Buch über Selbsterhaltung: Das Trauma bewältigen
Es ist oftmals harte Arbeit trotz Verletzungen und Verwundungen den Alltag zu bewältigen, schreibt die Psychoanalytikerin und Autorin Jay Meg .
Nietzsches Schlussfolgerung nach der uns stärker macht, was uns nicht umbringt, steckt im Begriff Resilienz. Diese psychische Widerstandskraft befähigt Krisen zu bewältigen und sie durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen zur Entwicklung zu nutzen. Bewältigungsstrategie und Selbsterhaltung gehören zur Resilienz. Zahllose Menschen mussten in ihrer Kindheit große Schwierigkeiten verarbeiten, ohne Hilfe zu erhalten und ohne später im Leben daran zu zerbrechen.
Warum kann ein Trauma durch Scheidung der Eltern, körperliche, sexuelle oder emotionale Misshandlungen, aber auch Armut und Hunger das Leben des einen Heranwachsenden schwer beeinträchtigen, während ein anderer solche traumatischen Erfahrungen bewältigt? Wie das gelingt untersucht das Buch von Jay Meg „Die Macht der Kindheit“.
Die Professorin für Klinische Psychologie an der University of Virgina und Psychoanalytikerin fragt nach Bewältigungsstrategien und Voraussetzungen. Resilienz bezeichnet sie als „Supernormalität“. „Supernormale“ nutzen ihre Wut, um sich selbst zu ermächtigen, wo andere Ohnmacht erleben.
In ihrem Buch verdichtet die Autorin ihre therapeutischen Erfahrungen mit auffallend widerstandsfähigen Klientinnen und Klienten zu Fallgeschichten und Analysen. Es sind Geschichten aus ihrer Praxis, sie zitiert aber auch aus Memoiren, Autobiografien und Biografien bekannter Stars wie André Agassi, Oprah Winfrey oder Andy Warhol. Sie unterfüttert ihre Erzählung mit Studien und Zitaten aus der Fachliteratur. Ihr roter Faden ist dabei die Komplexität der Resilienzerfahrung.
Meg Jay: „Die Macht der Kindheit. Wie negative Erfahrungen uns stärker machen“. Hoffmann und Campe, Hamburg 2018, 464 Seiten, 24 Euro
Ihr Fazit: „Resilienz ist keine endlos dehnbare ‚Gummiband-Persönlichkeit‘, sondern lebenslange harte Arbeit, die Kreativität erfordert, Beharrlichkeit, viel Mut und die Bereitschaft, immer wieder aufzustehen.“ Meg Jay arbeitet aber auch die Macht einer Redekur heraus: „Freud ging zunächst von der Annahme aus, dass das aussprechen zu einer Art Katharsis – zu einer Befreiung von unterdrückten Erinnerungen und Gefühlen führe – doch die Forschung legt nahe, dass mehr dahinter steckt.“
Das Buch ist eine Ermutigung: Denn niemand, der als Kind geschlagen oder gedemütigt wurde, die Mutter in Depressionen versinken sah oder den Vater in Prügelorgien und Alkohol, kam ohne bleibende Verwundungen davon. Die Mischung aus Prosa und Fachwissen macht das Buch von Meg Jay zu einer leicht lesbaren Lektüre, die dem Trauma die Ausweglosigkeit nimmt.
Leser*innenkommentare
TurboPorter
Es ist das dünn Missverständnis, das Bücher über „Resilienz“ zur Psychologie gehörten. Es handeltsichbin Wirklichkeit um komplexe Übungsbücher zur Philosophie, konkret: Formale Logik. Die Aufgabe lautet: In diesem Buch ist eine Tautologie verborgen. Finde sie!
Schade, dass der Artikel die Lösung so einfach macht:
- „...Begriff Resilienz. Diese psychische Widerstandskraft befähigt Krisen zu bewältigen“
Vs.
- „Resilienz ist keine endlos dehnbare ‚Gummiband-Persönlichkeit‘, sondern lebenslange harte Arbeit, die Kreativität erfordert, Beharrlichkeit, viel Mut und die Bereitschaft, immer wieder aufzustehen.“
Ergo: Resilienz ist, wenn man resilient ist. Easy.
Ausser natürlich, es geht mal wieder um Victim shaming: Hab dich nicht so, stell dich nicht so an, arbeite an dir, dann klappt das schon. Klappt es nicht, warst du halt nicht wirklich „bereit aufzustehen“, du fauler Sack. Und für dich sollen wir uns kümmern, Dich sollen wir unterstützen, du lahme Ente, du Versager, du Opfer? Nö. Guck dir deinen Vergewaltiger an, Ein Jahr Strafprozess. Das ist auch traumatisierend! Aber sieh hin, er lächelt. Der macht es richtig. Du aber, du brütest bloss. Pfui.
61321 (Profil gelöscht)
Gast
Für die Frankophonen:
Boris Cyrulnik - La résilience dans les situations extrêmes
www.youtube.com/watch?v=AM4JSsNIJ3E
JoSte
Eine amerikanische Star-Psychologin schreibt nettes über ihre Klientel. Dass dabei weniger "resilente" unter den Tisch fallen gehört einfach dazu.
61321 (Profil gelöscht)
Gast
@JoSte Buch gelesen? Ist dem so? Dann kann ich mir die Lektüre nämlich sparen
Hanne
Ich kann den Begriff "Resilienz" ehrlich gesagt nicht mehr hören. Habe ihn das erste Mal vor ca. 8 Jahren gehört im Zusammenhang mit Kindern, die einiges durchmachen mussten: "Ach, das ist super, davon werden die Kinder resilient. Resilienz ist was gutes für das spätere Leben." So kann man sich das Leben als Pädagoge auch einfach machen. Absurd finde ich dabei einerseits die Verdrehung der Tatsachen, dass wirklich "Sche..-Situationen" für Kinder zu was positivem verdreht werden und diese sich dann anderersits in diesen dann noch nicht mal mies finden dürfen. Und quasi andere sogar "neidisch" auf solche Erfahrungen sein müssten.
Ich war schon damals der Meinung, dass Kinder nicht unbedingt schlimmste Sachen mitmachen müssen, um eine gesunde Psyche zu entwickeln. Dass Kinder auch schlechte oder unangenehme Dinge er- und durchleben müssen, um zu einer gesunden und stabilen Persönlichkeit zu finden, das finde ich wichtig. Aber es gibt Dinge, die braucht niemand in seinem Leben zu erleben, um in der Folge ein gutes Leben in psychischer Gesundheit führen zu können.
Muss ein Kind wirklich Missbrauch, Krieg, Vernachlässigung oder Flucht erleben? Ich meine nein!
Und die Folge der Hochachtung von Resilienz (wofür die resilienten Menschen selbst ja auch nichts können) ist die Missachtung derer, die es nicht schaffen, gesund aus schrecklichen Erlebnissen raus zu kommen. "Na, hättest Du Dir mal ein wenig Mühe gegeben, dann wärst Du auch resilient geworden." Nicht umsonst nutzen auch schon Firmen den Begriff "Resilienz" und setzen ihn mit Aushalten von Stress und ihren Mitarbeitern in Verbindung. Mehr Stress bei der Arbeit, desto leistungsfähiger. Yippie! Das macht Spaß...
Prpgndhi
@Hanne Ihr Kommentar unterstreicht vor, dass mit wissenschaftlichen Begriffen nicht zu leichtfertig oder oberflächlich umgegangen werden sollte. Das betrifft zum Einen diejenigen, die vor 8 Jahren den von Ihnen zitierten Blödsinn von sich gegeben haben. Resilienz soll natürlich traumatische Erfahrungen nicht in etwas Tolles Ummünzen.
Auch scheint es mir, dass Sie da etwas nicht ganz richtig verstanden haben. Niemand behauptet in der Psychologie, dass traumatische Erfahrungen etwas Gutes oder gar notwendig für eine gute und gesunde Psyche sind! Es geht in der Resilienz darum zu erforschen, wie es manchen Menschen möglich ist, trotz solcher Erfahrungen Stärke zu entwickeln, und welche Mechanismen dabei wirken. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sollten im Idealfall auch über diese Fälle hinaus Aufschluss über Therapiemöglichkeiten und Hilfen bei der Bewältigung von Traumata liefern.
Bei Ihren letzten beiden Punkten gebe ich Ihnen recht - niemand sollte wissenschaftliche Begriffe zur Abwertung von Menschen oder als Marketingvokabel missbrauchen. Dies alles sollte aber nicht als Argument gegen die Forschungsrichtung angeführt werden.
Hampelstielz
@Hanne Guter und sinnhafter Kommentar. Kann dem nur zustimmen.
61321 (Profil gelöscht)
Gast
Na, da sind wir aber mal gespannt. Habe zu viele Menschen gesehen, die durch frühe negative Erfahrungen schwere Schäden und lebenslange Beeinträchtigung erfahren haben und hinnehmen mussten ("mussten" mit vorbehaltlichem "?"). Das ist jetzt hoffentlich kein Bericht, der allzu einseitig diejenigen hervorhebt, die irgendwie "gestärkt" aus traumatischen Erlebnissen hervorgehen, während die Gründe für das Pech der anderen, bei denen das so nicht hinhaute, weniger genau untersucht werden