piwik no script img

Bruder Tak Tak baut eigene Instrumente

MIKROTONALITÄT Ein Schwerpunkt des Festivals MaerzMusik gilt dem nach Brasilien emigrierten Schweizer Komponisten Walter Smetak (1913–1984), der Naturklänge mit afrobrasilianischen Praktiken fusionierte

Von Diedrich Diederichsen

Wer im Zentrum der Altstadt im nordbrasilianischen Salvador de Bahia auf das Museum „Solar Ferrão“ stößt, sollte es nicht beim Besuch der sagenhaften Sammlungen westafrikanischer Kunst belassen. Zwei Treppen tiefer begegnen einem die sonderbarsten Skulpturen. Wie riesige Apfelmännchen mit Saiten und Schläuchen und Alien-Augen treten einem die Objekte im ersten Raum entgegen, das psychedelische Gebastel einer positiv durchgedrehten Seele. In den weiteren Räumen muss man erkennen, dass alle diese mehr oder auch sehr viel weniger anthropomorphen Objekte aus selbst gebauten Musikinstrumenten hervorgegangen sind, bei denen nach und nach die Klangeigenschaften visuellen und semantischen gewichen sind.

Saiten werden als Spinnenkörper, Fisch, Baum gespannt oder mit zwei Köpfen verbunden („Colóquio“), mit ganzen und halben Kalebassen, Gewinden, Rädern und manchmal auch elektrischen Elementen verknüpft und verdrahtet und erhalten poetische Namen und Funktionen: Es sind Werke des mikrotonalen Komponisten und Leiter von Improvisationsensembles, Walter Smetak.

Ein Zürcher Bratschist

Wenn Smetak nicht zwischen 1913 und 1984 tatsächlich auf diesem Planeten gewandelt wäre, müssten ihn sich die transkulturelle Modernologie und die postkoloniale Religionswissenschaft am Telefon ausdenken. Ein Zürcher Bratschist, den es wegen Kriegs­angst und Arbeitsmangel 1937 nach Brasilien verschlägt, gerät dort in die Kreise des brasilianischen musikalischen Modernismus, den der deutsche Emigrant und Zwölftöner Hans Joachim Koellreutter wesentlich prägt und der sich zunächst gegen das an lokaler Folklore orientierte brasilianische Kompositionsideal wendet.

Doch Smetak fällt in die Hände des Eubiotikers Henrique José de Souza, eines Madame-Blavatsky-Schülers, der das reaktionär-mystische Gebräu der Theosophie neu erfindet und im spirituellen Brasilien erfolgreich platziert und an andere lokale Kulte verschiedener Schichten und Ethnien ebenso andockt, wie er Indien und Tibet als Sehnsuchtsorte importiert. Dies verändert Smetak massiv, der nach Jahren von Jobs zwischen E- und U-Musik zehn Jahre intensiv die Eubiose studiert. Genau diese Erfahrung bringt ihm aber auch den afrodiasporischen Kulturen nahe, und so landet er 1957 auf Einladung Koellreutters in Salvador de Bahia.

Hier geben sich in den späten 1950ern einerseits täglich zugereiste weiße Modernisten die üppigst kolonialbarocken Klinken in die Hand, andererseits boomt die afrobrasilianische Kultur (und Musik) wie nirgends sonst. Lina Bo Bardi baut unter Verwendung lokaler Architektur, Pierre Verger fotografiert und erforscht den Candomblé, und Jorge Amado projiziert sich durch diverse Erfolgsromane hindurch – voll verknallt – sein Bild afrobrasilianischer Frauen zurecht. Der rastlose Koellreutter hat ein Orchester für Neue Musik ebenso wie ein Uni-Department auf die Beine gestellt, neben Smetak arbeiten Komponisten wie Lindembergue Cardoso und Ernst Widmer an einer genuin brasilianischen neuen Musik – zu den Studierenden gehören Caetano Veloso und Gilberto Gil – doch Smetak entwickelt sich in eine andere Richtung: Er baut eigene Instrumente.

Lehrer, Freund, Bruder

Sein Interesse an der Mikrotonalität, an Naturklängen vermischt sich nun mit seiner Zuwendung zu afrobrasilianischen Praktiken: Er verwendet lokale Hölzer, Früchte, Alltagsobjekte. Nach und nach werden aus klanglich gedachten Skulpturen solche mit surreal-mimetischen Eigenschaften. Die Musik tritt aus sich heraus. Smetak komponiert weniger und entwickelt mit seinen Schülern einen Improv-Stil. Gilberto Gil nennt seinen „Lehrer, Freund, Bruder“ „Tak Tak“ – sein Hirn sei bei aller Craziness präzise wie eine Schweizer Uhr. Caetano Veloso produziert das erste Album im Jahre 1975 und wirkt daran mit, Rogerio Duarte macht das Cover. Die Chefs des musikalischen Tropicalismo haben den verirrten Exmodernisten ins Herz geschlossen.

„Smetak“ (Philips), die von Veloso initiierte Aufnahme von 1975, ist das abgefahrenere von beiden Alben. Hier sind Smetaks Mitstreiter komplett in die Welt des Wunderlings abgetaucht. Minutenlang geht es nur darum, einem Gerät, einer Skulptur, einer Saite gerecht zu werden, aber auch darum, Insekt zu werden. Nahaufnahme im Unterholz – dann wieder so was wie Betatests einzelner Instrumente oder Bach-Zitate. Bei „Interregno“ (FCBE), 1979 mit dem Conjunto de Microtons aufgenommen, stehen Ensemble-Arbeit und Improvisationstechnik im Vordergrund. Beide sind musikalische Solitäre, komplett unvergleichliche Dokumente elementaren Eigensinns – und leider ziemlich schwer zu bekommen.

Außer durch die zwei Alben kann man Smetaks Musik heute nur dank der Überlieferungsleistung eines weiteren Schülers kennen, Tuze de Abreu, der schon vor gut zehn Jahren in Berlin ein Konzert mit den Instrumenten und im Stile des Meisters leitete und sich intensiv um Erbe und Nachlass kümmert – dazu gehören auch gut zwei Dutzend bis jetzt unveröffentlichte Bücher. Nonlineare, mikrotonal zirpende Expansionsmusik mit und ohne Partitur, die sich das Nebeneinander der Lebensformen von Wiesen und Regenwäldern als Prinzip geliehen zu haben scheint – wie findet die ihren Weg in die Geschichtsschreibung? Zuletzt kümmert sich das Goethe-Institut in São Paulo um Smetak. Kompositionsaufträge an u. a. Liza Lim und Interpretationsprojekte durch das Ensemble Modern sind dabei entstanden und nun beim Festival Maerz-Musik zu hören, nebst Ausstellung und Symposion.

Konzert: „Re-inventing Smetak“, 23. März, 20 Uhr, Haus der Berliner Festspiele

Ausstellung: „Smetak’s Inventions“, 16. März bis 9. April, DAAD-Galerie, Oranienstr. 161

Symposion: „Re-Thinking Smetak“, 23. März, Haus der Berliner Festspiele; „Smetaks Instrumente als spirituelle Kompositionen“

25. März, 12–18 Uhr, DAADGalerie; „Smetaks Einfluss auf Tropicália, zeitgenössische Musik und Klangkunst“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen