Buch „Die Geschichte von Carl Katz“: Herr Katz und seine Feinde

Als Carl Katz aus dem KZ kam, gründete er Bremens jüdische Gemeinde. Seine Geschichte hat nun seine Urenkelin Elise Garibaldi aufgeschrieben.

Carl und Marianne Katz mit Tochter Inge und Enkelin Hanna um 1950

Momente des Glücks: Carl und Marianne Katz mit Tochter Inge und Enkelin Hanna um 1950 in Bremen Foto: Familienarchiv Katz

Manche Romane erlauben mehr Einsicht in die Geschichte, als historiografische Aufsätze das leisten können. Letztere vermögen zwar, den feinstofflichen Niederschlag von psychologischen Beweggründe und politischen Intrigen in den Dokumenten zu entdecken und auszuwerten.

Das tut die New Yorker Autorin Elise Garibaldi nur am Rande. Sie hat die notwendige Diskussion in einen ausführlichen dokumentarischen und zudem reich bebilderten Anhang ihres sehr lesenswerten Buchs ausgelagert: „Never Enough“ ist nun in einer gut lesbaren Übersetzung von Bärbel Müller erschienen, die am Dienstag im Bremer Focke-Museum vorgestellt wird.

In der Hauptsache aber erzählt Garibaldi in „Niemals Genug“, wie es der Untertitel verspricht, „Die Geschichte von Carl Katz“, also ihres Urgroßvaters, eines Bremer Kaufmanns und ehrenamtlichen Funktionärs der jüdischen Gemeinde. Beziehungsweise seine Geschichte und die seiner Feinde.

Dafür hat sie auf das gesetzt, was Truman Capote einmal als entscheidenden Vorzug einer non-fiction-novel bestimmt hat, also des Tatsachenromans: Dieses Genre zwingt Autor und Leserschaft, sich „in Persönlichkeiten einzufühlen, die außerhalb des eigenen Vorstellungsvermögens liegen“.

Im Kopf der bösen Menschen

Dazu zählen im Normalfall Massenmörder und Verbrecher gegen die Menschlichkeit. Genau solche Leute also, die schon 1949, dem Jahr, in dem die Handlung des Buchs einsetzt, recht erfolgreich versuchten, sich der Bremer Nachkriegsjustiz zu bemächtigen – und in ihrem Gefüge bereits damals ein sehr stabiles Netzwerk etabliert hatten. Dieses Netzwerk ist notwendigerweise Thema in dem Buch.

Denn Katz hatte nach dem Zweiten Weltkrieg die jüdische Gemeinde in Bremen neu begründet – in deren Leitung er schon von 1938 bis 1942 tätig gewesen war. „Katz schied aus, da er mit seiner Familie, Ehefrau, Schwiegermutter und Tochter, im Sommer 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde“, heißt es im wissenschaftlich-biografischen Aufsatz, den der Forschungsdirektor des New Yorker Leo Baeck Instituts, Frank Mecklenburg, kürzlich veröffentlicht hat – im Jahrbuch des Bremer Staatsarchivs.

Nach der Befreiung hatte Katz maßgeblich die Rückkehr derer koordiniert, die ins Lager verschleppt worden waren und die dennoch glaubten, wieder in Deutschland leben zu können. Namentlich um die hat er sich gekümmert, die zurück nach Bremen wollten, also 15 alte Gemeindeglieder, die überlebt hatten.

Mit ihnen versuchte er jüdisches Leben dort wieder möglich zu machen: Er gründete die Gemeinde in seiner Heimatstadt neu, verhalf ihr schließlich – die Krönung eines Lebenswerks – zu einer repräsentativen Synagoge, die sich nicht hinter einer Wohnhausfassade versteckt. Katz wurde auch zum Pionier des DDR-Handels, etablierte sich als geachteter Ansprechpartner des Senats – und musste doch zusehen, wie seine Tochter in Deutschland keine Zukunft für sich und ihre Tochter sah, stattdessen in die USA emigrierte.

Sein wirtschaftlicher Erfolg war groß: Katz ließ in Bremen die Firma seines Vaters wieder aufleben – Handel und Verwertung von Sekundärrohstoffe, also Altmetallen und -Textilien –, und brachte es offenbar zur westdeutschen Marktführerschaft; eine Filiale in New York wurde im Laufe der 1950er eröffnet.

Gleichzeitig jedoch versuchen gewesene Gestapo-Beamte, SS-Ehemalige und voreilig entnazifizierte Sondergerichtsankläger, wie der Staatsanwalt Siegfried Höffler, seiner habhaft zu werden. Ein Verfahren gegen Katz wird angestrengt, das die Züge einer Intrige nicht verbergen kann: „Aus den Gerichtsunterlagen wird sehr schnell deutlich, dass Zeugen manipuliert wurden“, wertet Forscher Mecklenburg die Dokumente aus.

Garibaldi nun lässt ihre Le­se­r*innen diese Manipulation miterleben. Sie führt sie mitten hinein ins Denken und Fühlen der Altnazis, lässt sie teilnehmen an ihrer Bosheit und Rachsucht, gibt aber eben auch ihren Ängsten Raum und ihrer Verunsicherung, ihrem Hoffen und ihrem Sehnen.

Elise Garibaldi: Niemals genug. Die ­Geschichte von Carl Katz. Übersetzt aus dem Amerik. von Bärbel Müller. Edition Falkenberg, Rotenburg/Wümme 2023, 336 S., 24,90 Euro

Buchvorstellung: Di, 9. 5. 2023, 18.30 Uhr, Bremen, Focke-Museum

Es sind ja schließlich ganz normale Menschen und angesehene Bürger. „Irgendwann würden die Amis doch abziehen müssen“, sinniert an einer Stelle der Staatsanwalt Höffler, „Deutschland wird irgendwann wieder deutsch sein müssen. Dann würde man ihm dankbar sein. Leute wie er wurden gebraucht!“

Klar, dieser innere Monolog ist fingiert. Aber er basiert auf ausführlichem Studium der Staatsarchivs-Akten, die Aufschluss geben über Höfflers Gedankenwelt, seine obsessive Beschäftigung zumal mit Carl Katz – und sein Zusammenspiel mit dem früheren Judenreferenten Bruno Nette.

Der hatte in seinem Entnazifizierungsverfahren versucht, Katz zum eigentlichen Bremer Judenverfolger zu machen: Nette erklärte, Katz habe mit ihm freundschaftliche Beziehungen gepflegt – und die Gemeindeglieder bereitwillig ausgeliefert.

Nicht ohne Erfolg: Mit nachvollziehbarer Empörung schildern Garibaldi und ihre Mutter Ruth Bahar im Appendix, wie diese allem Anschein nach verleumderische und ganz offenkundig taktisch motivierte Zeugenaussage von Lokalgeschichtsschreibern wie eine ungetrübte Quelle abgeschöpft wurde; sprich: Nettes Behauptungen erhielten den Status historischer Wahrheit.

Kein Gedenkpathos

Garibaldis Buch leistet keinen Beitrag zum Gedenkpathos. Stattdessen hat sie einen Thriller geschrieben, der in einem ganz dokumentarischen Sinne als wahr gelten kann. Der aber eben auch unterhaltsam ist und spannend.

Denn ihr gelingt es, den sonst oft nur hochtheoretisch ausgefochtenen Streit um das Gedenken, um die Deutung der Ereignisse selbst als konkretes Ereignis zu erfassen – und dieses fesselnd zu erzählen. Dem entspricht auch die Komposition: Anstelle einer einfachen Chronologie wählt Garibaldi eine Technik der Rückblenden. Zunächst überraschend, erweist sich das als kluger Griff.

Einerseits macht diese Technik spürbar: Der Schrecken hält an, ragt noch in die seligsten Wirtschaftswunderzeiten hinein. Man ahnt, dass er noch lange nicht vorbei ist. Andererseits inszeniert sie die Vergangenheit so als Präsenz.

Zumindest erzähl-strategisch gelingt es so, die Verleumdungen und Verdrehungen zu überschreiben: Pogrome, das Grauen der Lager, die Ohnmacht der Opfer und die Belastung des Überlebens zu deuten ist nichts, was den Tätern überlassen bleiben darf. Und auch nicht ihren Enkeln.

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