Britische Sportler bei Olympia 2012: Bloß kein Kanonenfutter
Noch dreieinhalb Jahre bis zu den Olympischen Spielen in London: nicht mehr viel Zeit für die Gastgeber, peinliche Auftritte in Sportarten wie Handball zu verhindern.
Für Chris Mohr geht 2012 ein Traum in Erfüllung. Dann wird der heute 18-Jährige aller Voraussicht nach ein Olympionike. Bei den Spielen in London könnte er für das britische Handballteam auflaufen. Dabei ist Mohr in der Nähe von Frankfurt aufgewachsen und hat bislang in der hessischen Bezirksoberliga gespielt. Doch dann entdeckte er 2006 beim Surfen im Internet einen Aufruf des englischen Handballverbandes. Wer von sich selbst glaube, dass er gut genug sei, bei Olympia anzutreten, solle sich einfach bewerben, hieß es dort.
Mohr, der noch nie von einem englischen Handballnationalteam gehört hatte, aber über einen britischen Pass verfügt, schickte kurzerhand eine E-Mail. "Meine Eltern meinten, ich solle mir keine großen Hoffnungen machen, aber am nächsten Tag war direkt eine Antwort mit einer Einladung zum Probetraining da", erzählt der 18-Jährige.
Während sich Handball im Rest der Welt enormer Popularität erfreut - das WM-Finale 2007 sahen mehr Menschen als das Wimbledon-Endspiel -, ist der Sport in Großbritannien ungefähr so beliebt wie hierzulande Kricket oder Rugby. Um in London dennoch konkurrenzfähige Teams aufbieten zu können, hat der britische Verband 3 Millionen Pfund für drei Jahre bereitgestellt. Dänische Trainer wurden verpflichtet und Kooperationsverträge mit dänischen Clubs geschlossen. Mit einem groß angelegten Scouting-Programm wurden 3.000 potenzielle Kandidaten, unter ihnen Chris Mohr, ausfindig gemacht.
Allein diese Zahl ist schon ein kleiner Erfolg in einem Land, in dem die meisten Menschen unter "handball" ein Handspiel im Fußball verstehen. Drei Spieler des aktuellen Kaders wurden in Deutschland geboren, der Torwart stammt eigentlich aus Schweden und ein Rechtsaußen kommt gar aus Monaco. Ein Spieler wurde aus einem Londoner Basketballteam abgezogen, ein weiterer, von Haus aus eigentlich Rugbyprofi, nahm im Dezember 2006 das erste Mal in seinem Leben an einem Handballtraining teil. Die Stimmung sei trotzdem gut, erzählt Mohr, "und es sprechen auch alle Englisch".
Ähnlich sieht die Situation in einigen anderen Mannschaftssportarten aus. Die Volleyballer sind wie die Handballer als Gastgeber automatisch olympisch, die Basketballer müssen sich erst noch qualifizieren. Überall sind die Defizite eklatant. Aufgeholt werden sollen sie mit: Geld. Fast 13 Millionen Pfund stellt der Staat in den nächsten vier Jahren bereit, um peinliche Auftritte seiner Teams zu verhindern. Denn dass man mit Geld allerhand erreichen kann, wissen die Briten aus eigener Erfahrung. In der Vorbereitung für die Spiele in Peking investierten Staat und Sportverbände die Rekordsumme von 191 Millionen Pfund. Am Ende stand das Inselreich mit 47 Medaillen, davon 19-mal Gold, auf dem vierten Platz im Nationenranking. Auch im Basketball und Volleyball soll dieses Vorgehen Erfolge bringen: Talentscouts durchforsten systematisch die europäischen Ligen nach Spielern mit englischen Wurzeln, gezielt werden ausländische Trainer verpflichtet. Und wieder wurde man in Deutschland fündig: Matt Howe, der in der 2. Volleyball-Bundesliga spielt, gehört zur Stammbesetzung des britischen Teams. Zwar musste sich die Auswahl, die genau wie die Handballer bislang noch keinen nennenswerten internationalen Erfolg verbuchen konnte, noch im Juli in Testspielen Vereinsmannschaften aus China und der Türkei sowie der Nationalmannschaft von Kasachstan geschlagen geben. Dennoch ist der Direktor des Volleyball-Programms, Kenny Barton, optimistisch: "Der Sommer lief fantastisch, und es wird täglich besser. Wir trainieren hart, denn wir wollen nicht rumgeschubst werden."
Über das offenbar nur schleppend verlaufende Basketballprogramm äußerte sich der ehemalige Vorsitzende des Britischen Olympischen Komitees indessen äußerst besorgt. "Wenn wir uns nicht beeilen, habe ich erhebliche Zweifel, ob unser Basketballteam bei Olympia dabei sein wird", sagte Simon Clegg.
Die Statistik verheißt ebenfalls nichts Gutes: Die letzte und einzige Olympiaqualifikation eines britischen Basketballteams gelang vor genau 60 Jahren. Also wird der große rote Ball bewusst flach gehalten. Das Hauptziel, so der Verband, sei lediglich die Qualifikation für 2012. Und sollte selbst die misslingen, bleibt den Basketballern wenigstens ein Auftritt als Kanonenfutter erspart, wie er den Kollegen im Handball und Volleyball droht.
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