wirklich sehr gefährlich, für Frauen besonders. Aber wir wollten nicht zu Hause sitzen, sondern haben Trillerpfeifen eingesteckt und sind rausgegangen. Das war eine politische Aktion.“

In der Tat, die Reihe männlicher literarischer Flaneure, von Walter Benjamin bis Peter Kurzeck, ist lang. Seit wann und unter welchen Bedingungen gibt es Flaneusen? Es sind auch solche Fragen, die, beiläufig und um so wirksamer in Luekens klarer und anschaulicher Prosa, ihre Porträts zu einer Welterweiterung und zu einer klugen Freude machen.

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