Brotlose Bildgeschichten: Zeichnen macht glücklich
In Kiel wächst eine Comic-Szene heran. Mit dem Magazin „Pure Fruit“ bieten die Herausgeber der Kunstform eine Freifläche. Und bringen nebenbei einsame Zeichner zueinander. Geld bekommen sie nicht.
KIEL taz | Im Hinterhof ein feuchtes Lagergebäude und große Fensterscheiben. Im Treppenhaus stockt der saure Geruch frischer Farbe, bunt bekleckerte Farbeimer sitzen auf kalten Betonstufen. Die Schaltzentrale des Kieler Comic- und Illustrationsheftes „Pure Fruit“ liegt im obersten Stock – natürlich.
Aber das Atelier ist warm und die Köpfe hinter dem Projekt haben sich eingerichtet. Nackt baumelt eine Glühbirne von der Decke und streut Licht zwischen Tischböcke und verbrauchte Polstermöbel. In Frankreich können Comic-Zeichner von ihrer Arbeit leben, dort ist das Format traditionell als seriöse Ausdrucksform in der Mitte der Gesellschaft verankert. Hierzulande lesen Kinder Comics.
Anmut des Freaks
In Deutschland ist es eine schrumpfende Zielgruppe. Erwachsene, die sich mit dem Medium befassen, Zeit und Kraft investieren, ohne eine echte finanzielle Gegenleistung zu bekommen, dürften sich daran gewöhnt haben, mit dem Begriff „Freak“ zu leben. Das kann eine gewisse Anmut haben. Bedeutet der Begriff doch nichts anderes, als Enthusiast einer bestimmten Sache zu sein.
Doch wer nach großen Gefühlen bei den Machern von „Pure Fruit“ sucht, sucht vergebens. Ihre Begeisterung drückt sich wenig schrill, denn in ruhiger Zielstrebigkeit aus.
Er habe sich vorbereitet, sagt Tim Eckholz leise. „Unser Ehrenamt ist, die Comic-Kunst zu fördern.“ Der 28-Jährige, gebürtig aus Heide, hat an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel Kommunikations- und Editorial-Design studiert. Seine Forschungsarbeit, „Katzenjammer, Kids & Kauderwelsch“, über den 1877 ebenfalls in Heide geborenen deutsch-amerikanischen Comiczeichner Rudolph Dirks, ist im vergangenen Jahr im Deich-Verlag erschienen.
Tim Eckholz ist eines der vier Gründungsmitglieder von „Pure Fruit“. Er schaut in seinen Schoß hinunter auf einen Stapel A5-Heftchen: „Die Chronologie eines Projekts und seines Arbeitsethos“, Erstausgabe Mai 2011, Auflage 2.500 Stück, mit Beiträgen von den Gründern. Man hoffte und schrieb „Nummer 1“ auf den Deckel, erzählt Eckholz. Sechs Monate später folgte Heft Nummer zwei. Etwas dicker und von nun an mit Themenschwerpunkt und einheitlichem Farbkonzept, von dem der Leser profitieren soll.
Mehr als nur witzig
Das Heft ist kostenlos. Wie finanziert es sich? Über lokale Anzeigen, die Beteiligten selbst zeichnen sie; jede ein kleines Kunstwerk. Am Ende liege man bei plus/minus null, sagt Eckholz. Funktioniert also. Heute, bei Nummer sechs des halbjährlichen Periodikums angekommen, mit einer Auflage von bis zu 10.000, sind weit über zwanzig Zeichner engagiert.
Es geht voran. Eckholz will „Pure Fruit“ als Katalog verstanden wissen. Einen Katalog, der zeigt, was sich mit grafischen Erzählungen anstellen lässt, und was für Herangehensweisen es an dieses Format gibt. Comic kann mehr als witzig sein.
Neben Eckholz ist auch Volker Sponholz bei „Pure Fruit“ dabei. Sponholz, Jahrgang 1966, gehört zusammen mit dem 16 Jahre älteren Rötger Feldmann zur ersten Generation der Comic-Zeichner in (Nord-)Deutschland. Mit dem Fußball-Comic „Bertis Buben“, der bei Rowohlt erschienen ist, hatte Sponholz Erfolg. Aber er kennt die Untiefen des Geschäfts.
Vor drei Jahren arbeitet er an einem Comic-Buch für den Carlsen-Verlag. „Peter Lundt“, ein Hamburger Krimi um einen blinden Kommissar. „Ganz großes Kino,“ sagt Sponholz. Ein Jahr lang zeichnete er, dachte bereits an Lizenzverkäufe nach Frankreich, das Konzept war als Serie erdacht, „alle paar Jahre ein Buch“. Aber noch während des Zeichnens hätten Verlagsvertreter gesagt: „Ein Hamburger Krimi? Interessiert uns nicht.“
Im Schredder gelandet
Sponholz antwortete in Gedanken: „Ihr guckt doch auch den Münster-Tatort!“ Dann sah er den Start seines Buchs ohne PR-Unterstützung mit an und wie der Bestand nach einem Jahr im Lager dem Schredder verfüttert wurde. So viel Arbeit, so viel Kraft investiert, und dann gegen die Wand gefahren. „Frustrierend“ nennt Sponholz die Episode und untertreibt.
„Ohne ’Pure Fruit‘ wäre ich in ein Loch gefallen“, sagt er. Beim ersten Comic-Gratis-Tag im Mai 2010 traf er auf Tim und die anderen beiden vom Team, Gregor Hinz und Franziska Ludwig. Sie sprachen mit ihm über ein Gratis-Magazin und Sponholz fing Feuer. „Die hatten diese ’Hey komm, wir machen‘-Mentalität. Danach habe man sich „richtig schön hochgeschaukelt“. Vier Künstler, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.
Einsame Kellerkinder
„’Pure Fruit‘ hat gefehlt“, sagt Peter den Hoet, Inhaber des alteingesessenen Kieler Comic-Ladens Fantasyreich. „Zuvor hat die Szene zumeist für sich allein getüftelt.“ Kellerkinder hinter Schreibtischen. „Pure Fruit“ ist nun ein Anlaufpunkt. Die Macher organisieren Ausstellungen, bei denen Künstler und Interessierte sich austauschen.
Das Spaß-Format „Comic-Battle“, bei dem sich zwei maskierte Zeichner unter Zeitdruck auf Overheadprojektoren einen Malwettbewerb liefern, öffnet die Darstellungsform einem neuen – und amüsierten – Publikum.
Tatsächlich geht das Magazin in seiner Bedeutung über einen Katalog hinaus. Natürlich wollen die Grafiker und Illustratoren sich damit auch der Arbeitswelt präsentieren. Eigentlich aber, und das sei die große Errungenschaft, ist „Pure Fruit“ Ventil des künstlerischen Selbstverständnisses jenseits des ökonomischen Schnellkochtopfs.
Mit der Arbeit als Grafiker lässt sich Geld verdienen. „Das ist gut“, sagt Eckholz. Aber die Leistung ist austauschbar. Und weil die Vorgaben so eng gesteckt sind, ist mitunter auch das Ergebnis austauschbar. „Das Studium hat uns zu sehr guten Grafikern ausgebildet“, erzählt Hinz. „Und wir wollen uns eine Identität schaffen, die wir allein durch Design-Jobs nicht bekommen.“ Zwang und Bedürfnis. Was für das Individuum in der Massengesellschaft gilt, gilt ebenso für den Künstler als Dienstleister.
Zwang und Bedürfnis
Für die volle Entfaltung der eigenen Persönlichkeit, schrieb einst der Psychologe Bruno Bettelheim, müsse man die Suche nach der Balance zwischen diesen beiden Polen, zwischen Zwang und Bedürfnis, antreten. Bei vielen hat die Suche im Konsum einen Ersatz gefunden. Vielleicht weil im Selbstvermarktungs-Wettbewerb eine eigene Persönlichkeit hinderlich, zumindest aber anstrengend sein kann.
Für den Künstler jedoch entscheidet genau sie über das Selbstverständnis. Denn tatsächlich wird der Künstler erst zum Künstler, wenn er seinem Bedürfnis nach Individualität nachgibt, sonst bleibt er Dienstleister. Für die Macher von „Pure Fruit“ ist ihr Magazin also Werk und Spiegel zugleich.
Für die Arbeit als Kunstlehrer würden ihm die Nerven fehlen, sagt Tim Eckholz. Für ihn gibt es keine Alternative zum Zeichnen. „Wenn Kopf und Hände anfangen, zusammenzuarbeiten, wenn alles andere zurücktritt und man drinne ist, das ist, als hätte man den Stift als Tanzpartner“. Ein Hochgefühl. Zeichnen mache ihn glücklich.
Reise zu sich selbst
Für andere wird das Blatt Papier eine Reise zu sich selbst. Es mache Freude, sagt Gregor Hinz, zu sehen, was sich aus einem herausholen ließe. Manchmal sei er überrascht vom Ausgang seiner Bildgeschichten. Bei so viel Experimentierfreude fühlt sich Volker Sponholz wie „die Unke vom Dienst“. Vieles habe er schon einmal ausprobiert, sodass er den Dingen mitunter pessimistisch gegenübersteht. Aber dann würden viele Dinge plötzlich doch funktionieren.
Das Geheimnis: „Wir machen einfach weiter, wenn wir denken, das ist zu gut, um es nicht weiterzumachen.“
Das neue Heft „Pure Fruit #6, ’Kochen‘“ liegt im Fantasyreich in der Wilhelminenstraße 17 in Kiel aus und ist .
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