Bruder tötet Schwester: Teenager zu normal für die Familie
In Hamburg beginnt der Prozess um den so genannten Ehrenmord an Morsal Obeidi. Angeklagt ist ihr Bruder. Die Staatsanwaltschaft plädiert auf heimtückischen Mord.
Morsal Obeidi war ein ganz normaler Teenager. 16 Jahre jung, lange schwarze Haare, modern. Wenn sie abends ausging, schminkte sie sich schon mal oder trug kurze Röcke. Das alles passte der streng konservativen Familie überhaupt nicht. Vor 13 Jahren waren die Obeidis aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Morsal war hier sozialisiert.
Am Abend des 15. Mai 2008 bestellte sie ein Cousin zum Bahnhof Berliner Tor. Ihr 24-jähriger Bruder Ahmad wolle sich mit ihr aussprechen. Doch es kam zum Streit. Ahmad stach seine Schwester mit 23 Messerstichen nieder - zur Rettung der Familienehre, wie er gegenüber der Polizei aussagte.
Ab Dienstag muss sich Ahmad O. vor dem Hamburger Landgericht wegen Mordes verantworten. "Heimtücke und niedere Beweggründe" wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor. "Wir gehen davon aus, dass er das Treffen zielgerichtet arrangierte, um sie zu töten", sagt Behördensprecher Wilhelm Möllers. Der 24-Jährige, der selbst Bordelle besuchte, soll laut Anklagebehörde direkt nach der Tat dem Taxifahrer, in dessen Wagen er flüchtete, gesagt haben, dass Morsal einen "völlig falschen Umgang" gehabt habe. Er hoffe, dass sie tot sei.
Sein Hamburger Anwalt Thomas Bliwier sieht Ahmad Obeidi nur vermindert schuldfähig. Mit dem Berliner Fall der Deutschkurdin Hatun Sürücü, die von ihrem Bruder durch Kopfschüsse hingerichtet worden war, habe der Fall Morsal Obeidi nichts zu tun. So sollen Gutachten Ahmad attestieren, dass er wegen seiner Kleinwüchsigkeit seit der Kindheit traumatisiert worden und demzufolge psychisch krank sei. Ahmad Obeidi könne keinen Widerspruch dulden und seine Gewaltausbrüche nicht steuern. "Es muss ein impulshaftes Tatgeschehen gewesen sein", sagt der Anwalt. Er gehe daher von Totschlag aus.
Eine These, die schwer zu untermauern sein dürfte. Denn Ahmad ist mehrfach brutal gegen seine jüngere Schwester vorgegangen. Von der Familie bekam die 16-Jährige keine Unterstützung. Im Gegenteil: Obwohl sie bereits bei der Jugendhilfe um Beistand gebeten und einen deutschen Freund hatte, war sie noch im Sommer 2007 nach Afghanistan gebracht worden. Dort sollte sie verheiratet werden.
Dennoch konnte Morsal der Familie nicht den Rücken kehren. "Ein häufiges Phänomen gerade bei jungen Mädchen mit solchem kulturellen Hintergrund, häufiger als bei deutschen Mädchen", sagt die Frauenhaus-Anwältin Mechthild Garweg.
Ehrenmorde sind jedoch für Heidemarie Grobe von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes kein religiöses Phänomen. "Es ist vor allem ein patriarchalischer Exzess." Es gehe immer um die Unberührtheit der Frau, erläutert sie. Der Mann betrachte sie als Eigentum, das er beherrschen wolle. "Wenn junge Frauen mit Migrationshintergrund hier leben wollen wie die Banknachbarin in der Schule, kann das schon lebensgefährlich sein."
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