Buch „Umlauftank 2“: Die rosarote Pop-Art-Maschine
Ein Blick auf die brutalistische Architektur in Berlin. Texte und Grafiken zu Ludwig Leos Bauwerk auf der Schleuseninsel im Berliner Tiergarten.
„Das war unsere BRD, unsere Brutalismo-BRD“, singt Ted Gaier von den Goldenen Zitronen und tanzt dazu mit Fellmütze auch vor einem blau-rosa Elefant terrible der Berliner Architektur: In kräftigen Farben strahlt der auf der Schleuseninsel im Tiergarten gelegene, so riesige wie mysteriös erscheinende „Umlauftank 2“ des 1924 geborenen Berliner Architekten Ludwig Leo im Video zum letztjährigen Zitronen-Funk-Hit „Das war unsere BRD“.
Der Architekturhistoriker Gregor Harbusch nannte den Umlauftank 2, kurz „UT2“, weniger prosaisch eine „riesige und seltsame, apokryph postmoderne Pop-Art-Maschine“.
Diese Beschreibung des UT2 findet sich in einem von acht Textbeiträgen verschiedener Autor/innen und Autor/innenteams, verfasst für ein jüngst von der Wüstenrot Stiftung herausgegebenes, formidables, beim Leipziger Spector-Verlag erschienenes Buch. In deutscher und englischer Sprache und umfangreich unter anderem mit historischen und aktuellen Fotos sowie Konstruktionszeichnungen bebildert, schildert „Ludwig Leo: Umlauftank 2“ auf knapp 300 Seiten nicht nur die Geschichte des Bauwerks bis zu seiner Fertigstellung, sondern dokumentiert vor allem auch den Prozess seiner Instandsetzung: Seit dem Jahr 2017 leuchtet der ab 1967 gebaute und 1974 fertiggestellte Umlauftank mit dem Wikipedia-Eintrag „Rosa Röhre“ nach Jahrzehnten der äußeren und inneren Abnutzung wieder in so frischen Farben wie zu Westzeiten, als der Lack noch nicht ab war und sich die Natur durch Rost und Vogellöcher zwischenzeitlich noch nicht ihren Teil der Hülle genommen hatte.
Wüstenrot Stiftung/Philip Kurz (Hg.): „Ludwig Leo: Umlauftank 2“. Spector Books, Leipzig 2020, 290 Seiten, 28 Euro
Einst wurde die Röhre von der „Versuchsanstalt für Wasserbau und Schiffbau“ (VWS) der TU Berlin genutzt, mittlerweile dient das Labor vornehmlich dem „Fachgebiet Dynamik Maritimer Systeme“ für Versuche.
(Bau-)Technisch erdacht wurde sie ab den 1960er Jahren durch den Schiffsbauingenieur und leitenden Mitarbeiter der VWS Christian Boës, architektonisch geplant und realisiert durch den früheren Ungers-Assistenten und späteren HdK-Professor Ludwig Leo.
Das durch den rosa Polyurethanschaum auf seinem Umlaufkanal und die blauen Fertigblechpaneele auf der kubisch wirkenden Laborhalle mit dem Betrachter kommunizierende, im Buch daher als „Gesamtkunstwerk“ charakterisierte Bauwerk ist in erster Linie eine Versuchsanlage der TU Berlin für schiffstechnische Modellversuche in einem steten Wasserstrom.
Dass es als Sonderfall der Berliner Nachkriegsmoderne brutalistische, die Struktur des Gebäudes offenlegende Formen mit einem postmodernen Hang zur „Mehrfachlesbarkeit“ (Harbusch) verbindet, macht es zwar zu einem ikonischen Bauwerk. Das allerdings, etwa im Gegensatz zur Oper in Sydney, nicht zum Logo taugt, wie es der Architekturforscher und Redakteur des Buches Pablo von Frankenberg und der mit der Instandsetzung mitbeauftragte Architekt HG Merz in ihrem Beitrag ausdrücken: Die Architektur des UT2 habe sich ihr eigenes Bezugssystem geschaffen.
Für das Buch hat die Berliner Grafikdesignerin Siyu Mao dieses System ins Grafische übergeführt. Sie spielt mit Haptik und Farben, gibt dem Buch äußerlich Pop-Art-Allüren, verschafft ihm innen lässig Funktionsräume – und kommentiert den Leo-Entwurf typografisch sogar noch bei der Paginierung: Hierfür hat Mao die von Johannes Breyer und Fabian Harb entworfene Schrift „Favorit“ gewählt, bei der die „8“ auf dem Kopf zu stehen scheint. Eine Anspielung darauf, dass beim UT2 der untere Verlauf des Umlaufkanals einseitig einen kleineren Durchmesser als der obere hat. Der detailbewusste Leo, der 2012 starb, hätte sicher sofort verstanden.
Das Buch kommt unverschuldet zu früh: Eine für den März geplante Ausstellung über den UT2 im Bauhaus-Reuse-Pavillon auf dem Ernst-Reuter-Platz musste coronabedingt auf den Herbst verschoben werden; der Launch der Publikation war für die Ausstellung geplant, nun ist das Buch auch Recherchematerial bis zu deren Eröffnung.
Es ist vermutlich nicht nur die aufwendige, erfolgreiche Sanierung des Bauwerks durch die Wüstenrot Stiftung, im Buch als „Experimentierfeld eines Denkmalschutzes der Moderne“ verstanden, die einer solchen Ausstellung Erfolg verspricht, sondern auch das seit einigen Jahren gewachsene Interesse am Brutalismus, jener ursprünglich aus Großbritannien kommenden Spielart der architektonischen Nachkriegsmoderne, die mittlerweile zum „Distinktions-Must-have“ geworden ist, wie Julia Lorenz kürzlich in der Spex unter Verweis auf die Petition zur Rettung des „Mäusebunkers“ in Lichterfelde schrieb.
Vielleicht ist ja das der eigentliche Grund, warum der Umlauftank 2 die laut Goldener Zitronen auch „nostalgisch verklärte BRD“ im Video abbilden soll.
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