Buch über Wanderlust: Viele tausend Füße
Spuren der Geschichte von Mensch und Landschaft: Der britische Autor Robert Macfarlane sucht in seinem Buch auf alten Wegen.
Menschen, so wie alle Tiere, gehen gern dort, wo vor ihnen ihre Artgenossen gegangen sind. So entstehen Wege. Manche der Wege, die Menschen heute noch begehen, sind bereits vor Hunderten oder gar Tausenden von Jahren von vielen Füßen in die Landschaft geprägt worden. Der britische Autor Robert Macfarlane, einer der renommiertesten zeitgenössischen Vertreter des nature writing, hat sich auf den Spuren solcher Wege auf Wanderschaft begeben.
In seinem jüngst auf Deutsch herausgekommenen – und sehr gut übersetzten – Buch „Alte Wege“ hat Macfarlane die Erfahrungen und Recherchen aus vielen Wanderungen zusammengetragen, die er im Laufe etlicher Jahre unternommen hat. (Auf Englisch ist es 2012 unter dem natürlich viel schöneren, weil doppelsinnigen Titel „The Old Ways“ erschienen.)
Die meisten dieser Touren führten den Autor durch besondere Landschaften Großbritanniens, durch die Torfmoore auf der Hebrideninsel Lewis etwa, oder durch eine nur aus Stein bestehende Landschaft, in der auch die Wegmarken Steine sind und daher äußerst schwer zu finden.
Edward Thomas, der Spiritus Rector des Buches
Robert Macfarlane: „Alte Wege“. Aus dem Englischen von Andreas Jandl und Frank Sievers. Matthes & Seitz, Berlin 2016, 400 Seiten, 32 Euro
Im Süden Englands wandert Macfarlane über den Ridgeway beziehungsweise den Icknield Way, uralte Reiserouten auf Kreidepfaden, und reflektiert dabei das Leben und Wandern des im Ersten Weltkrieg verstorbenen Autors Edward Thomas, der eine Art Spiritus Rector dieses Buches ist.
Ausschnitte aus Thomas’ Lyrik begleiten viele der geschilderten Wanderungen. Aber auch zahlreiche andere Autoren lässt Macfarlane zu Wort kommen, und die Literaturliste am Ende des Bandes ist beachtlich. Denn ebenso wichtig wie das Gehen und das Dasein in der Natur ist dem Autor Macfarlane (der eine zweite, bürgerliche Existenz als Literaturdozent in Cambridge führt) das Lesen.
Lektüre und Recherche sind unverzichtbare Bestandteile seiner Methode, die Welt zu beschreiben: poetisch genau im sprachlichen Ausdruck, subjektiv in der Empfindung und zugleich detailversessen in der Sache und gründlich bei der Recherche historischer Hintergründe. Es ist niemals die Natur allein, die ihn interessiert, sondern immer die Landschaft in Bezug zum Menschen, der sich in ihr befindet – und umgekehrt.
Wanderung zu einem tibetischen Kloster
Was macht die Landschaft mit uns, und was machen wir mit ihr? Besonders eindrucksvoll zeigt sich die Wirkung der Natur auf den Menschen im Kapitel „Eis“, worin der Autor eine Wanderung auf der chinesischen Seite des Himalaja zu einem hoch in den Bergen gelegenen tibetischen Kloster beschreibt.
Den umgekehrten Anschauungsfall – was macht der Mensch bloß mit der Landschaft? – illustriert das Kapitel „Kalkstein“, in dem Macfarlane gemeinsam mit einem palästinensischen Freund durch eine für Araber verbotene „C“-Zone im Westjordanland wandert.
Manche der Wege, die in diesem Buch genommen werden, gibt es gar nicht; jedenfalls nicht in einer für das Auge sichtbaren Form. Das gilt für Seewege, die zwar auf Karten verzeichnet sein mögen, denen aber auch Macfarlane nicht folgen kann, ohne die Hilfe von Spezialisten (Seglern, Seebären und Co.) in Anspruch zu nehmen.
Und das gilt für jenen Weg durch das Wattenmeer vor der Küste von Essex, der „Broomway“ genannt wird, weil er einst durch Besen markiert wurde, und den Macfarlane als den „unirdischsten Weg, den ich je beschritten habe“, bezeichnet – weil die Licht- und Wasserspiegelungen auf dem gänzlich platten Wattenmeer auf einen wie ihn, der von Kindesbeinen an vor allem das Bergsteigen gewöhnt ist, eine wirklich seltsame Wirkung haben müssen.
Lust unter freiem Himmel zu übernachten
Man bekommt Lust auf so vieles durch diese Lektüre. Lust aufs Wandern, Lust darauf, unter freiem Himmel zu übernachten (aber lieber nicht auf dem Chanctonbury Ring, denn da spukt es, wie wir jetzt wissen), und Lust darauf, all die wunderbaren Autoren zu lesen, die Macfarlane so ausdauernd zitiert.
Eine andere Möglichkeit wäre es, genau dieses wunderbare Buch – das man nämlich viel zu gern gelesen hat, um zwischendurch Landkarten zu konsultieren – noch einmal von vorne anzufangen und dieses Mal mit Hilfe von Google Maps zumindest mit dem Finger einigen der alten Wege selbst nachzuspüren.
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