Brücke in Genua: Schlammschlacht nach dem Einsturz
Wer ist schuld am Brückenunglück von Genua? In Italien überziehen sich Politiker aller Parteien gegenseitig mit Anschuldigungen.
Im Sport mag das funktionieren. In der Politik dagegen prägt nach dem Unglück vom Dienstag vergangener Woche Zwietracht das Bild. Schnell sind Schuldzuweisungen bei der Hand, noch schneller die Antworten auf die Frage, wie ähnliche Desaster in Zukunft vermieden werden können.
Für die 5-Sterne-Bewegung (M5S), die im Verein mit ihrem Juniorpartner, der Lega, die Regierung stellt, war die Antwort vom ersten Tag an klar: Dem privaten Autobahnbetreiber Autostrade per l’Italia (Aspi) muss umgehend die Konzession entzogen werden. Ein Gerichtsurteil müsse gar nicht erst abgewartet werden, „das Urteil sind die 40 Toten und die eingestürzte Brücke“, dekretierte der M5S-Chef und Vizepremier Luigi Di Maio umgehend.
Doch Di Maio begnügte sich nicht damit, das vom Benetton-Clan beherrschte Privatunternehmen auf die Anklagebank zu setzen; er schlug gleich auch den Bogen zur Politik: „Der Einsturz der Brücke ist eine Folge all der Vorzugsbehandlungen und Gefälligkeiten, die Aspi gewährt wurden.“
Damit erinnerte Di Maio an die Geschichte der italienischen Autobahnprivatisierung im Jahr 1999 durch die Mitte-links-Regierung unter Romano Prodi. Die Benettons, die bis dato im Textilgewerbe aktiv waren, konnten sich damals für Aspi 3.000 Kilometer des italienischen Autobahnnetzes sichern. Schon dies war eine „Gefälligkeit“. Dank der Mauteinnahmen belief sich das Geschäftsrisiko auf null. Jahr für Jahr waren Millionenerträge gewährleistet, auch wenn Aspi sich zum Unterhalt der Autobahnen, Brücken und Tunnel verpflichtete.
Recht hat Di Maio auch, wenn er auf weitere Gefälligkeiten verweist, ein 2015 verabschiedetes Gesetz zum Beispiel, das die Konzession ohne erneute Ausschreibung bis 2038 verlängerte. Wie konnte das sein? Die Benettons, sagt Di Maio, hätten ganz legal „die Wahlkämpfe und die Regierungen finanziert“ – wohlgemerkt die Wahlkämpfe der gemäßigt linken Partito Democratico (PD), die in den Jahren 2013 bis 2018 in Rom regierte.
Streit über Spenden
Spätestens mit dieser Behauptung war die Schlammschlacht eröffnet. Eine Benetton-Spende an die PD war in jenen Jahren nicht zu verzeichnen. Die letzte Zuwendung war 2006 erfolgt, als auch die Lega von Matteo Salvini mit einer Benetton-Spende bedacht wurde.
Von dieser Spende aber redete Di Maio ebenso wenig wie von einem Gesetz, verabschiedet im Jahr 2008 von der Rechtskoalition unter Silvio Berlusconi, bei der auch die Lega mit im Boot saß. Damals wurden den Autobahnkonzessionären größere Spielräume bei der periodischen Erhöhung der Mautgebühren eingeräumt, ohne dass sie – wie zuvor – groß nachweisen mussten, welchen Anteil sie in Erhalt und Verbesserung der Infrastruktur steckten. Lega-Boss Salvini, angesprochen auf jenes Gesetz, bemerkte trocken, er könne sich „nicht erinnern“. Damit war das Thema für ihn vom Tisch.
Dass seine Rechnung aufging, zeigte sich dann bei der staatlichen Trauerfeier in Genua am vergangenen Samstag. Salvini und Di Maio wurden im Dom mit Beifall empfangen. Die beiden einzigen PD-Politiker, die sich zur Zeremonie eingefunden hatten – der Übergangsvorsitzende Maurizio Martina und die frühere Verteidigungsministerin Roberta Pinotti – mussten sich auspfeifen lassen. Die Botschaft von M5S und Lega war angekommen. Sie, die beiden Anti-Establishment-Parteien, hatten es geschafft, als mutige Vertreter des Volkes gegen das Establishment zu erscheinen.
Vor allem die 5-Sterne-Bewegung wirkt als kohärente Vertreterin der Bürgerinteressen. Schon immer hatte sie gegen Privatisierungen gestritten, jetzt fordert sie, dass die Autobahnen wieder unter die Ägide der staatlichen Straßengesellschaft Anas kommen. Das erscheint vielen als plausibel, auch wenn es so plausibel gar nicht ist. Die Tageszeitung Il Fatto Quotidiano listete am Donnerstag die sieben Prozesse auf, die derzeit in Italien wegen Brückeneinstürzen laufen. In sechs von ihnen sitzen Vertreter der öffentlichen Anas auf der Anklagebank.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag