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Buch „Das verhängnisvolle Dreieck“Die Wahrheit über den Rassismus

Hybridität statt Identität: Die posthum erschienenen Aufsätze des Cultural-Studies-Mitbegründers Stuart Hall sind von frappierender Aktualität.

Identität – in der Form eines Fingerabdrucks. Ist für die Polizei wichtig. Aber für wen sonst? Foto: Imago / Science Photo Library

Deutschland, Herbst 2018: Thilo Sarrazin veröffentlicht seine antimuslimische Kampfschrift „Feindliche Übernahme“, fast alle Rezensenten entdecken in dem Buch fundamentale Fehler, aber seit Wochen ist es in den Bestsellercharts, und nun sollte er sogar als Vortragender an die Uni Siegen eingeladen werden.

Stuart Hall würde das wenig überraschen. Wie kommt es, fragt er sich in „Das verhängnisvolle Dreieck“, dass die Ideen von Rasse oder Ethnie immer noch wirkmächtig sind, obwohl sie keine wissenschaftliche Grundlage besitzen?

„Das verhängnisvolle Dreieck“ basiert auf drei Vorlesungen, die der 2014 verstorbene Mitbegründer der Cultural Studies 1994 in Harvard gehalten hat. Hall, der in Jamaika geboren ist und ab den 50ern eine zentrale Figur der New Left in Großbritannien wurde, hat immer wieder über Rassismus und Nationalismus gesprochen – in Vorträgen und im Bildungsprogramm der BBC, in Aufsätzen für Filmzeitschriften und Unterrichtsmaterialien für die Open University.

Systematisch hat er diese Gedanken nie in einem Buch zusammengefasst, in „Das verhängnisvolle Dreieck“ erscheinen sie nun posthum, konzentriert auf rund 200 Seiten. Rund ein Vierteljahrhundert später überrascht zuerst, was Stuart Hall als Werkzeug zur Beantwortung seiner Frage wählt: den von rechts wie von links verschmähten französischen Poststrukturalismus. Halls Begründung dafür ist naheliegend: Die Vorstellungen von „Rasse“, „Ethnie“ oder „Nation“ verfügen über keine natürliche Grundlage, ihre Bedeutung wird in einem „Wahrheitsregime“ (Michel Foucault) konstruiert.

Das Buch

Stuart Hall: „Das verhängnisvolle Dreieck. Rasse, Ethnie, Nation. Suhrkamp, Berlin 2018, 212 Seiten, 28 Euro

Dabei werden Versatzstücke aus der Genetik und der Biologie ebenso wie aus Fernsehen, Theater oder Pop zu einer Äquivalenzkette geformt. Das Ergebnis kann dabei rassistisch oder nationalistisch sein, wenn Differenzen in der Hautpigmentierung, der Sprache oder der Alltagskultur als Ausdruck einer ahistorischen Essenz konstruiert werden – und damit als unüberbrückbar erscheinen. So lässt sich als Konsequenz behaupten, Deutschland schaffe sich ab (Thilo Sarrazin) oder dass es eine deutsche Identität gebe, die durch einen „großen Austausch“ bedroht sei, wie es etwa die Identitäre Bewegung formuliert.

Produkt einer historischen Konstellation

Stuart Hall begegnet dem mit einer dialektischen Volte: Er verteidigt die kulturelle Differenz – nicht nur gegen die Neue Rechte, sondern auch gegen diejenigen, die sie im Namen der Arbeiterklasse als Nebenwiderspruch betrachten. Aber gemeinsam mit Letzteren macht er deutlich, dass kulturelle Differenz auch immer das Produkt einer historischen Konstellation ist. Seine Generation an Einwanderern ist dafür ein gutes Beispiel.

Mit Beginn der Nachkriegsmigration nach Großbritannien waren Migranten aus der Karibik und aus Südostasien auf dem Wohnungsmarkt diskriminiert, körperlichen Übergriffen durch Neonazis und verbaler Gewalt durch Tory-Politiker ausgesetzt – unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Klassenstatus. Diese Erfahrung brachte es mit sich, dass sich viele von ihnen als „Schwarze Briten“ begriffen und so in der Diaspora eine neue, gemeinsame Identität formulierten. Ab den 1980er Jahren, als die Erfolge antirassistischer Initiativen spürbar wurden, wurde dieses Verhältnis immer wieder neu verhandelt.

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Zuletzt etwa haben sich junge Afrobeat-Musiker aus London explizit auf die Herkunft ihrer Vorfahren aus Ghana oder Nigeria bezogen, aber dabei einen Sound produziert, der die verschiedenen Dance-Stile aufnimmt, die London in den vergangenen zwei Jahrzehnten hervorgebracht hat. In den armen Sozialsiedlungen im Londoner Süden ist dagegen Drill, ein aus Südchicago stammender HipHop-Stil samt Waffen- und Drogenmetaphorik, der dominante Sound.

„Hybridität“ ist der Begriff, den Stuart Hall in seinen Vorlesungen für diese Formen von Kultur wählt. Denn in keiner dieser Jugendkulturen ist die Rückkehr zu einer mythischen Heimat vorgesehen. Sie bedienen sich der kulturellen Globalisierung und zeigen zugleich, dass diese Armut und neue Ausschlüsse produziert. Für Hall ist diese Form von Hybridität ein Bollwerk gegen einen Rassismus, der eine Rückkehr zu einer Nation predigt, die so niemals existiert hat. In Großbritannien hat er den Namen Brexit, in Deutschland Thilo Sarrazin.

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