Buch über Bauern in ganz Europa: Die Kühe gehen zweimal in den Stall
Die Künstler Antje Schiffers und Thomas Sprenger haben Bauern überall in Europa besucht, die Höfe gemalt und im Gegenzug ein Dokumentations-Video erhalten.
Zusammen mit einigen anderen Institutionen finanzierte die Bundeskulturstiftung 2007 im Rahmen ihres Programms "Arbeit in Zukunft" einige europaweite Kunstprojekte. Diese lappten zum Teil ins Soziale, das heißt ins Leben. Neben einer Verkaufsausstellung in Berlin von Waren aus 36 Produktivgenossenschaften unterschiedlichen Typs und verschiedener Branchen, genannt "Le Grand Magasin", war das eine Feldforschung bei landwirtschaftlichen Familienbetrieben unter anderem in Mazedonien, Rumänien, Deutschland und England. Ihr Titel lautete: "Ich bin gerne Bauer und möchte es auch gerne bleiben". Es ging dabei darum, dass die Malerin Antje Schiffers jeweils eine Woche lang einen Hof malte und hernach das Bild gegen einen Videofilm tauschte, den der betreffende Bauer währenddessen von seiner Arbeit, seiner Familie und dem Vieh gedreht hatte. Dieser wurde dann von dem Künstler Thomas Sprenger geschnitten und vorgeführt. Danach fuhren die zwei Künstler weiter zum nächsten Hof.
Das Ergebnis ihres dreijährigen Unterwegsseins auf dem Land präsentierten sie kürzlich in der städtischen Galerie Nordhorn. Aber schon vorher hatten sie überall dort, wo sie sich jeweils eine Woche bei den Bauern aufgehalten hatten, ähnliche Veranstaltungen organisiert. Zudem gab es eine Vorlaufphase, die bereits 2000 in einigen niedersächsischen Dörfern begann. Im Frühjahr 2007 ging es dann mit der "Feldforschung" für das eigentliche EU-Projekt los - bei einem Bauern in der Steiermark. Verbunden damit war eine erste Ausstellung in Wien.
Im Frühjahr 2008 waren die Künstler in Wales, worauf eine Ausstellung mit dem Titel "Village People" im Kunstverein Wolfsburg folgte. Meistens fanden ihre Veranstaltungen jedoch in Gemeindesälen statt oder zu Hause bei den Bauern, hier verbunden oft mit einem kleinen Festessen. Nur einmal, in Rumänien, bei religiösen Donauschwaben, bestanden die Gastgeber darauf, das Experiment vorzeitig abzubrechen. Vielleicht hatten sie etwas zu verbergen, oder die Künstler hatten sich in ihren Augen schlecht benommen.
Antje Schiffers und Thomas Sprenger: "Ich bin gerne Bauer und möchte es auch gerne bleiben". Herausgegeben von der Städtischen Galerie Nordhorn im Rahmen des Projekts "Arbeit in Zukunft". argobooks, Berlin 2010, 255 Seiten, 24,80 €
Ansonsten ergibt die Auswertung ihrer dreijährigen Feldforschung, wobei Feld hier auch wörtlich im Sinne von Acker zu verstehen ist, eine reiche Beute an Geschichten in Bildern und Texten. Nicht nur wurde der thematische Anspruch des Projekts: "Ich bin gerne Bauer und möchte es auch gerne bleiben" faktisch eingelöst, Schiffers und Sprenger haben damit auch eine Spur kreuz und quer durch Europa gelegt, es sind Freundschaften und Kontakte entstanden - und nun auch noch eine dicke mehrsprachige Dokumentation in Buchform, mit einem stilisierten Traktorfahrer auf dem abwaschbaren Cover.
Damit kann man jetzt das zusammengetragene "Material" über europäische Bauern noch einmal selbst sortieren - zum Beispiel daraufhin, was den Videofilmern in eigener Sache erwähnenswert war, etwa das Nach-Hause-Treiben ihrer Kühe am Nachmittag. Ein holländischer Bauer ließ die Kühe sogar, um sie zu filmen, ein zweites Mal in den Stall zurückkehren. Eine Bäuerin wies die Männer darauf hin, dass es noch mehr Motive auf dem Hof gebe als nur ihre Arbeitsbereiche: die Wäsche auf der Leine, die Schwalben und die Schuhe vor der Tür. "Verbreitet war die Zubereitung eines Mittagessens vor der Kamera", schreiben die Künstler - und fügen hinzu: "Immer, wenn das Essen auf dem Tisch stand und die Kamera ausgeschaltet war, kamen unsere Teller dazu."
In der Dokumentation findet sich noch weit mehr, was man den Filmen nicht entnehmen kann: neben schriftlichen Selbstdarstellungen der Bauern, die zusammen mit etlichen Fotos und einem gemalten Bild von ihrem Hof jeweils ein eigenes Kapitel bilden, auch noch eine Art Feldtagebuch.
Über das österreichische Dorf Oppenberg, wo die Künstler ihr einwöchiges "Tauschgeschäft" (Bild gegen Film) auf dem Kronlechnerhof durchführten, heißt es: "Die Dorfjugend hat im Feuerwehrteich gebadet. Das Baden in Feuerwehrteichen war verboten, aber die Feuerwehr hat den Badenden am Beckenrand Eis verkauft."
Über den holländischen Bauern Henk Waterink schreibt Antje Schiffers: "Ich vertiefe mich in das Malen von Himmeln und warte auf schönes Licht. Zum Abschied trinken wir Kaffee und gehen noch einmal in das Melkkarussell. Henk und seine Mutter arbeiten zusammen wie zwei, die das schon sehr sehr lange tun."
Bei einem märkischen Spargelbauern filmte die Tochter, weil ihr Vater zu beschäftigt war mit den Vorbereitungen der Ernte. Er erzählt, dass die chinesische Botschaft von ihm immer als Erstes beliefert wird. Sie wollen dort den dicksten Spargel haben, dünnen kennen sie aus China.
Über die britischen Bauern bemerken die Künstler: Sie "wollen alles unbedingt allein machen. Filmen, Kommentare aufzeichnen, Musik, alles allein". Ein Bauer erklärte, dass die Farm, die sie seit 2005 genossenschaftlich bewirtschaften, seit 65 Jahren keine Chemikalie mehr gesehen hat. "Und einer der Gründe, warum wir für ihre Rettung gekämpft haben, hier ist so viel Geschichte und ein so großes Erbe, wir wollen das vorantreiben. Wir wollen die Farm nachhaltig und unabhängig von äußeren Ressourcen bewirtschaften."
Über die Schweizer Bergbauern in Fanas heißt es im Feldtagebuch: "Sie tun vieles gemeinsam und versammeln sich häufig." Von den Milchbauern Johann und Rosemarie Davatz bekommen die Künstler einen halben Käse geschenkt. "Überall dürfen wir ihren Film gerne vorführen, sagen sie, nur nicht in Fanas."
Bei den mazedonischen Bauern bemerkten die Künstler rückblickend: Dort "waren wir nie allein. Es gab Rakija morgens um sieben, es gab Kaffee allezeit, hausgemachten Wein allezeit, hausgemachten Käse allezeit." Ferner einen Picknickausflug, ein Bankett und Tanz nach der Filmpremiere.
Verträge mit Monsanto
In Rumänien sind sie bei einem Ingenieur zu Gast, der ein 2.500-Hektar-Staatsgut privatisiert und dann Verträge unter anderem mit Monsanto und Pioneer abgeschlossen hat. Er denkt an "unfaire Konkurrenz" und "fertigmachen", wenn er von seinen Nachbarn redet. Die Künstler bekommen hier zusammen mit ihrem Sohn ein Zimmer neben dem Büro - und "werden Draga unterstellt, einer der Köchinnen des Betriebs", die ihnen im Laufe der Woche immer üppigere Speisen serviert.
Der nächste Hof, den sie in Rumänien besuchen, ist das genaue Gegenteil davon: Hier lebt ein älteres Ehepaar mit einer Schwägerin zusammen, sie haben zwei Kühe und ein Pferd, das jedoch ihrem Cousin gehört. Es ist dies der letzte - zwanzigste - Hofbericht in der Dokumentation von Antje Schiffers und Thomas Sprenger.
Bevor sie damit Anfang 2010 nach Nordhorn gingen, hatten sie im Oktober 2009 noch eine Auswahl ihrer Videofilme auf den "Havelländischen Film- und Medientagen" vorgestellt. Ich erwähne diese ganzen Stationen hier deswegen, weil es wichtig ist, gerade wenn es um relativ immobile Bauern geht, dass wenigstens die Kunde von ihnen die Runde macht.
Und diese beiden mobilen Künstler und Projektemacher haben das auch wirklich sehr vorbildlich gemacht. Dazu heißt es an einer Stelle in ihrem Vorwort recht bescheiden: "Man könnte darüber spekulieren, ob die Bauern das, was sie bekommen haben, höher bewertet haben als das, was sie uns gegeben haben, denn wir haben neben den Filmen viele Geschenke bekommen: Naturalien und Präsentkörbe, einen Hasen im Balg, Holzschuhe und eine gewebte Decke, fünf Meter lang."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Wohnungslosigkeit im Winter
Krankenhaus schiebt Obdachlosen in die Kälte