Buch „Data Love“: Die Liebe zur Überwachung

Der Medienwissenschaftler Roberto Simanowski analysiert das Individuum als Verbündeten seiner Überwachung. Die Warnung ist inbegriffen.

Neuestes Hilfsmittel für die technikaffine Selbstkontrolle: die iWatch Bild: dpa

Es fühlt sich schon an wie ein altbekanntes Klagelied: Großunternehmen speichern unsere Daten, um uns besser lenken zu können. Und Geheimdienste ja sowieso, um uns besser beherrschen zu können. Die Wehrlosen gegen die Mächtigen. Die Feindbilder sind klar verteilt. Aber Feindbilder wirken auch immer entlastend. Denn hinterlassen die Menschen nicht selbst mit großer Hingabe überall und dauernd ihre Daten? Sei es bei Facebook, bei Amazon oder bei der Vermessung des eigenen Ichs, Selftracking genannt: Überall und ständig wird digitalisiert, dokumentiert und vermessen.

Dies gleicht einer Liebe zum Datensammeln. Dementsprechend spricht der Literatur- und Medienwissenschaftler Roberto Simanowski in seinem gleichnamigen Buch von „Data Love“. Dabei geht es ihm weniger um skandalträchtige Enthüllungen von NSA-Überwachungsmethoden oder Googles Wunsch nach Totalerfassung aller zur Verfügung stehenden Daten als vielmehr um das in der Moderne kulturell verankerte Verlangen nach mehr und mehr Daten zur Vermessung der Welt.

So gesehen liegt die Geburtsstunde der Data Love in dem Vernunftglauben der Aufklärung und ihrem Versprechen, die Welt besser zu verstehen und zu meistern.

Die Datensammelwut staatlicher Institutionen, privater Unternehmen und der Bürger selbst, so Simanowski, ist kein Widerspruch zur Moderne, sondern Teil ihrer Widersprüchlichkeit und logische Konsequenz eines Modernisierungsprozesses, „der alle verfügbaren Technologien nicht zuletzt im Dienste einer immer effektiveren Organisation und Kontrolle gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse einsetzt“.

Roberto Simanowski: „Data Love“. Matthes& Seitz, Berlin 2014, 189 S., 14,80 Euro.

Das Wenn-dann-Prinzip

Daher verwundert es den Autor auch nicht, dass der Aufschrei im Zuge der NSA-Affäre sich in Grenzen hielt. So schreibt er, dass das Begehren der Datentotalerfassung seinen Freispruch in der Gesellschaft selbst finde: Selftracking als eine Art Bürgerbewegung. Überwachung verspreche schließlich Selbsterkenntnis. In die Data Love sind wir alle verstrickt: „Beide Motive – der Exhibitionismus als Selbstversicherung und der Ordnungswille als Komplexitätsreduktion – machen das Individuum potenziell zum Verbündeten seiner Überwachung bzw. Kontrolle.“

Simanowski warnt vor der Macht der Algorithmen. Die Algorithmen der Suchmaschinen und Onlineportale errechnen aus der gigantischen Datenmenge, gespeist aus den täglichen menschlichen Bewegungen und Handlungen im Internet, ein Wenn-dann-Prinzip: Gefällt Ihnen dieses Video, dann sicherlich auch jenes; haben Sie dieses Buch gekauft, dann wird Ihnen jenes auch gefallen.

Derartige „Personalisierungsalgorithmen unterdrücken den Zufall, die Begegnung mit den anderen und generieren so eine informationsspezifische Fremdenfeindlichkeit“. Wo er die Konfrontation unterschiedlicher Standpunkte als Elixier der Demokratie sieht, fürchtet er in der Algorithmisierung der Gesellschaft – wo der Nutzer nur das geliefert bekommt, was seinen Wünschen entspricht – die Gefahr eines Abschottungsnarzissmus.

Algorithmische Vorhersagen

Mehr noch: Er warnt vor dieser neuen Ideologie von Technik und Wissenschaft, in der der Mensch unter Kategorien zweckrationalen Handelns und adaptiven Verhaltens verdinglicht werde. Denn welche gesellschaftlichen Konsequenzen stehen bevor, wenn algorithmische Vorhersage und Regulierung das Handeln von zum Beispiel Polizei, Banken und Versicherungen steuert?

Wenn Mustererkennungen zu Täterprofilen oder Konsumverhalten zur Verweigerung von Kreditvergaben führen. Wenn gesellschaftliche Prozesse zunehmend durch eine technokratische Rationalität der Algorithmen bestimmt sind und Vernunft lediglich auf formale Logik reduziert wird. Kurzum, wenn aus Denken Rechnen wird.

Auf dem Spiel steht nicht weniger, so der Autor, als die individuelle Freiheit. Diese bestünde nämlich auf Unwissenheit, auf Ambivalenz, Ironie und Skeptizismus, auf der Möglichkeit zum Andersseins. Doch wenn Zukunft vermeintlich vorhersagbar und somit regulierbar wird, würden Kontinuitätsbrüche vermieden, die eine zentrale Triebkraft gesellschaftlicher Entwicklung seien. Einer technokratischen Rationalität und Vernunft ist das Menschliche fremd. So dass Simanowski in drastischen Worten in der Macht der Algorithmen einen „Robespierre des 21. Jahrhunderts“ sieht.

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