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■ Bridge Markland im Schmidt: im Tief der GeschlechterMänner, mal tot und mal ohne Hosen

„Absolut verwirrend“, urteilte die Junge Welt über Bridge Marklands Bunten Herrenabend, welcher am Dienstag den Auftakt zu den „Six Sex Weeks“ im Schmidt lieferte. Dieser Befund ist selbst verwirrend, denn wenn etwas verwirrend war, dann vor allem dessen Unverworrenheit. Dabei war klar, daß Bridge eine Art Dekonstruktion der Verhaltensweisen des männlichen Geschlechts mittels Travestie und Parodie anstrebte. Die für ein Gelingen solcher Geschlechtswechselspiele erforderliche Verwirrung gelang nur selten.

Am beeindruckendsten blieb der Anfang: Die Metamorphose vom koketten Mädel zum androgynen Vamp, der, sich lasziv windend, durchs Publikum streift, diesem an die Wäsche geht und die Gesichter leckt, zauberte eine Mixtur aus Erotik und Grusel hervor, der die folgenden Darbietungen dann leider als Antiklimax gegenüberstanden.

Ob männliche Anzieh-Rituale veralbert wurden oder Klischees männlicher Sexualvorstellungen präsentiert wurden, stets ging es darum, dem Mann an sich die Hosen auszuziehen. Dahinter lauerte die Erkenntnis, daß Geschlecht mehr ist als nur eine Frage des Geschlechts, nämlich ebenso eine der normierten Präsentationen dessen.

Dies versinnbildlichten die diversen „Gender“-Verwandlungen, die aber oft zu vorhersehbar waren, um wirklich amüsieren zu können. Die Moral von der Geschicht' – „This is a man's world, but it would be nothing without a woman“ – ließ das Lachen dann nur noch eher gefrieren denn gedeihen.

Auf die Unterstützung dreier weiterer Mannsweiber konnte sich Markland nur teilweise verlassen. „Lili K.“ imitierte Heinz Rühmann und sang „Ich brech' die Herzen der stolzesten Frau'n“. Das war ganz nett, aber auch seltsam unentschlossen. Kein Verortungsproblem hingegen bei Syd Atlas, die fleischwurstbeschwanzt einen ekligen US-Entertainer bei Masturbationsexperimenten mit einem Staubsauger darstellte. Ohne Worte.

Wirklich sehenswert war Tanja Ries, die dritte im travestierenden Begleitbunde. Unter Akkordeonbegleitung trug sie ein melancholisch-vielschichtiges Chanson vor, das die Abgründe des „kleinen Mannes, der vom Glück träumt“ beleuchtete. Zum Abschluß wurden alle zusammen noch einmal sehr explizit und sangen „Tell me, if you can, what makes a man a man“. Der Applaus blieb zaghaft.

Christian Schuldt

Eine Frau kniet in einem abgelegenen Industriegelände von Ljubljana auf der Bühne, lange Haare verdecken das Gesicht, darunter das Mikrophon. Diamanda Galás, selbst griechisch-orthodox erzogen, schreit das Paternoster – in Höchstgeschwindigkeit.

Szenenwechsel: Ein teurer schwarzglänzender Flügel, die Diva schreitet über die Holzbretter der Fabrik. Diamanda Galás ignoriert würdevoll das Publikum und beginnt, zu arbeiten. Nach ihren Experimenten zu Vergewaltigung oder Aids gönnt sie sich hier was Nettes.

Die Klassikerplagiatphase, schönen alten Ohrwürmern nach eigener Interpretation besondere Töne zu verleihen, ereilt nicht nur Nick Cave. Für Malediction and Prayer klaute die Diamanda von Frank Sinatra, Johnny Cash und den Supremes. Ihre eigenen Kompositionen trugen Melodiefetzen von Bluesklassikern und des Jazz in der Erinnerung des Kampfes gegen die Sklaverei. „An aai(eye) for an aai, thats the airon lady in the chäär,“ singt Galás mit tiefer Stimme, enormem Volumen und mindestens drei Obertönen.

Kreischen, brüllen, schreien, eine leibhaftige Hexe massakriert das Piano. Der Text „The Woman's Gone Way“ enthält plötzlich wütendes Leid und ungebändigt klagende Trauer. „The thriller's gone away. You are free, free, free from the spell.“ Ein Wunder, das die Glasfenster der Fabrik nicht bersten. „I saw my baby out there, I said please come back!“

Der folgende Schrei würde den oder die Geliebte(n) auch in Athen, New York oder Budapest ereilen und stante pede zur Umkehr zwingen. Gott ist ja angeblich tot, aber „Save me, so I can go to heaven“, hallt den Lebendigen im Kopf nach und weckt Tote (zumindest halbtote Betrunkene) auf.

„I got 22 men and I said: Follow me now.“ Akkord auf den hohen Noten. „And I laughed in his grave!“ Sie zählt die Leichen der Männer herunter, „got ten more men“, einer nach dem andren verschwindet. „One more man to go“. Als dieser schlußendlich ebenfalls futsch ist, hebt sie die Flasche und säuft zum riesigen Applaus. Lieder auf Spanisch, gebrochenem Französisch und Griechisch runden das Programm ab. Als die Arbeit getan ist, läßt sich die Galás noch für eine kleine Zugabe herausklatschen und dann wird das Publikum rausgeschmissen. Vergeßt Nick Cave!

Kerstin Kellermann

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